Über Ängste sprechen: Was gute Worte bewirken können

In der griechischen Mythologie ist Eileithyia die Göttin der Geburt und Beschützerin gebärender Frauen. Unsere Autorin möchte Gynäkologin werden. Da es in ihrem Blog um sehr persönliche Themen geht, schreibt sie unter einem Pseudonym. | privat / DÄV
Operation Karriere-Bloggerin Eileithyia möchte Gynäkologin werden. Aber die Arbeit im OP macht ihr Angst. Ihren Berufswunsch will sie nicht aufgeben – also hat sie beschlossen, offen über ihr Problem zu sprechen. Was sie damit für Erfahrungen macht, schildert sie im Beitrag.

Ich habe seit meiner ersten Famulatur Angst vor dem OP-Saal. Schon das Wort Operation assoziiere ich mit Stress, Angst, unfreundlichen Menschen – kurzum: Mit einer zu vermeidenden Situation. Auch wenn sich meine Einstellung schon deutlich verändert hat und ich immer mehr Gefallen am Operieren finde, falle ich doch immer wieder in meine alte Denkweise zurück.

Auf meiner aktuellen Station ist vieles anders – das Team ist nett, die OPs sind meist kurz, ich kann vieles machen, muss aber nicht – und dennoch hat sich meine Angst vor dem OP so tief eingebrannt, dass ich – wann immer möglich – dieser Angst aus dem Weg gehe. Doch das ist genau das, was die Angst nur noch befeuert. Wie bei den meisten Phobien oder Ängsten – seien es Spinnen, Höhe oder tiefe Gewässer – hilft Konfrontation. Sich selbst dazu zu bewegen, bedarf jedoch einer enormen Überwindung und vor allem Unterstützung. Und genau da ist der Haken: Über Jahre hinweg war mir zunächst nicht klar, dass ich Angst hatte, und auch als ich es wusste, habe ich mich nicht getraut, mich gegenüber jemandem im Krankenhaus zu öffnen.

Verletzlichkeit zeigen erfordert Mut

Denn in diesem Moment zeigt man Verletzlichkeit – anstatt, wie man es eingetrichtert bekommt, stets Überlegenheit zu demonstrieren.  Verletzlichkeit zu zeigen gegenüber Menschen, die man nicht oder erst seit kurzem kennt, erfordert unendlich viel Mut. Für mich ist das aber – wie ich jetzt festgestellt habe – die Befreiung aus der Angst. Dadurch, dass ich mich anderen Menschen mitteile, brauche ich mich weniger zu fürchten – vor dem Moment, in dem mir schwindelig wird und die ganze OP unterbrochen werden muss, damit ich abtreten und mich hinsetzen kann. Zehn Leute starren einen an und fragen, ob man etwas essen oder trinken oder sich hinlegen möchte – eigentlich eine tolle und hilfsbereite Reaktion. Und doch fühlt es sich für mich nach Entblößung an. Wie damals im Sportunterricht, wenn man einen Basketball an den Kopf bekommen hat und einem durch die Aufmerksamkeit der anderen erst recht die Tränen in die Augen schossen.

Da die Gynäkologie aber nunmal ein chirurgisches Fach ist, habe ich zwei Optionen: Möglichkeit A – ich entscheide mich doch für eine andere Spezialisierung und gebe meinen Traum von der Geburtshilfe auf. Die andere Option besteht darin, mein Problem offen anzugehen. Ich habe mich über die letzten Wochen vorsichtig herangetastet und mit verschiedenen Assistenzärztinnen darüber geredet, dass mir im OP öfter mal schwindelig wird, beziehungsweise, dass ich aufgrund meiner Ängste nicht gerne in den OP gehe. Ausnahmslos alle haben nett reagiert.

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Was ein gutes Gespräch bewirken kann

Und als ich in der vergangenen Woche zum ersten Mal mit einer neuen Ärztin im OP stand, habe ich sie beim Einwaschen direkt darauf angesprochen, dass ich in der Herzchirurgie sehr schlechte Erfahrungen mit den Operateuren gemacht habe und starke Ängste aufgebaut habe. Sie hat so gut und aufbauend reagiert, wie man es nur tun kann und das auf eine Art und Weise, dass ich mich gleichgestellt gefühlt habe. Als Erste hat sie – meinem Gefühl nach – das Ausmaß meiner Ängste wahrgenommen. An diesem Tag bin ich zum ersten Mal seit Jahren nicht nassgeschwitzt aus dem OP gekommen. Seitdem bemühe ich mich, mir vor jeder Operation ihre Reaktion vor Augen zu führen. Das gibt mir – zumindest manchmal – die Stärke, eine OP durchzustehen.

Und wenn mir doch einmal schwindelig wird, dann versuche ich, es nicht als Misserfolg wahrzunehmen. Stattdessen bemühe ich mich, die Hilfe meiner Kollegen anzunehmen und mir bewusst zu machen, dass Verletzlichkeit zu zeigen in keinster Weise ein Eingeständnis von Schwäche ist, sondern viel mehr einen offenen und bewussten Umgang mit den eigenen Schwächen und somit eine innere Stärke bedeutet. Und auch die Hilfe der Mitarbeiter im OP-Saal anzunehmen und als etwas Positives wahrzunehmen, trägt seinen Teil dazu bei – auf dem Weg zu einem ausgeglicheneren und entspannteren Umgang im Krankenhaus.

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