Die meisten Medizinstudierenden fangen zu spät an, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Möglicherweise geraten sie dann in eine Sackgasse und stellen fest, dass ihr eingeschlagener Weg nicht das ist, was sie eigentlich machen wollen. „Je früher sich junge Ärztinnen und Ärzte schon während des Studiums darum kümmern, desto besser ist die Auswahl“, sagt Dr. Umeswaran Arunagirinathan, Funktionsoberarzt für Herzchirurgie am Klinikum Links der Weser in Bremen, auch bekannt als „Dr. Umes“.
Manchmal sollte man sich bei der Auswahl der Klinik auch langfristige Gedanken machen. Das fange schon im Studium mit verschiedenen Fragen – auch zum Thema Work-Life-Balance – an:
- Was liegt mir?
- Was macht mir Spaß?
- Was bin ich für ein Mensch?
- Möchte ich lieber mit älteren oder jüngeren Patientinnen und Patienten arbeiten?
- Möchte ich möglichst viel oder wenig Patientenkontakt?
- Mit welchem Typ von Menschen möchte ich arbeiten?
- Möchte ich im Krankenhaus oder in einer Praxis arbeiten?
- Möchte ich für meinen Beruf leben?
- Möchte ich Familie und Kinder?
- Möchte ich neben der Arbeit noch ein anderes Hobby ausüben?
Hospitation ist das A und O
„Ich hätte vor meiner Facharzt-Weiterbildung in der Herzchirurgie gern mal mit anderen Herzchirurgen gesprochen. Habe ich aber nicht“, bereut Dr. Umes seine Entscheidung zurückblickend. Ganz wichtig sei eine Hospitation, bevor man eine Stelle antrete oder sich für eine Fachrichtung entscheide. Und dafür reiche nicht nur ein halber oder ein Tag, zwei Tage sollten es mindestens sein.
„Stellt auf jeden Fall die Frage, wie viele Fachärzte an der Klinik in den letzten zwei Jahren ausgebildet wurden“, rät der Mediziner. Oder für den Fall, dass es sich um ein operatives Fach handele, biete sich die Frage an, wie viele Operationen tatsächlich stattfinden und an wie vielen man teilnehme. Auch die Frage nach den Diensten und der Dienstbelastung sei essenziell. Außerdem empfiehlt er, nicht nur eine Person zu den Arbeitsbedingungen und der Atmosphäre zu fragen, sondern möglichst viele.
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„Wenn ihr euch für eine Fachrichtung entscheidet, solltet ihr diese auch langfristig durchhalten“, sagt der Herzchirurg. Man könne besser ein halbes Jahr später anfangen, aber alles Entscheidende kennengelernt haben, als blindlings eine Stelle anzutreten und nach zwei Jahren festzustellen, dass es nicht das Richtige war.
Die Persönlichkeit muss zur Fachrichtung passen
Ebenso wichtig sei die eigene Persönlichkeit sei bei der Facharztwahl. Nicht jede Fachrichtung eigne sich für jede Person. „Ich selbst hatte persönliche Probleme damit, in der Kinderherzchirurgie zu arbeiten. Das konnte ich emotional nicht“ sagt Dr. Umes. Es sei beispielsweise ein Unterschied, ob man viel mit Patientinnen und Patienten arbeiten und Vertrauen ausstrahlen möchte, oder lieber weniger Patientenkontakt bevorzuge, aber der ärztlichen Tätigkeit nachkommen wolle. Die eigenen Ziele und Vorstellungen beeinflussen daneben auch die Größe der Klinik, in der man arbeiten möchte. Für wissenschaftlich Interessierte eigne sich beispielsweise eine Uniklinik besser als ein kleines Haus.
Eine der wichtigsten Fragen, die man sich beim Berufseinstieg stellen soll, sei: „Was möchte ich in zehn Jahren?“ Darüber mache man sich als junger Medizinstudent oder Medizinstudentin keine oder zu wenig Gedanken. Bei der Wahl des Arbeitgebers sollten künftige Ärztinnen und Ärzte darauf achten. Wenn jemandem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig sei, passt das auch zum künftigen Arbeitgeber? Ist er familienfreundlich und offen gegenüber Teilzeitmodellen? Auch hier empfiehlt Dr. Umes wieder die mehrtägige Hospitation und genaues Fragen bei möglichst vielen Personen aus der Klinik. Das Vorstellungsgespräch allein reiche seiner Meinung nach auf keinen Fall aus. „Marketing spielt eine große Rolle bei den Arbeitgebern“, sagt Dr. Umes. Die Wahrheit über eine Stell erfahre man nur, wenn man mit möglichst vielen und möglichst unterschiedlichen Personen spreche. Gleichzeitig müsse man sich als Berufseinsteiger oder -einsteigerin die Frage stellen, ob nicht nur die Klinik, sondern auch die Stadt der Ort ist, an dem man leben möchte.
Gute Voraussetzungen für Medizinstudierende
Ebenso sei ein Wechsel der Fachrichtung kein Problem. Man solle lieber frühzeitig wechseln, wenn man bemerke, dass das Fach nichts für einen ist, anstatt es einfach nur aus Prinzip zu Ende zu führen oder den Wechsel als Niederlage anzusehen.
„Das Gute an eurer Situation ist, dass sich der Arbeitgeber um euch bemühen muss“, so der Mediziner. Man habe als Medizinstudierender gute Karten. Das müsse man für den Berufseinstieg ausnutzen. Jeder Tag sei eine Gelegenheit, seinen eigenen Weg neu zu definieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen. „Wichtig ist am Ende, dass wir im Leben glücklich sind“, schließt Dr. Umes.
Zum Hintergrund: Dr. Umes kam als Flüchtling aus Sri Lanka mit 12 Jahren nach Deutschland. Er machte in Hamburg sein Abitur und studierte Medizin in Lübeck. Schon seit seiner Kindheit war ihm klar, dass er Arzt werden will. Trotz behördlicher, persönlicher und rassistischer Schwierigkeiten hat er sein Ziel nie aus den Augen verloren.
Quelle: Vortrag „Work-Life-Balance im Klinikalltag: Tipps aus der Praxis und Augen auf bei der Facharztwahl“, Dr. med. Umeswaran Arunagirinathan, Klinikum Links der Weser, Bremen, Operation Karriere Hamburg, 12.05.2023