Schein und Sein im Rettungsdienst

privat/DÄV
Unser Operation Karriere-Blogger Laurin schildert in seinem aktuellen Beitrag einen Einsatz, in dem sich der Notarzt nicht gerade vorbildlich verhält – und er macht sich Gedanken darüber, was das mit dem Ärztinnen- und Ärztemangel zu tun hat.

Viele meiner Freundinnen und Freunde starteten nach dem Abitur direkt mit einer Ausbildung oder einem Studium und verließen meine Heimatstadt. Immer wieder traf ich bei Klassentreffen oder auf Partys einige meiner alten Schulfreunde, die gespannt nachfragten, wie viele Verkehrsunfälle ich bereits erlebt hätte und wie ich mit den „brutalen und schlimmen“ Einsätzen klarkommen würde. Dabei fiel mir über die Zeit mehr und mehr auf, dass ein Großteil der Bevölkerung möglicherweise ein ganz falsches Bild von der Arbeit im Rettungsdienst im Kopf hat. In einem früheren Blogartikel habe ich dazu bereits einige Sätze geschrieben.

Wie möchte ich als Notarzt später sein?

Eine weitere dieser Illusionen ist meiner Ansicht nach die Verfügbarkeit und Qualität des ärztlichen Personals im Rettungsdienst. Ohne die allgemeine Qualität und das Dasein der Notfallmedizin hierbei in Frage zu stellen, will ich ein Beispiel anführen, das mir damals selbst die Augen zu diesem Missstand öffnete. Da ich selbst Medizin studiere und mir fest vorgenommen habe, später als Notarzt tätig zu werden, habe ich eine ganz eigene Liste mit wichtigen Arbeitseinstellungen angefangen, die ich als selbst Notarzt unbedingt einhalten möchte.

Einer dieser Augen öffnenden Einsätze war ein Verkehrsunfall eines Jugendlichen auf einer Landstraße. Es war eine Sommernacht, als uns der Melder aus dem Schlaf riss. Ich wusste, dass ein lokal niedergelassener Allgemeinmediziner den Notarztdienst übernimmt und für die Nacht ebenfalls auf der Wache schläft. Nach einer kurzen zehnminütigen Einsatzfahrt erreichen wir den Unfallort und verschaffen uns einen Überblick über die Situation. Ein Jugendlicher ist bei der Durchfahrt einer Kurve von der Straße abgekommen und eine Böschung hinabgestürzt. Aufgrund der unübersichtlichen Unfalllage wird die Feuerwehr ebenfalls hinzualarmiert. Einerseits ist für die Sicherung des Fahrzeugs die Expertise und der Einsatz der Feuerwehrkräfte nötig, andererseits ist es auf der Landstraße sehr dunkel und eine adäquate Rettung des Jugendlichen wäre ohne die Beleuchtung der Feuerwehrfahrzeuge schlichtweg nicht möglich.

Kein gutes Vorbild

Kurze Zeit nach uns trifft das Notarztfahrzeug ein. Nach einiger Zeit kann der junge Mann aus seinem Fahrzeug befreit werden und scheint vom Unfallhergang stark verletzt. Insbesondere die Atemwege scheinen dabei stark betroffen zu sein. Mehrfach beraten wir uns im Team, ob es nicht sinnig wäre, eine Intubation oder zumindest eine grundlegende Sicherung anzustreben. Der Notarzt verneint und steht rauchend abseits der Unfallstelle.

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Einige Zeit später wird klar, dass das Verletzungsmuster des jungen Mannes einen Transport durch einen Rettungshubschrauber in ein Traumazentrum erfordern wird. Die Kräfte der Feuerwehr leuchten dafür auf einer nahegelegenen Wiese einen Landeplatz für einen der wenigen Nachtflug-tauglichen Rettungshubschrauber aus. Nach der Landung des Helikopters scheint unser Notarzt wie ausgewechselt: Eine kurze sexistische Bemerkung gegenüber der Hubschrauber-Notärztin, eine Rechtfertigung für das fehlende Atemwegsmanagement und anschließend das Hinausstürmen aus dem Rettungswagen in Kombination mit dem Entzünden der nächsten Zigarette. Alle anderen Anwesenden trauen ihren Augen nicht recht und können nicht fassen, was eben passiert ist.

Einige Zeit später wird intern bekannt, dass einige Beschwerden gegenüber des entsprechenden Notarztes geäußert wurden. Der ärztliche Leiter des Notarztstandorts gibt bekannt, dass in der weiteren Dienstplanung bis auf Weiteres auf den Dienst des Allgemeinmediziners verzichtet werden soll.

Ein alter Bekannter auf dem Dienstplan

In der Zwischenzeit beginnt mein Studium und ich komme einige Wochen später wieder für einen Dienst in die Heimat. Ein Blick auf den Dienstplan der Notärztinnen und Notärzte lässt mich stutzig werden: Dienst für heute Nacht hat, wer hätte es gedacht, besagter Allgemeinmediziner. Die Kolleginnen und Kollegen auf der Wache erzählen mir davon, dass es wohl aktuell einen enormen Ärztinnen- und Ärztemangel für die ärztlichen Dienste gebe und deshalb wieder auf alte Ressourcen zurückgegriffen werden müsse.

Eine sicherlich ganz persönliche Erfahrung schlägt hierbei sicherlich in die Kerbe des lange bekannten Themas Ärztinnen- und Ärztemangel. Es ist leider traurig, aber wahr, dass einige Dienste immer noch mit fachfernen Ärztinnen und Ärzten besetzt werden müssen. Diese Problematik kristallisiert sich sicherlich im ländlichen Raum besonders heraus, dennoch finde ich, dass dieser Ist-Zustand dringend geändert werden müsste.

Wichtig ist mir abschließend nochmals anzumerken, dass es mir nicht darum geht, die Qualität und Expertise des entsprechenden Personals herunterzureden. Ich denke, es ist vollkommen menschlich, dass in dieser Fachdisziplin der Medizin Fehler passieren und auch passieren dürfen. Ich störe mich vor allem an der Nachlässigkeit bei den Konsequenzen. Der akute Ärztinnen- und Ärztemangel macht es einfach nicht möglich, bei gravierenden Fehlern entsprechend durchzugreifen. Und es gehört eben auch dazu, bei der Arbeit im Rettungsdienst die Augen vor dieser Illusion nicht zu verschließen.

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