Medizinische Hilfe in Krisensituationen, egal ob Naturkatastrophe oder militärische Konflikte – darum geht es bei “Ärzte ohne Grenzen”. “Meistens bleibt es nicht bei einem Einsatz”, erklärte Dr. Christina Matsingou beim Operation Karriere Kongress in Köln, “die meisten sind Wiederholungstäter und kommen wieder”.
Prinzipien von Ärzte ohne Grenzen
Die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen beruht im Wesentlichen auf drei Grundsätzen:
- Unabhängigkeit: Die Arbeit der Organisation wird zu mehr als 97 Prozent durch private Spenden finanziert. Seit 2004 wird kein Geld mehr von den USA angenommen, seit 2016 auch nicht von der EU – Grund dafür is die Abschottungspolitik der EU-Staaten. Das soll sicherstellen, dass “Ärzte ohne Grenzen” nicht in Konflikte hineingezogen werden und selbst entscheiden können, wo die Hilfe am dringendsten benötigt wird. Dabei ist die Behandlung für die Patienten kostenlos.
- Unparteilichkeit: Jeder Mensch, der medizinische Hilfe braucht, bekommt sie auch – unabhängig von Religion, Partei oder Zugehörigkeit zu einer Konfliktgruppe. Behandelt werden also Soldaten genauso wie zivile Opfer. Wichtig ist nur, dass in den Einrichtungen von “Ärzte ohne Grenzen” keine Waffen getragen werden.
- Neutralität: Innerhalb von Konflikten bezieht die Organisation keine Position und bleibt neutral.
Speziell die Neutralität stellt den Verein immer wieder vor Schwierigkeiten. So mussten die “Ärzte ohne Grenzen” schon öfter Einsatzgebiete verlassen, weil sie auch dann keine Partei ergreifen können, wenn Menschen direkt vor den Kliniken ermordet werden – wie es beispielsweise während des Genozids in Ruanda im Jahr 1994 geschah.
Die Prinzipien dienen vor allem auch als Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Konfliktgebieten: Denn eine spezielle Bewachung für die Kliniken gibt es nicht.
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Basismedizinische Versorgung
Aber natürlich geht es nicht immer um Kriegseinsätze: Häufig steht die basismedizinische Versorgung im Mittelpunkt. Neben der medizinischen Nothilfe organisiert der Verein inzwischen auch längere Einsätze und arbeitet dabei auch mit anderen NGOs (Non-Governmental Organisations, also Nichtregierungsorganisationen) zusammen. Dabei geht es natürlich in erster Linie darum, den Menschen vor Ort zu helfen. Gleichzeitig wollen die Ärztinnen und Ärzte aber auch auf Notsituationen aufmerksam machen, von denen wir in Europa sonst oft nur wenig erfahren.
Bei den basismedizinischen Einsätzen geht es oft beispielsweise um die Behandlung von Tropenkrankheiten, die Behandlung von Tuberkulose oder um spezielle Ernährungsprojekte. Auch psychologische Hilfe gehört zum Spektrum der Ärzte ohne Grenzen, beispielsweise in Flüchtlingslagern.
Die Professionalität der Einsätze entsteht vor allem durch standardisierte Abläufe, die an die jeweilige Situation angepasst werden. Pro Projekt seien in der Regel nur 1-2 Ärztinnen und Ärzte im Einsatz, erklärte Matsingou. Darüber hinaus gebe es in den Teams auch viele Fachkräfte aus anderen Bereichen, beispielsweise der Pflege, der Geburtshilfe, Koordination, Finanzen, Sanitäre Anlagen und Wasseraufbereitung, Psychologie oder Labor. Eine wichtige Rolle spielt die Logistik: Im Notfall kann die humanitäre Hilfe innerhalb von 48 Stunden nach einer Katastrophe beginnen.
Geburtshilfe in Afghanistan
Matsingou berichtete auch sehr anschaulich von ihrem eigenen Einsatz in einer Geburtsklinik im Osten Afghanistans, in der pro Jahr 16.000 Entbindungen begleitet werden. Zum Vergleich: Eine große deutsche Klinik kommt pro Jahr auf ca. 3.000 Entbindungen. Aber anders als in Deutschland bekommen die meisten Schwangeren in Afghanistan keine gute Vorsorge – deshalb ist das Risiko von Komplikationen während der Geburt sehr hoch. Gerade in der Geburtshilfe verbessere eine grundlegende medizinische Versorgung die Chancen von Mutter und Kind aber schon sehr, erklärte Matsingou: Wenn das Baby beispielsweise warm gehalten werden kann und jemand darauf achtet, dass es richtig atmet, ist das schon ein großer Fortschritt.
In der Klinik arbeiten neben den ausländischen Mirarbeiterinnen und Mitarbeitern auch 280 afghanische Frauen, beispielsweise als Pflegerinnen oder Hebammen. Zu den Aufgaben von Ärzte ohne Grenzen gehöre es auch, dieses Personal weiter auszubilden.
Voraussetzung für die Mitarbeit bei Ärzte ohne Grenzen
In Kliniken wie dieser müssen Ärztinnen und Ärzte auch sehr komplizierte operative Eingriffe durchführen können. Für Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen seien die Einsätze daher noch nicht geeignet. In Bereichen wie Anästhesie, Geburtshilfe oder Chirurgie ist daher eine abgeschlossene Facharzt-Weiterbildung Pflicht. In anderen Bereichen wie Notfallmedizin, Allgemeinmedizin oder Kinderheilkunde ist der Facharzt-Titel nicht unbedingt vorgeschrieben, Berufserfahrung wird aber trotzdem erwartet.
Eine Approbation ist aber für alle ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwingend vorgeschrieben. Außerdem ein Vorteil ist Reise- und Berufserfahrung in ärmeren Ländern – beispielsweise durch einen Freiwilligendienst in einer NGO. Wichtig ist auch die Bereitschaft, unter instabilen Bedingungen zu arbeiten und flexibel zu reagieren, wenn manche Dinge nicht so klappen, wie man es aus Deutschland kennt.
Quelle: Operation Karriere Köln, 13.11.2021, Vortrag “Humanitäre Hilfe – Einsatz bei Ärzte ohne Grenzen”, Dr. Christina Matsingou, Oberärztin in der Gynäkologie am Evangelischen Krankenhaus Bethesda in Duisburg