Sina, Du bist im Verein „Impfaufklärung Deutschland“ aktiv und hast an Deiner Uni in Homburg (Saar) eine Lokalgruppe gegründet. Warum ist es denn so wichtig, über das Thema Impfen aufzuklären?
Sina Heimüller: Aufklärung ist meiner Meinung nach sehr wichtig – allein durch Worte und die Fakten kann man die Menschen ja gut erreichen. Eine gelungene Aufklärung kann eine sehr große Wirkung haben – wir wollen den Leuten ja nicht vorschreiben, was sie tun sollen. Aber sie sollen alle Fakten kennen, wenn sie sich eine Meinung bilden und eine Entscheidung treffen. Gerade beim Thema Impfen ist das wichtig – heute kursieren durch das Internet einfach sehr viele Falschinformationen und Halbwahrheiten. Das wollen wir durch eine gelungene Aufklärung richtigstellen.
Was für Fehlinformationen und Halbwahrheiten sind das konkret?
Sina Heimüller: Ich bin inzwischen im zehnten Semester Medizin und hatte auch schon viel mit Patienten zu tun. Viele Menschen fürchten sich davor, dass Impfungen sehr viele Nebenwirkungen haben. Oft hat schon jemand, den sie kennen, nach einer Impfung über gerötete Einstichstellen oder Schmerzen im Oberarm gesprochen. Viele denken dann, dass das bei ihnen automatisch auch so sein wird – oder dass das auch etwas Schlimmes ist. Kaum jemand spricht darüber, dass so eine Rötung auch nach spätestens zwei Tagen wieder weggeht. Und eine der größten Fake-News ist die berüchtigte Studie von Andrew Wakefield, in der er versucht hat, zu belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Mumps-Masern-Röteln-Impfung und Autismus gibt. Die Studie ist über 20 Jahre alt und wurde inzwischen auch durch mehrere andere Studien widerlegt. Trotzdem hält sich diese Falschinformation im Netz leider hartnäckig.
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Wie erklärst Du Dir, dass sich solche Fehlinformationen so hartnäckig halten?
Sina Heimüller: Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen ist vielen Menschen die Notwendigkeit von Impfungen nicht mehr bewusst. Die Krankheiten, die durch die Impfung verhindert werden können, treten zum Glück nur noch sehr selten auf und werden dadurch weniger als Bedrohung wahrgenommen. Wenn einem dieser Nutzen nicht klar ist, wirken seltene Nebenwirkungen wie ein hohes Risiko. Zum anderen ist es so, dass negative Nachrichten häufig einfach mehr Aufmerksamkeit erregen als „harmlose“ und positive Informationen. Die Studie ist ein gutes Beispiel: Wenn es heißt, dass ein Kind durch eine Impfung Autismus bekommt, erregt das mehr Aufmerksamkeit, als „langweilige“ News, dass die Impfung sehr gut vertragen wurde. Gerade hartnäckige Impfgegner spielen oft mit solchen Fake-News.
Glaubst Du, dass es deshalb derzeit so viele Impfgegner gibt?
Sina Heimüller: Da täuscht der Eindruck: So viele Impfgegner gibt es gar nicht. Das sind nicht mehr als etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung. Gerade deshalb ist es so spannend, dass uns diese Menschen so ins Auge fallen und dass sie mit ihrer Meinung so viel Öffentlichkeit bekommen. Die Menschen, die viele vielleicht auch in ihrem Umfeld haben, sind oft keine radikalen Impfgegner, sondern Leute, die sich einfach unsicher sind. Das hat auch mit der Datenüberflutung zu tun und damit, dass so viele Falschinformationen im Netz zu finden sind. Das sind genau die Leute, die wir erreichen wollen: Unser Ziel als „Impfaufklärung in Deutschland“ sind nicht die wenigen radikalen Impfgegner. Wir wollen auf diejenigen zugehen, denen noch Informationen fehlen, damit sie weniger unsicher sind. Und ich denke schon, dass sich diese Leute häufig für eine Impfung entscheiden, wenn sie besser Bescheid wissen.
Wie begegnest Du den Menschen, die beim Thema Impfen noch unsicher sind?
Sina Heimüller: Mir ist es wichtig, vor allem neutral und sachlich aufzutreten. Das entspricht erstmal auch meinem Charakter – aber vor allem denke ich, dass Wissenschaft einfach auf diese Art vermittelt werden sollte. Ich empfehle gern die Seite impfen-info.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – da sind die wichtigen Informationen auch für Laien interessant und verständlich dargestellt. Wenn Patienten mit zu vielen Fachwörtern konfrontiert werden, verstehen sie am Ende gar nichts mehr und wollen im schlimmsten Fall mit dem Thema nichts mehr zu tun haben. Außerdem erzähle ich von unserem Projekt und kläre über die Fakten auf – zum Beispiel, dass Nebenwirkungen nur ganz selten vorkommen. Wichtig ist dabei einfach, die Menschen da abzuholen, wo sie stehen. Man erreicht einfach mehr, wenn man auch ihre Sorgen ernst nimmt und nicht so besserwisserisch wirkt, als wollte man jemanden von oben herab belehren.
Mit der Aufklärungskampagne „Impf Dich“ richtet Ihr euch vor allem an Jugendliche an Schulen. Wie funktioniert das genau?
Sina Heimüller: Wir richten uns an Schüler zwischen der 9. und 13. Klasse – also an Jugendliche, die vor ihren ersten selbstständigen Impfentscheidungen stehen. In der Ortsgruppe in Homburg, die ich gegründet habe, sind wir inzwischen elf Mitglieder aus verschiedenen Semestern. Manche sind selber erst 18 – die erreichen die Jugendlichen natürlich viel besser. Wir haben eine PowerPoint-Präsentation vorbereitet, die wir in den Klassen zeigen – meistens bleiben wir zwei Schulstunden. Unser Vortrag beinhaltet verschiedene Themen: Es geht zum Beispiel darum, was die sogenannten Kinderkrankheiten sind, wie das Impfen überhaupt funktioniert und was der Unterschied zwischen aktiver und passiver Immunisierung ist. Am Ende gibt es ein Handout mit einer Art Quiz, bei dem wir die grundlegenden Fakten nochmal spielerisch abfragen. Natürlich können die Schüler auch immer Fragen stellen. Und wir machen auch eine Impfpassbesprechung – da erklären wir, was im Impfpass alles steht. Und wir prüfen mit den Schülern, welche Impfungen sie eventuell schon haben und was noch sinnvoll wäre.
Was für Fragen stellen Euch die Schüler?
Sina Heimüller: Die Schüler sind immer sehr interessiert – das hätten wir gar nicht so erwartet. Sie stellen viele Fragen – zum Beispiel über die Symptome der Krankheiten, gegen die geimpft werden kann. Was immer wieder auftaucht, sind Fragen zur so genannten „Herdenimmunität“ – also der Tatsache, dass auch diejenigen von einer hohen Impfquote profitieren, die selbst nicht geimpft werden können: Das sind zum Beispiel ganz kleine Kinder, Schwangere oder Menschen mit schweren Erkrankungen. Wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist, können die Krankheitserreger diese Menschen nicht erreichen und sie stecken sich nicht an. Die Jugendlichen sind davon immer ganz fasziniert: Für sie ist es ein gutes Argument, wenn wir erzählen, dass sie durch eine Impfung beispielsweise ihre kleinen Geschwister auch mit beschützen. Auf impfen-info.de gibt es dazu eine Animation, die immer viel Eindruck macht: Da kann man einstellen, wie viele Menschen geimpft sind und ab wann der Schutz auch für die Ungeimpften ausreicht. Das wissen viele nicht – und das ist ein Argument, bei dem man richtig sehen kann, wie den Schülern sprichwörtlich ein Licht aufgeht. Ich glaube übrigens auch, dass man damit bei Erwachsenen auch viel erreichen kann – weil viele immer noch denken, dass es bei einer Impfung nur um ihre eigene Gesundheit geht. Und so einfach ist das eben nicht.
Gesundheitsminister Jens Spahn hat ja vor kurzem einen Gesetzesentwurf für eine Impfpflicht vorgelegt. Was hältst Du davon?
Sina Heimüller: Meiner Meinung nach ist eine Impfpflicht nur die Ultima Ratio – das funktioniert als Lösung nur, wenn alles andere versagt hat. Durch eine Pflicht schreckt man ja auch Menschen ab. Wer sich bevormundet fühlt, ist vielleicht für die guten Argumente nicht mehr so offen – Impfgegner fühlen sich vermutlich eher bestätigt, wenn ihnen der Staat da etwas vorschreiben will. Da entstehen dann im schlimmsten Fall nur neue Verschwörungstheorien und die Impfgegner radikalisieren sich noch weiter. Das hilft der Sache nicht weiter. Ein anderes Argument ist: Weil sich diese Impfpflicht ja nur gegen die Masern richtet, erscheinen die anderen Krankheiten auf einmal viel weniger schlimm. Das ist für mich einer der größten Nachteile der Impfpflicht – weil die Bedrohung durch die anderen Kinderkrankheiten dadurch in den Schatten gestellt wird.
Was empfiehlst Du stattdessen?
Sina Heimüller: Grundsätzlich finde ich, dass Aufklärung und Information bessere Methoden sind als Gesetze und Pflichten. Man kann mit einem Dialog und im Gespräch zwischen Arzt und Patient ganz viel erreichen. Das steht ja auch im Fokus der Kampagne „Ich bin geimpft – und Sie? Lassen Sie uns reden!“ des Deutschen Ärzteverlags, die auch von Eckart von Hirschhausen unterstützt wird. Durch Hinweisreize wie ein Praxisposter oder einen Button, den der Arzt sich anstecken kann, bewirkt man ja, dass mehr Patienten einen ansprechen. Studien haben gezeigt, dass die Patienten sich dem Gespräch über das Impfen nicht aktiv verweigern, sondern dass sie keinen Anlass oder keine Notwendigkeit sehen, das Thema anzusprechen. Und die Ärzte vergessen es auch – oder die Zeit dafür ist nicht da. Und sobald die Kommunikation zum Thema erstmal in Gang kommt, erreicht man auch viel mehr Menschen. Konkret sind die Zahlen bei den Masern ja gar nicht so schlecht: 97,1 Prozent der Kinder bekommen die erste Dosis, 92,8 Prozent bekommen auch die zweite. Wir bräuchten eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent, damit alle geschützt sind – da fehlen nur 2,2 Prozent! Diese Leute können wir auch durch Aufklärung erreichen – da bin ich sicher.
Warum engagierst Du dich persönlich so sehr für das Impfen?
Sina Heimüller: Meine Mutter ist Reisemedizinerin und wir haben sehr früh angefangen, gemeinsam zu reisen. Ich bin selbst sehr früh mit Reiseimpfungen in Kontakt gekommen – das hat mich einfach schon als Kind interessiert. Das Thema hat mich einfach mein Leben lang begleitet – schon lange, bevor ich über ein Medizinstudium nachgedacht habe. Als ich auf die Initiative gestoßen bin, wollte ich einfach ganz grundlegende Aufklärung leisten. Ich möchte da auch der Gesellschaft einfach auch etwas zurückgeben – deshalb ist mir auch das Ehrenamt wichtig.
Der Verein “Impfaufklärung in Deutschland” e.V. ist ein Netzwerk aus jungen Ärzten, Medizinstudenten und Experten fachnaher Disziplinen, das 2017 gegründet wurde. Inzwischen gibt es Lokalgruppen an 13 Uni-Standorten in ganz Deutschland.
Mehr Infos: www.impf-dich.org, Kontakt: info@impf-dich.org