Das sollte man machen: Eine Umfrage dazu, um wie viel sich der Medienkonsum bei Kindern in Zeiten des Lockdowns steigert. Aus eigenen Erfahrungen kann ich sagen: Die Steigerung liegt etwa bei 100 Prozent (Lernmedien nicht mit eingerechnet). Ist das ein guter Tausch, Schule gegen Medien? Ich glaube, die Antwort erübrigt sich.
Aber in der Realität…
Von der Quarantäne in den Lockdown
In meinem letzten Beitrag erwähnte ich, dass wir von dem Lockdown vor Weihnachten noch nichts ahnen konnten. Er kam, kaum dass die Klasse meines Sohnes aus der Quarantäne entlassen war. Am Sonntag wurde er beschlossen, am darauffolgenden Mittwoch schon wurden die Schulen geschlossen. Es blieben uns zwei Werktage, um die Betreuung unserer Kinder sicherzustellen. Da ich allein schon einen Tag auf die Email von der Schule warten musste, ob ich ein Recht auf Notbetreuung hätte, blieb nicht viel Zeit, um die Situation mit meinem leitenden Oberarzt zu besprechen.
Wir bekamen die Notbetreuung bewilligt, da wir die Bedingungen erfüllten: Mein Mann arbeitet selbständig und ich in einem sogenannten systemrelevanten Beruf. Allerdings bekam ich bald darauf einen Anruf von unserem Lehrer, der mir erklärte, wie die Notbetreuung in der Schule abläuft.
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Die Kinder müssen in ihren Klassenverbänden bleiben, damit keine neuen Infektionsketten entstehen. Leider schrumpfen die einzelnen Klassen natürlich auf einige Hanserl zusammen und zudem fehlt es an Personal, sodass ein Lehrer mehrere Überbleibsel von Klassen gleichzeitig betreuen muss. Sprich, er gibt der einen Klasse ein Ausmalblatt, lässt sie es ausmalen und geht in der Zeit zur nächsten. In unserem Fall bestand der Klassenverband aus genau einer Person: unserem Sohn. Sofort sah ich vor meinem inneren Auge meinen Sohn ganz allein in einem grauen Klassenzimmer; ein Windstoß lässt einen Heuballen durch das Zimmer wehen, ihm fällt sein Stift herunter und der Aufprall hallt lange in der Totenstille nach…
Übrigens dürfen die Lehrer die Schüler nicht unterrichten, damit kein Bildungsvorteil für die entsteht, die in die Notbetreuung gehen. Ob so ein Bildungsvorteil für die entsteht, deren Eltern es sich leisten können, zu Hause zu bleiben und Zeit für homeschooling haben, im Gegensatz zu denen, die nicht einmal einen Computer haben, daran denkt keiner.
Ich lehnte ab. Die Situation, in der wir uns befinden, ist für Kinder schwer genug zu ertragen und ich als Mutter setze alles daran, dafür zu sorgen, dass meine Kinder so heil wie möglich (und zwar nicht nur körperlich heil!) durch diese Pandemie kommen. Alles andere kommt danach. Und trotzdem möchte ich mein PJ nicht abbrechen, für uns als Familie bedeutet es sehr viel, dass ich mein Studium abschließe.
Bis Weihnachten habe ich mir deshalb drei Tage frei genommen und die restlichen drei Werktage übernahmen meine Mutter, unsere Babysitterin und mein Mann. Am Rande erwähnt: Wie viele neue potentielle Infektionsketten entstanden dadurch, dass meine Mutter (Risikogruppe!) und am nächsten Tag unsere Babysitterin zu uns kamen, um die Kinder zu betreuen – weniger oder mehr, als wenn die Schulen offen geblieben wären? In Anbetracht dessen, dass wir sicher nicht die einzigen waren, die das so lösten… Naja.
Und wieder in Quarantäne
Wie das Schicksal es so wollte, habe ich mich in den drei Tagen, in denen ich gearbeitet habe, mit Corona angesteckt – es gab mehrere Ausbrüche in der Klinik und kurz nach Weihnachten begannen bei mir die Symptome.
Um die weitere Betreuung mussten wir uns also bis 9. Januar keine Sorgen mehr machen, da wir in Quarantäne waren und die Quarantänezeit nicht als Fehlzeit angerechnet werden darf. Zum Glück erwischte es mich nicht härter als eine Grippe, mein Mann hatte nur leichte Symptome und die Kinder waren und blieben vollkommen fit.
Die Zeit mit den Kindern in Quarantäne war nicht leicht, aber wir haben es unter anderem dank Daddy Television ganz gut geschafft. Meinte Tochter zählte von Anfang an die Tage, wann sie ihre beste Freundin wieder sehen durfte. Jeden Morgen nach dem Aufwachen spreizte sie ihre kleinen Fingerchen und sagte: “Heute nur noch acht Tage, Mama!”
Nach ein paar Tagen legte sich die Trägheit wie eine schwere, dunkle Decke, die zum Winterschlaf einlud, über uns alle. Meine Kinder, die ich als unbremsbar kenne, saßen phlegmatisch auf der Couch und guckten mir einfach dabei zu, wie ich Ordnung in das immer wiederkehrende Chaos zu bringen.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Kaum waren wir aus der Quarantäne entlassen, kam der Lockdown. Na, den Satz hatten wir doch schonmal. Der Lockdown wurde verlängert – was abzusehen war.
Revival of spring 2020. Nur, dass ich in 2021 nicht um 4:30 aufstehen kann, um zu lernen, sondern zur Arbeit muss. Wie ich das mache, weiß ich noch nicht.
Es gibt für arbeitende Eltern generell verschiedene Möglichkeiten: systemrelevant in die Arbeit zu gehen und die Kinder in die Notbetreuung zu schicken; Angestellte können sich krank schreiben zu lassen, hierzu hat der Staat 10 zusätzliche “Kinderkrankentage” eingerichtet. Natürlich kann man auch Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen. Wer Verdienstausfälle erleidet, etwa weil er sich unbezahlten Urlaub nimmt oder Selbständige, die aufgrund der Kinderbetreuung Einbußen haben, können sogar auf finanzielle Hilfe vom Staat hoffen.
Für mich als PJlerin, für die weder Krankschreibungen noch Urlaubstage gelten noch das Arbeitsschutzgesetz, bleibt nur noch die olle die Notbetreuung. Neuerdings ist uns selbst die nicht mehr sicher. Denn seit Januar gilt:
Wer im homeoffice arbeiten kann, hat kein Recht auf Notbetreuung, geschweige denn irgendwelche anderen Hilfen. Wer also am Computer arbeitet, soll mit einem Auge auf den Bildschirm schauen, mit einer Hand tippen, mit einer Hirnhälfte rechnen; und mit dem anderen Auge seine Kinder beobachten, die gerade eine Höhle aus Decken bauen, mit der anderen Hand die Vase auffangen, die dabei herunterfällt und mit der anderen Hirnhälfte Fragen wie: “Warum ist die Banane krumm?” beantworten.
Eltern sind keine Übermenschen
Nein, wir Eltern sind keine Übermenschen und wer gleichzeitig homeoffice, homeschooling und homebespaßing machen muss, ist einfach nicht imstande, seinen Nachwuchs kindgerecht zu betreuen.
Bei der ganzen Diskussion um Notbetreuung und Unterstützung für Eltern wird eines ganz vergessen. Kinder zu betreuen heißt nicht, sie in die Anwesenheit eines Erwachsenen zu setzen; sondern sich auch um das seelische Wohl dieser menschlichen Wesen Gedanken zu machen, die in der Blüte ihrer prägenden Zeit sind; deren sprießenden Dendriten nur darauf warten, verknüpft zu werden – und nicht nur einfach irgendwie.
Mein Sohn vermisst die Schule, weil er dort seine Freunde trifft. Museum, Kino, Pfadfinder, Instrumentalunterricht, Schwimmbad, Zoo, alles verboten. Sie klagen über Langeweile. Selbst, wenn wir einen Ausflug machen, kommen Sätze, wie: “Baum, Baum, wieder Baum, Hügel, Pfütze… Immer das selbe Mama, das langweilt mich!”
Und was Kinder imstande sind, mit Worten auszudrücken, ist in der Tat nur ein Bruchteil der Gefühle, die in ihrem Inneren vorgehen.
Manchmal habe ich Angst, dass ihnen etwas ganz wichtiges verloren geht. Etwas, was in unserer Kindheit selbstverständlich war; Schwerelosigkeit, Sorglosigkeit, Freunde. Alles, was wir hier gerade veranstalten (beispielsweise Verzicht auf große Teile unserer persönlichen Freiheit zugunsten der gesamten Gesellschaft), ist doch nur möglich, weil wir als Kinder gelernt haben, in einer Gesellschaft zu leben, soziale Kontakte zu haben und zu erhalten.
Etwas, was unseren Kindern nun genommen wird, stattdessen werden sie von ihren überforderten Eltern vor dem Fernseher oder iPad abgesetzt. Was wird das für Folgen haben? Vielleicht keine, es ist ja nur ein Jahr bisher. Vielleicht schwerwiegende, wenn man bedenkt, dass diese Zeit für Kinder prägend ist und ein Jahr für die Knirpse ein Viertel ihres kleinen Lebens ausmacht.
Wenn Kinder uns wirklich wichtig wären, müssten wir viel mehr Energie und Geld in deren “Betreuung” stecken. Gerade jetzt, wo alles, was ein Kinderleben ausmacht, verboten ist.
Kopf frei für Alternativen
Die Maßnahmen sind nötig, um die Pandemie in den Griff zu bekommen – das steht außer Frage. Man sollte sich nur ein bisschen mehr Gedanken darüber machen, wie Kindern mehr geholfen werden kann, anstatt alle Betreuungseinrichtungen rabiat zu schließen.
Eine gute Lösung ist zum Beispiel der Vorschlag der Juso-Chefin, Lehramtsstudenten für die Notbetreuung einzusetzen, die Klassen aufzuteilen und große, meist gut belüftete Räumlichkeiten in den leerstehenden Hotels zu nutzen. Die Räumlichkeiten müssten für die Kinder fußläufig zu erreichen sein, damit nicht überfüllte Busse durch die Gegend fahren. Aber wenn man die Dichte von Restaurants und Hotels mit der Dichte der Schulen vergleicht, erübrigt sich diese Sorge: Kein Sprengel einer Grundschule ist kleiner als der Abstand von Hotel zu Hotel.
Zusätzlich könnte man ein oder zwei Mal die Woche jede Gruppe gepoolt testen. Natürlich ist das ein riesiger Organisationsaufwand, aber auch hier: Wie viel muss ich persönlich organisieren, weil die Schulen geschlossen werden? Ich würde mich freiwillig melden, um diese Kraft in die Hilfe aller zu stecken und bin ganz sicher nicht allein.
Natürlich kostet das Geld. Wenn ich aber lese, wie viele Milliarden Euro Firmen wie Tui als Hilfspaket bekommen, stellen sich mir die Nackenhaare auf.
In was für einer Gesellschaft leben wir?