“Als Allgemeinmediziner kann man vielen Menschen helfen – das ist cool”, stellte Bloch schon am Anfang seines Vortrags fest. Die grundsätzliche Frage sei, ob man in allen Themen mitreden wolle oder als Spezialist immer nur in einem Bereich, erklärte der junge Arzt. Wer gern mit vielen verschiedenen Bereichen zu tun haben wolle, für den komme nur die Allgemeinmedizin oder die Allgemeinchirurgie in Frage. Trotzdem werden Allgemeinmediziner von anderen Ärzten oft belächelt – völlig zu unrecht. In seinem Vortrag setzte sich Bloch deshalb mit zehn gängigen Vorurteilen auseinander, denen er immer wieder begegnet.
10 Vorurteile gegen Allgemeinmediziner
1. Omis, AU und Reden: “Als Allgemeinmediziner hat man es immer nur mit alten Leuten zu tun, wird fürs Sprechen bezahlt und stellt ansonsten nur gelbe Scheine aus”. Die Realität sieht laut Bloch ganz anders aus:
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- Gesamter Altersdurchschnitt
- Komplexe Fälle mit hohem Lernpotiential
- 80 Prozent der Differentialdiagnosen bereits im Anamnesegespräch
- Sprechende Medizin im Gegensatz zu Bild- und Laborbefunden
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2. Man kann nur Landarzt werden: “Der Allgemeinmediziner arbeitet nur auf dem sogenannten Land als Landarzt und das bedeutet: 50 Kühe, ein Trecker, 50 Patienten, ein Schützenfest und ein Metzger”. Dem setzt Bloch entgegen:
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- Heterogene Definition von Land: Es gibt auch unterversorgte Städte von rund 20.000 Einwohnern.
- Gemeinschaft auf dem Land vs. Anonymität in der Großstadt
- Entschleunigung, Gesundheit, gutes soziales Gefüge
- Unterschiedliche Bedürfnisse in verschiedenen Lebensphasen: Wen es mit Anfang 20 noch in die Großstadt zieht, der hat zehn Jahre später vielleicht ganz andere Bedürfnisse und wünscht sich günstige Grundstückspreise für das Eigenheim im Grünen.
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3. Allgemeinmedizin ist bedeutungslos: “Der Allgemeinmediziner wird von den “richtigen” Spezialisten belächelt. Gäbe es nur noch MVZs als verlängerte Arme des Krankenhauses, bräuchte man keine “Zuweiser”, denen man freundliche kollegiale Grüße schicken muss”. Blochs Antwort:
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- Allgemeinmediziner sind Gate-Keeper und das Weichenwerk des Gesundheitswesens – alles läuft über den Hausarzt.
- Sie bieten Beratung und Hilfe im häuslichen Umfeld.
- Mit ihrer Erfahrung und Ausbildung fungieren sie unter anderem auch als Echolot zwischen den ständig verfügbaren Gesundheitsinformationen über Google und diversen Apps.
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4. Geld und Glück: “Allgemeinmediziner verdienen kein Geld und befinden sich am letzten Glied der Nahrungskette”. Auch das ist laut Bloch so nicht richtig:
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- Als niedergelassener Hausarzt kommt man mindestens auf das Gehalt eines Oberarztes.
- Man kann sich seine Patienten aussuchen und seinen Arbeitsalltag frei gestalten – auch die Arbeitszeiten.
- Als niedergelassener Allgemeinmediziner verfügt man über große Autonomie und ist sein eigener Herr.
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5. Hausärzte sind Ärzte zweiter Klasse: “Der Allgemeinmediziner hat keine richtige Ausbildung, bildet sich nicht weiter und bleibt so dümmer als seine Kollegen in der Uniklinik”. Dem entgegnet Bloch:
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- Mit ihrer speziellen Weiterbildung sind sie genauso Fachärzte wie andere auch. Die Weiterbildung wird durch die Weiterbildungsordnung geregelt.
- Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist die Voraussetzung für einen KV-Sitz-Kauf.
- Auch der Allgemeinmediziner unterliegt einer Weiterbildungspflicht.
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6. Einer gegen alle: “Der Allgemeinmediziner als Einzelkämpfer ist immer und zu jeder Zeit für seine Patienten zuständig, ein Leben neben dem Beruf ist nicht möglich”. Dagegen sagt Bloch:
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- Die Einzelpraxis ist schon längst nicht mehr das einzige Modell. Daneben gibt es immer häufiger Praxisgemeinschaften oder MVZs und andere Formen, wie sich mehrere Ärzte gemeinsam organisieren.
- Durch die Möglichkeit, sich von einem Kollegen anstellen zu lassen, entstehen ebenfalls neue Praxismodelle
- Keine Residenzpflicht – der Arzt muss nicht am Praxisort wohnen.
- Durch eine Dienstbörse gibt es die Möglichkeit, Dienste auf kollegialer Basis zu organisieren und an andere Kollegen zu verkaufen bzw. von ihnen zu kaufen.
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7. Buchhaltung ist Hexenwerk? “Der Allgemeinmediziner verwendet viel Zeit und Energie für die Buchhaltung seiner Praxis”. Die Realität sieht laut Bloch ganz anders aus:
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- Buchhaltung ist kein Hexenwerk – man braucht nur einen guten Lehrer.
- Kurse helfen dabei, die Buchhaltung neu zu lernen.
- Nach einem halben Jahr in der Praxis weiß man, worauf es ankommt.
- Insgesamt braucht die Verwaltung nur 2-3 Stunden pro Woche – der Rest wird durch Software erledigt.
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8. Lacher statt Macher: “Der Allgemeinmediziner kann gar nichts machen, sondern überweist einfach weiter”. Auch das stimmt so nicht, erklärt Bloch:
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- Als Allgemeinmediziner macht man viel selbst: zum Beispiel kleine chirurgische Eingriffe oder die Abstimmung der Medikation.
- Der Allgemeinmediziner ist der Anwalt des Patienten.
- Patienten sind sehr dankbar: “Danke, dass Sie da sind!” hört man im Krankenhaus nur selten.
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9. Wissen und Wissen schaffen: “Der Allgemeinmediziner hat nur einen sehr begrenzten Horizont, zu späte Überweisungen und eine basale Wissenschaftlichkeit sind vorherrschend”. Auch das hat für Bloch wenig mit der Realität zu tun:
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- Für die Allgemeinmedizin gibt es genauso Leitlinien wie für alle anderen Disziplinen (DEGAM).
- Jeder Arzt braucht den Willen zur Weiterentwicklung, Medizin ist Erfahrungswissenschaft.
- Allgemeinmedizinische Lehrpraxen sind an den Universitätsbetrieb angebunden.
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10. Allgemeinmediziner sind gescheiterte Klinik-Existenzen: “Wer Hausarzt wird, hat im Klinikbetrieb versagt”. Für Bloch ist das Blödsinn und eigentlich eine Beleidigung:
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- Es gibt mehr als Arbeit – aber das ist in der Klinik schwer zu realisieren.
- Mit Blick auf die deutlich bessere Work-Life-Balance stellt sich eher die Frage: Gescheitert oder gescheit?
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Mit Blick auf den letzten Aspekt gab Bloch künftigen Allgemeinmedizinern noch einen Tipp auf den Weg: Wer schon im Studium wisse, dass er sich auf diesen Bereich spezialisieren wolle, müsse sofort eine strukturierte Weiterbildung anfangen und sich einen Plan zurechtlegen, wie lange er in welche Fachbereiche wolle. “Einfach erstmal irgendwas anfangen, ist nicht die beste Lösung”, riet Bloch. Dabei reiche es völlig aus, 18 Monate in der inneren Medizin zu verbringen – dann habe man alles gesehen, was für die Hausarzt-Praxis wichtig sei. Und dabei sei eine kleinere Klinik eventuell die bessere Wahl: Hier könne man in kurzer Zeit relativ viele verschiedene Krankheitsbilder und deren Behandlung kennenlernen. In der Uniklinik dagegen sehe man im schlimmsten Fall jahrelang nur kardiologische Notfälle und nichts anderes, betonte Bloch.
Allgemeinmedizin sei heute etwas Privilegiertes, stellte er klar. In keinem anderen Bereich werde der Nachwuchs so umworben und mit Stipendien gelockt wie in der Allgemeinmedizin. Wer ein Examen habe und Deutsch könne, könne sich seine Stelle prinzipiell aussuchen. Außerdem solle man die Möglichkeiten der Weiterbildungsverbünde nutzen, um auch als Assistenzarzt in einem kleinen Krankenhaus alle Bereiche kennenzulernen, die in der Weiterbildungsordnung vorgesehen sind. Dabei solle man auch unbedingt in verschiedene Bereiche hineinschnuppern: Ein halbes Jahr Psychiatrie oder drei Monate Dermatologie seien eine sinnvolle Ergänzung für einen künftigen Hausarzt.
Allerdings mahnte Bloch auch zu einem gesunden Egoismus: “Sie brauchen nicht alles – wählen Sie aus, was für Sie sinnvoll ist!”
Quelle: Operation Karriere Bochum, 18.05.2019, “Wege in die Allgemeinmedizin”, Dr. Michael Bloch, Mitglied des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe und des Forums Weiterbildung, Unna