Kreativ sein neben dem Arztalltag: Ein Porträt

© Florian Danner
Arzt oder Ärztin ist ein erfüllender Beruf, doch nicht wenige fragen sich manchmal: Will ich wirklich nur das bis zur Rente machen? Was ist mit meiner kreativen Ader? Wieviel Selbstverwirklichung geht neben dem anstrengenden Arbeitsalltag überhaupt? Eine ganze Menge, beweist Dr. David Usadel. Erst wurde er als „Handtaschendoktor“ bekannt, jetzt schreibt der Mediziner spannende Geschichten.

Sie sind Facharzt für Allgemeinmedizin, wie kam es da zu den Handtaschen?

Dr. David Usadel: Das war eher Zufall. Meine damalige Freundin war Italienerin und modisch sehr interessiert. Beim Urlaub auf Sizilien sah ich, dass dort unglaublich viele Plastiktüten verwendet wurden – und dachte, das kann man doch eleganter lösen! Als ich kurz darauf wegen einer Mandel-OP im Krankenhaus lag und viel Zeit hatte, kam ich von Jutebeuteln auf Damenhandtaschen. Ich habe ein bisschen rumgesponnen, ein paar Skizzen gemacht, die ganz gut ankamen. Also fuhr ich einfach mal auf Modemessen nach Paris und Mailand, schaute dann nach Herstellern und hielt nach einem halben Jahr den ersten, allerdings noch furchtbaren Prototyp in der Hand. Es war reine Spielerei, wurde aber schnell zum Selbstläufer, weil die Medien den Kontrast Medizin und Mode interessant fanden.

Wie ging es weiter?

Dr. David Usadel: Ich habe den Webshop rund zehn Jahre betrieben, die Handtaschen auch in der Praxis ausgestellt, aber die Produktion inzwischen runtergefahren, um Zeit für andere Projekte zu haben. 2020 erschien mein erstes Buch, jetzt folgt das zweite… Zwischendurch absolvierte ich noch eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten.

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Warum Psychotherapie?

Dr. David Usadel: Wer als Hausarzt wirtschaftlich arbeiten will, muss sich angesichts der heute üblichen hohen Taktung aufs Nötigste beschränken. Zumindest ist das meine Erfahrung, wenn ich mich auf gesetzlich-versicherte Patienten beschränke. Das hat mich auf Dauer frustriert. Ich merkte, eigentlich sollte es doch auch um die Arzt-Patienten-Beziehung gehen, um Menschlichkeit und Interaktion. Doch wenn ich immer das volle Wartezimmer im Nacken habe, kann ich den Menschen nicht das mitgeben, von dem ich weiß, dass es gerade dran wäre. Die Psychotherapie lässt mir 50 Minuten Zeit, um auf jeden Einzelnen einzugehen, danach sind zehn Minuten Pause. Das ist ein ganz anderes Arbeitsgefühl.

Arbeiten Sie jetzt nur noch als Psychotherapeut?

Dr. David Usadel: Ja, aber wer einmal Hausarzt war, bleibt das. Viele wissen das, und so kommen immer wieder allgemeinmedizinische Fragen, im privaten wie im beruflichen. Es ist ja auch naheliegend, dass ich, wenn ich etwas weiß, dies den Menschen zur Verfügung stelle. Darüber hinaus führe ich ebenso in meiner psychotherapeutischen Praxis zunächst eine gründliche Anamnese durch, kläre ab, was bereits an klassischer Medizin und Diagnostik gelaufen ist. Dabei habe ich schon die abenteuerlichsten Dinge erlebt, die nicht passieren dürften.

Was denn?

Dr. David Usadel: Nicht selten wurden ganz basale Befunde wie Schilddrüsenwerte oder Vitamin-D-Status vorher nicht bestimmt, obwohl die einen wesentlichen Einfluss auf die Psyche haben. In diesen Fällen sage ich: „Machen Sie doch bitte erstmal diese Untersuchungen und wenn die alle unauffällig sind, sehen wir uns wieder und sprechen dann auch über ihre Seele.“

Können Sie ein Beispiel geben?

Dr. David Usadel: Ich übernahm eine schwer depressive, arbeitsunfähige Patientin, deren Mann plötzlich verstorben war und sie allein mit drei Kindern zurückgelassen hatte. Mittlerweile war sie deswegen schon drei Jahre in Therapie. Im Erstgespräch stieß ich auf eine Hormonspirale, die sie nicht benötigte, da sie keinen Partner hatte. Aber die Frauenärztin hatte ihr damals gesagt, die sei harmlos und würde zudem die Periode regeln. Ich riet ihr die doch mal wegzulassen, was sie wenige Tage später tat. Als ich sie nach drei Wochen wiedersah, bedankte sie sich und sagte: „Mir geht es so gut wie seit Jahren nicht mehr“. Die Therapie war beendet.

Ihr erster Roman „Die Ordnung der Schmetterlinge“ handelt von Hochsensibilität. Warum?

Dr. David Usadel: Einerseits betrifft mich das Thema persönlich, andererseits begegnet es mir oft im Alltag. Es ist aber völlig unterrepräsentiert im allgemeinen Wissen vieler Kolleginnen und Kollegen. Es gibt ein paar gute Sachbücher dazu, aber keinen Roman. Das empfand ich als Lücke und dachte „Fantasie hast du genug, mach das doch selbst“. Die Idee dahinter ist, dass die Leserinnen und Leser einen therapeutischen Benefit haben, weil sie den Weg mit der Hauptfigur, einem Mädchen namens Coco, emotional mitgehen, dadurch bei sich selbst neue Perspektiven entdecken und ein Stück weit Heilung erleben – abgesehen davon, dass man sachliche Informationen bekommt. Dafür gibt es den Begriff der Bibliotherapie, was ich allerdings nicht wusste. Das neue Buch ist eine Fortsetzung. Coco ist älter geworden, sucht nun einen Therapeuten auf. Schwerpunktthema sind jetzt Entwicklungs- und Bindungstraumata – fast immer die Ursache von Hochsensibilität. Hier gehe ich der Sache also auf den Grund.

Wie haben Sie den Anfang gefunden? Einfach mal nach Lust und Laune losgelegt?

Dr. David Usadel: Am ersten Buch saß ich vier Jahre. Das entstand eher aus dem Bauch heraus. Jetzt gehe ich viel effizienter vor. Ich habe einige Monate lang wild Material gesammelt, schrieb Ideen, die mir im Alltag durch den Kopf schossen, direkt auf – zum Teil auf Kassenbons. Irgendwann hatte ich einen dicken Stapel mit allem möglichen, was einem so über den Weg läuft, auch in den sozialen Medien. Dann ordnete ich die Zettel über die guten alten bunten Karteikarten. Die Farben standen für Themen wie Psychoedukation, Handlungsstränge, Lebensweisheiten usw. Anschließend fasste ich alles zusammen, sodass eine Art Cluster entstand. Dann ging es „nur“ noch darum, das umzusetzen. So konnte ich das komplette Buch mit mehr als 600 Seiten in neun Wochen verfassen. Und: Es gibt schon konkrete Ideen für das dritte Buch. Dann ist es eine abgeschlossene Trilogie.

Wie geht das alles … einfach machen?

Dr. David Usadel: In meinem Fall ja. Ich hatte nichts zu verlieren, musste nicht davon leben. Insofern konnte ich sehr entspannt rangehen und war vielleicht deswegen auch so erfolgreich, weil kein Druck dahinterstand. Klar, geht das zu Lasten der Freizeit, aber ich habe es nie als Verzicht oder Opfer empfunden. Der Spaß steht immer im Vordergrund.

Wie schafft man das nebenher ganz pragmatisch?

Dr. David Usadel: In der Psychotherapie ist üblich, vier bis fünf Stunden am Stück zu arbeiten, dann folgt eine ausgedehnte Mittagspause von zwei, drei Stunden und nachmittags kommen vielleicht noch mal zwei, drei Patienten. Dadurch bleibt mir mehr Zeit als früher. Momentan arbeite ich sogar nur halbtags und finde vormittags Zeit zum Schreiben, nutze dafür auch das Wochenende. Wenn ein größerer Schritt ansteht und ich richtig viel schaffen möchte, schaue ich, dass ich das ein paar Tage ausschließlich machen kann oder ein bis zwei Wochen am Stück wirklich frei habe. Statt in den Urlaub zu fahren, setze ich mich dann von morgens bis abends sehr konzentriert an den Schreibtisch, schalte die Klingel ab und mache das Handy aus.

Was würde der Psychotherapeut sagen: Wie kann ein Leser seine kreative Ader finden?

Dr. David Usadel: Man sollte sich erlauben, herum zu spinnen und verrückt zu sein, wie in Kindertagen. Kinder wollen auch alle zunächst Astronaut werden, doch dann kommen der Verstand, die Zweifel und das erwachsene Bewusstsein, das mahnt „ja aber“. Wir werden von allen Seiten immer zur Mäßigung erzogen. Mein Rat wäre, mal in sich hineinzuhorchen und nachzuforschen: Was gibt’s denn da noch so in mir? Was wollte ich immer machen, dachte aber, das sei brotlose Kunst…Und sich erlauben, diesem Gefühl zu folgen. Ich kenne eine erfolgreiche Zahnärztin, die mit 74 Jahren sagte, der Beruf war reine Vernunftentscheidung, jetzt studiere ich Kunstgeschichte. Und sie hat sich eingeschrieben.

Was kommt bei Ihnen als nächstes?

Dr. David Usadel: Was mich aktuell fasziniert, ist die Schnittmenge aus Körper- und Psychotherapie. Auch in meiner Praxis arbeite ich nach der Körperorientierten Psychotherapie, die wesentlich schneller zum Ziel führt als die reine Gesprächstherapie. Dieses Verfahren ist auch die beste Methode, um Menschen mit frühen Traumatisierungen zu helfen. Derzeit wird überhaupt viel an körperlichen Methoden geforscht, die immer auch Einfluss auf die Psyche nehmen, zum Beispiel Faszien. Ich kann mir durchaus vorstellen, in diesen Bereichen noch eine Weiterbildung zu machen.

Kostet das alles nicht Energie, die dann im Beruf fehlt?

Dr. David Usadel: Im Gegenteil. Ich merke, dass mir mein „nebenbei kreativ sein dürfen“, selbst unheimlich viel gibt. Zudem glaube ich, dass ich dadurch auch als Psychotherapeut bessere Arbeit leiste, weil ich ausgeglichener bin. Auch wohne ich auf einem Bauernhof auf dem Land und tanke viel Kraft bei meinen Spaziergängen durch den Wald mit meinen zwei Hunden. Und im November bin ich Vater geworden, was ebenfalls viel Zeit kostet, mir aber auch unglaublich viel Freude schenkt.

Der Autor

Dr. David Usadel absolvierte das Studium fundamentale in Witten/Herdecke. Er war als Allgemeinmediziner und Diabetologe in einer großen Hausarztpraxis angestellt und machte ab 2015 berufsbegleitend die Weiterbildung Psychotherapie. Seit 2018 ist er niedergelassen in eigener Praxis in Sprockhövel. Er ist aus Film und Presse als „Handtaschendoktor“ bekannt und meldete ein Patent für einen Handtaschenhalter an. 2020 erschien „Die Ordnung der Schmetterlinge“, sein zweites Buch kommt im Lauf des Jahres 2023 heraus.

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