Erst nochmal zum Anfang. Zuzeiten von Hippokrates galt in der Diagnostik der Leitsatz «Beobachtung, Befragung und Beurteilung des Patienten» – und das alles nur mit den eigenen fünf Sinnen [3]. Apparative Hilfsmittel kamen erst Jahrtausende später, so im 19. Jahrhundert das Stethoskop [2, 3]. Ende des Jahrhunderts wurden im Rahmen der Elektrifizierung mit der Entwicklung der Elektrokardiografie (EKG) und Elektroenzephalografie (EEG) weitere wichtige Meilensteine gesetzt [2]. Der Trend der zunehmenden Miniaturisierung und Mobilisierung von Elektronik zeigte sich verstärkt ab den 1950er Jahren, der Anfang war die Entwicklung von einfachen Taschenradios und später dem Walkman [4].
Im Zuge dessen wurde in den 1980er Jahren auch die Grundlage für die Entwicklung von Wearables geschaffen und – vorangetrieben durch deren großes Potenzial – zuletzt in Form der sogenannten Smart Skin weiterentwickelt. Smart Skin verspricht eine Erweiterung unserer fünf Sinne und unterstützt das ärztlich geschulte Auge bei der Behandlung von Erkrankungen, vor allem aber auch beim Monitoring von Erkrankungen sowie beim Monitoring von Gesundheit [5].
Smart Skin als Chamäleon der Technik
“Smart Skin ist in der Lage, winzige physiologische Veränderungen zu detektieren, die über lange Zeiträume nur sehr schleichend auftreten”, und gleichzeitig verändert Smart Skin “die Art und Weise, wie medizinisches Personal Patienten überwachen kann” [6]. Das sind große Versprechen und wecken Neugier. Doch was genau ist Smart Skin? Gemeint ist damit ein direkt am Körper getragener Sensor, der in Echtzeitanalyse verschiedenste Parameter messen und objektivieren kann. Die Messwerte werden dabei klassischerweise nichtinvasiv über die Haut detektiert und können unter Alltagsbedingungen vom Patienten selbst erhoben werden [5, 6]. Gleichzusetzen mit der Farbvielfalt eines Chamäleons deckt Smart Skin ein weites Spektrum an Devices ab.
Die Smartwatch war gestern, Microneedles und epidermale Tattoos sind morgen
Infolge des wachsenden Interesses und sich kontinuierlich weiterentwickelnder Technologien wurden bis heute schon einige Smart Skin Devices entwickelt, die sich hinsichtlich des Mechanismus sowie der Messparameter unterscheiden [6–8] und prinzipiell an unterschiedlichsten Körperregionen von Kopf bis Fuß eingesetzt werden können. Und nicht nur Vitalparameter und Schlafzyklus wie bei der klassischen Smartwatch – dem aktuell bekanntestem Vertreter der Wearables – lassen sich messen [8]. E-Textilien beispielweise lassen Rückschlüsse auf die Körpertemperatur ziehen, Kontaktlinsen können den intraokulären Augendruck messen und sogenannte Microneedles können zur Medikamentenapplikation eingesetzt werden, wie zum Beispiel in der Diabetologie [8-11]. Aktuell in Pandemiezeiten sicherlich auch von großer Relevanz sind Gesichtsmasken, die Muster in der Atemtechnik und inflammatorische Prozesse erkennen können, um Entzündungen frühzeitig zu detektieren [8, 12].
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Die Smart Skin, die auch als Electronic Skin bezeichnet wird, lässt sich nach mehreren Gesichtspunkten unterteilen. So gibt es Unterschiede hinsichtlich des Materials, der Funktionsweise und auch der Technik, die ständigen Entwicklungen und Trends unterliegen [6, 10].
In Bezug auf die Sensortechnik gibt es inzwischen etablierte elektrische und physikalische Methoden, aktuell im Trend liegen aber vor allem chemische Sensoren. Im Folgenden näher erläutert werden sollen die chemischen Sensoren nun am Beispiel eines epidermalen Tattoos zur Cortisol-Messung, entwickelt von einer Forschungsgruppe rund um Albert Salleo an der Stanford University [7].
Nichtinvasive Cortisol-Messung als Tool zur Bestimmung des Stresslevels Stress wirkt sich bekanntermaßen auf vielfältige Weise auf unseren Körper aus. Unter Stressbedingungen wird das Hormon Cortisol vermehrt ausgeschüttet und kann daher als Parameter für die Bestimmung des Stresslevels dienen. Cortisol hat verschiedene physiologische Funktionen, ein konstant hoher Cortisol-Spiegel kann sich jedoch auch auf die Psyche auswirken und das Auftreten einer Depression begünstigen [13]. Deshalb kann es von klinischer Relevanz sein, den Cortisol-Spiegel sowie den Spiegelverlauf im Körper zu bestimmen.
Die Forschungsgruppe um Salleo an der Stanford University [7] verfolgt den Ansatz, mithilfe einer nichtinvasiven Methode über Hautsensoren Cortisol im Schweiß zu messen. Über diese Methode können auch Daten von anderen Hormonen sowie von Aminosäuren, Proteinen oder Elektrolyten gesammelt werden, die wiederum Rückschlüsse auf die Stoffwechsellage des Körpers erlauben [14].
Die Messung von Cortisol im Schweiß gelang Salleo und Kollegen durch die Entwicklung einer spezifischen Membran für diesen Mechanismus. Die Membran ist in Abwesenheit von Cortisol durchlässig für Ionen. Bei Anwesenheit des Stresshormons werden die Ionen jedoch geblockt und können durch den Sensor detektiert werden. Konkret bedeutet dies, dass Cortisol selbst nicht gemessen wird, sondern durch Messung der Ionen Rückschlüsse auf die Cortisol-Konzentration im Schweiß gezogen werden. Gleichzeitig weisen die Messungen des Sensors jedoch eine sehr hohe Verlässlichkeit auf und werden zum Beispiel durch Körpertemperaturschwankungen nicht beeinflusst. Vielmehr wurden die Messergebnisse mit zeitgleichen Messungen durch die konventionelle ELISA-Methode (enzyme-linked immunosorbent assay) als Goldstandard eindrucksvoll verifiziert [15]. Gleichzeitig konnte bestätigt werden, dass der Sensor interessanterweise nicht auf Strukturanaloga des Cortisols, wie zum Beispiel das Cortison, reagiert und dass der Hautsensor unter normalen Alltagsbedingungen mit unterschiedlichen mechanischen Druckeinwirkungen auch messgenaue Ergebnisse liefert.
Die Entwicklung dieses Biosensors zur Bestimmung der Cortisol-Konzentration eröffnet der Forschung viele Möglichkeiten für die Entwicklung weiterer Sensoren, die auf dem gleichen Prinzip basieren, sich aber auf andere Hormone oder Biomoleküle beziehen [7].
“Nicht App statt Arzt, sondern Arzt und App”
Durch die Integration von Smart Skin in die ärztliche Tätigkeit kann die Diagnostik verbessert werden, Therapieeinleitungen können beschleunigt und Krankheitsverläufe besser kontrolliert werden. Mit dem Tragen einer Smart Skin könnten langfristig und regelmäßiger Werte gesammelt werden, die ein Monitoring der Patienten in ihrer täglichen komfortablen Umgebung ermöglichen. So kann zum Beispiel differenziert werden zwischen Werten, die während eines Arztbesuches gemessen wurden, oder solchen von zu Hause in “Ruhe”. Das Ziel dabei ist, Störeffekte wie Nervosität zu erkennen und herauszufiltern, was medizinischen Leistungserbringern eine präzisere Beurteilung von Gesundheit und Krankheit bereits in sehr frühen Stadien erlauben würde.
Das Potenzial der Wearables erscheint in diesem Kontext enorm und noch lange nicht ausgeschöpft. Vor allem die Integration in den Alltag von Patienten bietet viel Spielraum für neue Entwicklungen, wie zum Beispiel durch die Ergänzung mit Mobile Health (mHealth). Durch mHealth kann mit dem Einsatz von digitalen Assistenten eine Schnittstelle zwischen Wearables, Patienten und Ärzten geschaffen werden. Die von Parmanto et al. [16] entwickelte SkinCare App beinhaltet genau dies: Selbstpflegeaufgaben, die Überwachung des Hautzustands und die sichere Zwei-Wege-Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten. Das System kann den Patienten so in seiner Therapie besser unterstützen und gleichzeitig die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten erleichtern.
Dabei sollte man mHealth und Wearables keinesfalls als Gegner oder Konkurrenz des Arztes ansehen, sondern als Freund und Unterstützer nach dem Leitspruch des Gesundheitsministers: “Nicht App statt Arzt, sondern Arzt und App” [17].
Literatur
1. Shetty S, Panait L, Baranoski J, et al.: J Surg Res 2012;177:191–195.
2. Bartmann F: Internist 2019;60:319–323.
3. Diepgen P: Geschichte der Medizin, vol 1, ed 2. Chicago, G.J. Göschen, 1913.
4. Condeco Software: The History of Wearable Technology. www.condecosoftware. com/blog/the-history-of-wearable-technology/, 2018 (Zugriff am 16.05.2021).
5. Hammock ML, Chortos A, Tee BC, et al.: Adv Mater 2013;25:5997–6038.
6. Someya T, Amagai M: Nat Biotechnol 2019;37:382–388.
7. Parlak O, Keene ST, Marais A, Curto VF, Salleo A: Sci Adv 2018;4:eaar2904.
8. Ates HC, Yetisen AK, Güder F, et al.: Nat Electron 2021;4:13–14.
9. Ismar E, Kurşun Bahadir S, Kalaoglu F, et al.: Glob Chall 2020;4:1900092.
10. Kim J, Kim M, Lee MS, et al.: Nat Commun 2017;8:14997.
11. Chen G, Yu J, Gu Z: J Diabetes Sci Technol 2019;13:41–48.
12. Maier D, Laubender E, Basavanna A, et al.: ACS Sensors 2019;4:2945–2951.
13. Qin DD, Rizak J, Feng XL, et al.: Sci Rep 2016;6:30187.
14. Emaminejad S, Gao W, Wu E, et al.: Proc Natl Acad Sci U S A 2017;114:4625–4630.
15. Jang HJ, Lee T, Song J, et al.: ACS Appl Mater Interfaces 2018;10:16233–16237.
16. Parmanto B, Pramana G, Yu DX, Fairman AD, Dicianno BE: BMC Med Inform Decis Mak 2015;15:114.
17. Bundesgesundheitsministerium, Spahn J: www.bundesgesundheitsministerium. de/presse/interviews/interviews/handelsblatt-110719.html, 2019 (Zugriff 16.05.2021).
Das Autoren-Team:
Charlotte Steiner, Charlotte Kiani, Alexander Zink; Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Fakultät für Medizin, Technische Universität München, Deutschland
Kontaktadresse: Priv.-Doz. Dr. Dr. med. Alexander Zink, alexander.zink@tum.de
Ein Beitrag von Kompass Dermatol 2021;9:152–163