Stress lass nach! Gesunde Selbstführung im Klinikalltag

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA, Inhaberin, Trainerin und Coach, Leaders Academy Augsburg und Professorin für Health Care an der AKAD University © Freitag
Autonomie, Entspannung oder doch das Zeitmanagement? Was genau bedeutet eine gesunde Selbstführung für Ärztinnen und Ärzte und was ist dafür wichtig? Wie du den stressigen Klinikalltag überstehen kannst und warum ausgerechnet die Toilette der beste Ort der Klinik ist, erklärte Prof. Dr. Sonja Güthoff auf dem Operation Karriere-Kongress in München am 4. November.

Stress ist nicht nur für Ärztinnen und Ärzte, sondern auch schon für Studierende ein ständiger Begleiter. In dem Workshop „Selbstführung für Medizinerinnen und Mediziner“ gaben 52 Prozent der Teilnehmenden an, sich häufig gestresst zu fühlen, 36 Prozent fühlen sich manchmal gestresst und nur 12 Prozent selten gestresst. Aber wie schlimm ist Stress eigentlich? „Stress an sich ist total cool“, sagt Güthoff. „Denn mit Stress können wir auch viel erreichen. Er gibt uns Power und Energie. Ein bisschen Druck brauchen wir auch.“ Man wolle natürlich sein Leistungsniveau hochhalten. Das gelinge am besten mit einem mittleren Anspannungsniveau, also weder zu viel Stress, wodurch man überfordert sei, noch zu wenig Stress, was zu Unterforderung führe.

Hilfreiche Übungen gegen akuten Stress

Stress entstehe durch verschiedene Stressoren. Doch die müssen nicht zwangsläufig bei jedem Stress auslösen, entscheidend sei eher die eigene Bewertung dieser Stressoren, weiß Güthoff. Doch wie kannst du mit akutem Stress umgehen, wenn es zu viel wird? Für die Stressreduktion gibt es verschiedene Übungen, die man in körperliche und Aufmerksamkeitsübungen unterscheiden kann. Zu den körperlichen Übungen gehören beispielsweise Atemtechniken wie die 4+4=8 Methode. Hier atmest du vier Sekunden lang ein, hältst dann den Atem vier Sekunden lang an und atmest anschließend acht Sekunden lang aus, optimal auch mit Verwendung der Lippenbremse, wie sie in der Asthmatherapie Anwendung findet. „Ich habe Ärztinnen und Ärzte im Mentoring, die sage, das sei das Allerbeste“, sagt Güthoff. Durch das Innehalten und die Konzentration auf das Zählen und die Atmung könne man akuten Stress sofort reduzieren.

Eine andere körperliche Übung ist die progressive Muskelrelaxation. „Um wirklich zu entspannen, muss man erst in die Anspannung gehen“, erklärt die Medizinerin die Methode. Für eine kurze Übung reiche es schon, die Muskeln im Nacken und Schulterbereich 15 Sekunden lang anzuspannen und danach locker zu lassen. Denn dort sitze bei den meisten Menschen die Anspannung. Die Übung rege die Durchblutung an und könne einfach etwas Stress reduzieren.

„Wenn man total im Stress ist, kommt man quasi in einen Autopiloten-Modus“, erklärt Güthoff. „Man weiß nicht, was man zuerst machen soll. An dieser Stelle muss man den Pause-Knopf drücken und aussteigen.“ Es müsse auch Situationen und Zeiten geben, in denen man auch auf Station allein sein kann, um zum Beispiel in Ruhe Dinge wie Arztbriefe abzuarbeiten. Das solle man auch klar im Team kommunizieren. Als Aufmerksamkeitsübung, um dann kurz aus dem Autopiloten auszusteigen, hat Güthoff ebenso ein Beispiel parat: die 3-2-1-Methode. Als erstes macht man sich drei Dinge bewusst, die man sieht. Anschließend drei Dinge, die man hört und zum Schluss drei Dinge, die man spürt. Das wiederholt man nochmals mit zwei und danach mit einem Ding. Möglich sei außerdem, sich schöne Momente zu visualisieren, zum Beispiel aus dem letzten Urlaub oder einer anderen geeigneten Situation. „Bildet euch kleine Oasen, an die ihr immer denken könnt“, appelliert Güthoff.

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Power Posing – zum Beispiel auf der Toilette

Und wie kann man sich selbst – gerade als junge Assistenzärztin oder junger Assistenzarzt – auf Station stark machen und weniger gestresst fühlen? Hier bringt Güthoff das Power-Posing, untersucht von der Sozialforscherin Amy J. C. Cuddy, ins Spiel. Dort wird zwischen High Power und Low Power Posen unterschieden:

  • High Power Posen/ machtvolle Posen: offene, raumgreifende und entspannte Körperhaltung. Stehen im weiten Stand, Arme auf den Hüften oder in V-Form über den Kopf erhoben, breitbeiniges Sitzen
  • Low Power Posen/ machtlose Posen: enge und geschlossene Körperhaltung. Sitzen oder Stehen mit im Schoß gefalteten Händen oder überschlagenen Beinen und Füßen, Arme vor der Brust verschränkt, vornübergebeugte Haltung

Dadurch, dass man High Power Posen einnehme, könne man auch schon in nur zwei Minuten sein Selbstbewusstsein enorm stärken. Denn das ganze Auftreten werde dann selbstsicherer und dynamischer. „Wenn ihr in einer Klinik anfangt, ist es ganz entscheidend, wie ihr wahrgenommen werdet“, betont Güthoff. „Dafür ist es sinnvoll, dass ihr euch immer wieder gut aufstellt.“ Das gehe besonders gut auf der Toilette – laut Güthoff der beste Ort in der Klinik. Dort sei man allein und habe auf jeden Fall seine Ruhe, man könne also auch ungesehen von allen anderen zwei Minuten lang das Power Posing umsetzen. „Mit dem Power Posing wirken wir bei anderen nicht nur besser, wir fühlen uns auch besser“, erklärt die Medizinerin. Außerdem erhöhe die Methode das Testosteron-Level, gleichzeitig sinke das Cortisol-Level.

Welche inneren Antreiber hast du?

Einen weiteren Aspekt, den Güthoff im Hinblick auf eine gesunde Selbstführung nennt, sind die inneren Antreiber. Dabei handelt es sich um Glaubenssätze, die uns prägen, unsere Verhaltensweisen beeinflussen und die wir häufig schon im Kindesalter entwickeln. Oft seien wir uns ihnen selbst nicht bewusst, aber sie können uns sowohl im negativen als auch im positiven Sinn beeinflussen. Meistens gebe es dabei einen führenden Antreiber, sie seien also unterschiedlich und individuell gewichtet. Insgesamt gibt es fünf verschiedene, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen.

Innere Antreiber verstehen

folgende Vor- und Nachteile können charakteristisch sein

„Sei Perfekt!“

  • Vorteile:
    • Gute Arbeitsqualität.
    • Gründlich und zuverlässig.
  • Nachteile:
    • Druck, alles perfekt machen zu müssen.
    • Hoher Zeitaufwand und Kosten.
    • Anerkennung über fehlerfreie Leistung.
    • Verlangen auch von anderen Perfektion, Vollkommenheit und Gründlichkeit.

„Mach schnell!“

  • Vorteile:
    • Arbeitet schnell.
    • Trifft schnell Entscheidungen.
  • Nachteile:
    • Überlastung durch Hektik und Druck, alles schnell machen zu müssen.
    • Innerer Drang, alles sofort umzusetzen.
    • Möglichst mehrere Dinge gleichzeitig machen wollen.
    • Tappt gerne in die Multitasking Falle.

„Streng dich an!“

  • Vorteile:
    • Zuverlässigkeit.
    • Pflichtbewusstsein.
    • Fleiß.
  • Nachteile:
    • Erfolge, die nicht auf Anstrengungen basieren, sind nichts wert.
    • Erwartet auch von anderen Anstrengung.
    • Gefühl, das man von ernsten Problemen, Schwierigkeiten oder Krisen bedroht wird.
    • Angst, dass andere besser sind, weshalb man sich noch mehr anstrengt.

„Mach es allen recht!“

  • Vorteile:
    • Teamworkfähigkeit.
    • Verantwortungsbewusstsein (v.a. für andere).
    • Loyalität.
  • Nachteile:
    • Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt.
    • Kann nicht “Nein” sagen, wodurch es zur Überlastung kommt.
    • Wird öfter ausgenutzt.
    • Erwartet auch Rücksicht von anderen, ohne aber die eigenen Bedürfnisse und Wünsche klar und deutlich auszusprechen (Folge: Konflikte und Enttäuschung).

„Sei stark!“

  • Vorteile:
    • Durchsetzungsstark.
    • Unabhängig und selbstständig.
    • Hohe Belastbarkeit.
  • Nachteile:
    • Auch unter höchster Anstrengung kommt Aufgeben nicht in Frage.
    • Es fällt sehr schwer, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    • Probleme werden alleine getragen, wodurch man stark belastet wird.
    • Vor allem unter Druck abweisend anderen gegenüber.

Es sei sehr hilfreich, seine „Inneren Antreiber“ auch aus dem Grund zu erkennen, damit man ihnen vor allem in stressigen Situationen bewusst mit „Erlaubern“ entgegenwirken kann. Diese können den Zwang des „Inneren Antreibers“ lösen und die Belastung dahinter neutralisieren. „Überlegt euch für eure inneren Antreiber individuelle Erlauber“, rät Güthoff. Die könne man in stressigen Situationen direkt anwenden. Für den Antreiber „Sei perfekt!“ könne man sich beispielsweise den Satz „Ich darf auch mal einen Fehler machen, das ist menschlich.“ aussuchen, oder für „Streng dich an!“ die Formulierung „Ich erlaube mir, mir meine Kraft einzuteilen.“.

Quelle: Workshop „Selbstführung für Medizinerinnen und Mediziner – wie überlebe ich den Klinikalltag?“, Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA, Inhaberin, Trainerin und Coach, Leaders Academy Augsburg und Professorin für Health Care an der AKAD University, Operation Karriere München am 4. November 2022 

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