Wie an der TU München digitale Kompetenz von Medizinstudierenden gefördert wird

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Die Digitalisierung nimmt einen immer größer werdenden Stellenwert in der heutigen Gesellschaft ein und ist aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Die TU München will Studierende mit der Veranstaltung "NIM: New Ideas for Medicine" darauf vorbereiten.

Während in der freien Marktwirtschaft die Kommunikation und Arbeitsprozesse meist kontinuierlich dem neusten Stand der Digitalisierung angepasst werden, bestehen im medizinischen Bereich teilweise noch Probleme bei der Implementierung. Diese Hürden bestehen unter anderem dadurch, dass eine Umstellung auf digitale Prozesse in einem großen Krankenhaus mit über 100-jähriger Tradition und Bausubstanz mit einem enormen infrastrukturellen Aufwand und dementsprechenden Kosten verbunden ist oder es bezüglich hochsensibler Patientendaten ganz besondere Anforderungen an den Datenschutz sicherzustellen gilt. Durch diese Schwierigkeiten schreitet die Digitalisierung im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Sektoren gegenwärtig zwar vermeintlich nur langsam voran, ist jedoch nicht aufzuhalten. Aktuell gibt es eine Vielzahl an Beispielen für neue Technologien, die sich oft noch in der Entwicklungs- und Etablierungsphase befinden, die jedoch zukünftig einen großen Benefit für den Alltag des medizinischen Personals sowie Patienten und Patientinnen als auch der allgemeinen Bevölkerung bieten können.

Idee zur Gründung der neuen Lehrveranstaltung

Um die Digitalisierung in der Medizin weiter zu fördern, ist es wichtig, die Medizinstudierenden, Ärzte und Ärztinnen sowie alle im Gesundheitssektor tätigen Personen frühzeitig über die Möglichkeiten und das Potential von Digitalisierung aufzuklären. Aus diesem Grund wurde im Mai 2019 erstmalig die neu kreierte interdisziplinäre Lehrveranstaltung “Neue Technologie und die Krankenversorgung von morgen” unter der Leitung von PD Dr. Dr. Alexander Zink an der Fakultät für Medizin der Technischen Universität München angeboten. Seitdem wird die Veranstaltung in jedem Semester erfolgreich abgehalten, zuletzt unter dem neuen Namen «NIM: New Ideas for Medicine». Im Rahmen dieses zweitägigen Seminars sollen die Studierenden von internen und externen Referierenden unter anderem einen umfassenden Einblick darüber vermittelt bekommen, welche digitalen Technologien und Visionen es bereits gibt, welche digitalen Health Start-up Ideen gegenwärtig umgesetzt werden, wie künstliche Intelligenz (KI) funktioniert und wie diese beurteilt werden kann, welche Rolle das Internet in der heutigen Gesundheitsversorgung spielt und welche rechtlichen, soziokulturellen, ethischen und philosophischen Themen sich in diesem Kontext ergeben.

KI unterstützt die Diagnosestellung

Ein Beispiel. In der Dermatologie kann ein neuronales Netzwerk dazu dienen, Dermatoskopiebefunde zu evaluieren. Durch den kontinuierlichen Lernprozess anhand von großen Datenmengen (“Big Data”) in Form von Bildern, kann KI so trainiert werden, dass sie durch eine hohe Sensitivität und Spezifität Dermatologen und Dermatologinnen bei der Diagnosestellung unterstützen kann. Ein weiteres Beispiel, wie hilfreich KI bei der Diagnosestellung von Erkrankungen aller medizinischen Bereiche sein kann, kommt von Ada, einem weltweit agierenden Gesundheitsunternehmen. Das Unternehmen hat eine App zur Symptomanalyse entwickelt. Diese kann von der Bevölkerung genutzt werden, um bei auftretenden Symptomen zunächst einmal selbst anhand von zahlreichen Fragen testen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit die jeweilige Hauptdiagnose und mögliche Differentialdiagnosen vorliegen.

Vor- und Nachteile des Internets als Informationsquelle

Ziel des Seminars ist es ebenfalls den Studierenden einen Überblick darüber zu verschaffen, wie Digitalisierung bzw. digitale Daten für die Forschung genutzt werden können. Ein Schwerpunkt hierbei ist das Suchverhalten der Allgemeinbevölkerung auf Internetsuchmaschinen bezüglich gesundheitlicher Themen. Denn das Internet spielt eine immer bedeutendere Rolle im Bereich der “patient-journey”. So zeigt die Arbeitsgruppe von Dr. Zink anhand von zahlreichen Publikationen zu dermatologischen Erkrankungen auf, dass das Suchvolumen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat und es regionale Unterschiede in der Suchhäufigkeit sowie dem Suchverhalten gab. Dies kann auch zur Beantwortung medizinischer und versorgungswissenschaftlicher Fragestellungen herangezogen werden. Durch die qualitative Analyse identifizierter Suchbegriffe können zudem scheinbare “unmet medical needs” aufgedeckt werden, wie z.B. ein hohes Suchinteresse der deutschen Bevölkerung in Bezug auf Juckreiz im genitoanalen Bereich, was basierend auf klassischen Gesundheitsdaten bisher unerkannt blieb.

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In der Lehrveranstaltung wird jedoch nicht nur hervorgehoben, wie Internetdaten zum Vorteil für die Forschung genutzt werden können, sondern auch welche Schwierigkeiten für die evidenzbasierte Medizin bestehen, dadurch, dass das Internet vermehrt für gesundheitliche Fragestellungen genutzt wird. Da den Nutzern und Nutzerinnen von Suchmaschinen oft tausende von vermeintlich relevanten Seiten vorgeschlagen werden, ist es für medizinische Laien extrem schwierig zu überblicken, ob die gefundenen Informationen auf Webseiten auf verlässlichen, wissenschaftlich belegten Quellen basieren.

Zudem werden von Betroffenen häufig Selbsthilfegruppen auf Social Media Plattformen wie Facebook genutzt, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Problematisch hierbei ist, dass immer wieder vermeintlich effektive Therapieoptionen empfohlen werden, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Um diesen Problemen entgegen zu wirken, ist es von enormer Wichtigkeit, zum einen herauszufinden, welche Informationen ausgetauscht werden und zum anderen der Bevölkerung auf einfache Weise zu vermitteln, welche Informationen vertrauenswürdig sind.

Natural language processing und Netzwerkanalysen

Eine Methode die großen Datenmengen auf Social Media Plattformen zu analysieren ist «natuaral language processing» (NLP). Beim NLP wird eine KI genutzt, die die menschliche Sprache verstehen und interpretieren kann, wodurch Interessenschwerpunkte identifiziert werden können. Eine weitere Methode, um Big Data übersichtlich darzustellen, sind so genannte Netzwerkanalysen. Anhand von Netzwerkgraphen kann der Fokus in einem bestimmten Forschungsfeld basierend auf der Vernetzung von Wörtern, die beispielsweise in Publikationstiteln, Abstracts, Postern oder Blogs verwendet wurden, dargestellt werden. Eine Erweiterung zu einem interaktiven Tool, das die Daten mehrerer Jahre beinhaltet, ist dahingehend nützlich, dass die Entwicklung der Forschung sehr übersichtlich dargestellt ist. Das kann für die Planung zukünftiger Forschung sehr nützlich sein.

Zusammenfassung

Besonders wichtig ist den Veranstaltern und Veranstalterinnen die Interdisziplinarität des Seminars, um den Teilnehmern und Teilnehmerinnen die vielen Facetten der Digitalisierung aufzuzeigen. Entsprechend referieren und diskutieren in jedem Semester neben den Referierenden universitärer Medizin insbesondere auch Startup-Vertreter, große digitale Player, Politikvertreter und Politikvertreterinnen, wie zuletzt aus dem Bundesministerium für Gesundheit, Juristen und Juristinnen verschiedener Fakultäten und Schwerpunktfelder, Ethiker und Ethikerinnen der Hochschule für Philosophie München, Blockchain-Experten und Expertinnen aus der Finanzwelt, Cyber Security Experten und Expertinnen sowie Hacker und Hackerinnen.

Quelle: Kompass Dermatologie 2020;8:174–18, Original-Beitrag zum Download (pdf)

Das Autorenteam:
Dr. Linda Tizek und PD Dr. Dr. Alexander Zink

Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, Fakultät für Medizin, Technische Universität München

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