Bewerbung im Burnout – ist das sinnvoll?

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Wen die Arbeit auffrisst, der denkt oft: kündigen, neue Stelle suchen, dann wird alles besser. Die Frage ist allerdings, fängt der Burnout gerade an oder steckt man schon mitten drin? Karrierecoach Silke Grotegut weiß Rat.

Frau Grotegut, eines Ihrer Themen lautet „Bewerbung während Burnout“. Ist das nicht kontraproduktiv?

Silke Grotegut: Der Absprung ist eine Frage des Zeitpunkts. Es kommt darauf an, in welcher Phase ich mich befinde. Denn zu Beginn gibt es noch Abbiegemöglichkeiten. Da haben Sie noch die Chance, die Batterien wieder aufzuladen und den Arbeitgeber zu wechseln – zum Beispiel, wenn Ihr Hausarzt sagt: „Jetzt nehmen wir Sie da mal raus, sie sind ja total fertig“. Wird das allerdings verpasst, erreichen Sie irgendwann einen Point of no return. Ab da geht man in die völlige Erschöpfung, spätestens jetzt macht es gar keinen Sinn mehr, sich neu zu bewerben.

Wie erkenne ich, wo ich stehe?

Silke Grotegut: Ein Burnout verläuft schleichend und eher diffus. Zudem kann sich das Krankheitsbild bei Betroffenen komplett unterschiedlich äußern. Hilfreich ist das 12-Stufen-Modell nach Freudenberger. In den ersten drei Phasen hat man vielleicht noch genügend Kraft, den Job zu wechseln. Ab Stufe vier fangen die körperlichen Symptome wie Schlafmangel an, ab Stufe sieben wird es kritisch. Spätestens bei Phase zehn, die mit innerer Leere und Depression einhergeht, ist der Kipppunkt erreicht. Die Rekonvaleszenz aus so einem Zustand ist nun sehr langwierig. Auch kommt man da oft körperlich nicht unversehrt wieder raus. Wir denken immer, Burnout sei ein rein psychisches Problem, aber es können auch physische Langzeitschäden daraus resultieren wie anhaltende Konzentrationsstörungen und eine deutlich geringere Belastbarkeit.

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Wenn es noch geht: Sollte ich bei Bewerbungen auf meine Burnout-Problematik hinweisen?

Silke Grotegut: Nein! Ich würde das weder in den Unterlagen noch im Interview erwähnen. Ansonsten glaubt ein neuer Arbeitgeber, Sie seien nicht belastbar oder psychisch instabil. Zumal seelische Erkrankungen dafür bekannt sind, lange zu dauern. Stattdessen sollten Sie im Gespräch thematisieren, was Ihnen wichtig ist. Dazu gehört zum Beispiel, dass Überstunden und Dienste ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, weil Sie Wert auf einen guten Ausgleich zwischen Job und Privatleben legen. Also nicht aus einer Position der Schwäche ins Gespräch gehen – in dem Sinn „ich habe einen Burnout und muss auf mich achten“ – sondern aus einer selbstbewussten Haltung. Außerdem sollten Sie die Gelegenheit nutzen und konkret nachfragen, wie die Rahmenbedingungen sind. Dafür müssen Sie aber vorher für sich klar haben, was Ihnen wichtig ist und was Sie wollen.

Empfehlen Sie zunächst eine Auszeit?

Silke Grotegut: Eine Auszeit kann hilfreich sein, erst einmal Klarheit über die Situation und die nächsten Schritte zu bekommen. Zumal das im Lebenslauf kein Problem darstellt. Auszeiten unter vier Monaten werden heutzutage dort gar nicht mehr ausgewiesen. Das gilt als Zeit der beruflichen Neuorientierung. Werden Sie dennoch danach gefragt, können Sie sagen „ich habe mir eine Auszeit gegönnt“. Sind Sie selbst damit „fine“, sind es die anderen auch. Personaler werden erst misstrauisch, wenn sie merken, da ist jemand nicht mit sich im Reinen und hat ein schlechtes Gewissen. Aber wenn jemand sagt „ich habe beispielsweise eine bestimmte Fernreise unternommen, um dann mit vollen Batterien in den nächsten Job zu starten“, ist das absolut okay.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Silke Grotegut: Ich war selbst zweimal betroffen und vergleiche den Zustand seitdem mit einem Handy-Akku. Auch ich habe mich übers Wochenende wieder aufgeladen, aber eben nicht voll, sondern nur auf ein oder zwei Ladepunkte – somit war ich bereits am Montagnachmittag wieder bei null angelangt. Wenn man die höheren Phasen erreicht hat, reicht es auch nicht mehr, mal Urlaub zu machen. Nach zwei freien Wochen dreht sich das Karussell im Kopf allenfalls ein bisschen langsamer.

Was erleben Sie in Ihrer Beratung?

Silke Grotegut: Etliche Klienten, die zu mir ins Karrierecoaching kommen, sagen Sätze wie „die Arbeit macht mich total fertig, ich brauche unbedingt eine andere Stelle“. Das scheint oft der einzige Ausweg zu sein. Allerdings erkennen viele den Ernst ihrer Lage nicht. Burnout betrifft ja gerade Menschen, die sehr leistungsbereit sind und oft bis in die ganz hohen Stufen der Erschöpfung arbeiten.

Wenn ich die Befürchtung habe, dass jemand sich sehr schwer verausgabt hat und dass der Wunsch nach einem neuen Jobwechsel eine Flucht ist, spreche ich das konkret an. Häufig bitte ich meine Klienten zusätzlich, einen Psychologen aufzusuchen, denn ich darf keine Diagnosen stellen. Wir reden dann darüber, was jetzt eigentlich wirklich ansteht: Jobwechsel oder Erholung. Ich möchte nicht daran beteiligt sein, dass jemand daran arbeitet sich zu optimieren, um sich noch mehr zu erschöpfen.

Wie helfen Sie?

Silke Grotegut: Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, wo man steht – und warum das so ist. Letztlich helfe ich meinen Klienten dabei, in sich hinein zu horchen, um sich ehrlich die Frage zu beantworten: Packe ich das jetzt gerade? Der Bauch weiß schon, was los ist. Denn wenn ich keine Kraft mehr habe, schaffe ich es auch nicht im nächsten System, nur weil ich an einem anderen Ort bin. Darüber hinaus kostet eine neue Stelle ja auch viel Energie: Auf Sie wartet eine neue Umgebung, neue Kolleginnen und Kollegen. Auch die Bewerbung an sich ist anstrengend, man muss die Unterlagen zusammenstellen und Interviews führen – und dort müssen Sie überzeugend rüberbringen, dass Sie der Aufgabe gewachsen sind. Im fortgeschritteneren Verlauf ist aber meist das Selbstwertgefühl total im Keller. Wer das nicht hinbekommt, heimst sich wahrscheinlich eine Absage ein. Das kann wiederum eine Negativspirale in Gang setzen, die den Burnout sogar noch verstärkt, weil nun alles aussichtslos auf Sie wirkt.

Stress ist in der Klinik Alltag, der Workflow extrem hoch. Was raten Sie speziell Ärztinnen und Ärzten, um den Zeitpunkt nicht zu verpassen?

Silke Grotegut: Für die psychische Gesundheit sind Entspannungsphasen auch in medizinischen Berufen wichtig. Ein guter Indikator für das Stresslevel ist der Cortisolspiegel. Ständig hohe Werte dieses Stresshormons treiben uns immer weiter in die Erschöpfung. Oder eine Schlafanalyse zu machen, um zu schauen: Kann ich noch abschalten? Wie lange schlafe ich eigentlich noch tief in der Nacht?

Wenn ich doch vom Regen in die Traufe komme, was sollte ich dann tun?

Silke Grotegut: Schritt 1 ist – wie immer – das Gespräch beim Vorgesetzten zu suchen. Die Kliniken sind heutzutage extrem darauf angewiesen, ihre Leute zu halten. Hilfreich als Vorbereitung dafür ist ebenfalls die Unterstützung durch einen (Karriere-)coach, um herauszufinden, wie man sich und die Problemlage gut darstellt. Damit man auch hier aus einer Position der Stärke heraus argumentiert – nach dem Motto: „Lassen Sie uns bitte mal gemeinsam gucken, welche Gestaltungsspielräume es gibt, wie können wir uns da annähern?“ Die andere Frage ist aber auch: Warum stecke ich schon wieder in dieser Situation? Was ist mein Anteil?

Wie kann ich die letzte Frage beantworten?

Silke Grotegut: In diesem Fall ist angesagt, erstmal die Batterien aufzutanken, um zu prüfen, welches mein eigener Beitrag ist – und was ich tun kann, um mich künftig besser zu schützen. Das zieht eine Verhaltensänderung nach sich und kostet Zeit. Auch lässt sich dies kaum allein bewältigen. Warum? Betroffene können häufig nicht nein sagen, wollen alles hundertprozentig erledigen und es allen recht machen. Diese Verhaltensweisen stammen aus unserer Kindheit und sind tief verwurzelt. Deswegen sind sie für diese Menschen ja auch ganz selbstverständlich und normal, weil sie so sozialisiert wurden. Und selbst wenn ich diese Schemata erkannt habe, ist da noch die große Angst: Was passiert, wenn ich das ändere? Bin ich dann noch gut und werde ich von meinen Kolleginnen und Kollegen trotzdem noch geschätzt? Hier kann ein Coach oder eine Therapeutin helfen, meine eigenen Muster zu hinterfragen und zu ändern.

Was kann ich noch unter die Lupe nehmen?

Silke Grotegut: Ein häufiger Grund für Burnout ist, dass ich mich in Strukturen befinde, die mir extrem viel Kraft abverlangen. Manchmal ist es sogar das System an sich, das so stark ist, dass es nicht reicht, wenn ich mein Verhalten ändere und zum Beispiel besser Grenzen setze. Ich muss schon schauen, ob ich mit den Grundbedingungen auf Dauer glücklich werden kann. Das ist die Gretchenfrage. Wo will ich „mein Stück“ eigentlich aufführen? Brauche ich eine andere Bühne? Bin ich vielleicht besser dran als niedergelassener Arzt oder in einem Bürojob für Mediziner? Ich kann auch in den Medizin-Journalismus gehen. Es gibt so viele Möglichkeiten.

 

Die Expertin
Silke Grotegut

war 14 Jahre Personalerin und Sparringspartnerin von Führungskräften beim DAX-Konzern Deutsche Telekom AG. Seit 2015 ist sie freiberufliche Karriereberaterin, www.silkegrotegut.de.

Bild: © Marlene Mondorf

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