Deutschlandweit gibt es über 30 Institute für Rechtsmedizin. Diese sind alle an eine Universität gebunden, außeruniversitär findet fast keine Rechtsmedizin statt. In jedem Institut gibt es die drei Kernbereiche Morphologie, Toxikologie und DNA-Analyse. Daneben gibt es aber noch weitere Spezialgebiete. „In der Rechtsmedizin ist es so, dass bestimmte Gebiete einfach nicht so häufig gebraucht werden“, erklärte Verhoff, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Frankfurt, in dem 23 Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Zu den weniger gebräuchlichen Gebieten gehört die forensische Entomologie, die forensische Anthropologie, die Herzgenetik und die Kriminalpsychologie.
Die verschiedenen Bereiche der Rechtsmedizin
Nur mit einer ärztlichen Approbation dürfe man Obduktionen und Leichenschauen durchführen. In der Toxikologie und DNA-Analyse könne man aber auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Mitarbeiterin tätig sein, wenn man die Approbation noch nicht habe. In der Toxikologie und DNA-Analyse arbeiten auch viele Biologinnen und Biologen.
Doch wofür stehen die einzelnen Bereiche und was ist typisch für sie?
- Toxikologie: In diesem Bereich untersucht man Gifte im Blut oder Urin, beispielsweise in Proben, die die Polizei bei Verkehrsdelikten sammelt. Aber auch Gifte in Leichen gehören dazu.
- DNA-Analyse: Hier geht es um Spurenuntersuchung an Tatorten, um die Identifizierung von Toten oder menschlichen Überresten (beispielsweise bei stark verwesten Leichen), und um Vaterschaftsuntersuchungen.
- Forensische Anthropologie: Hauptaufgabe sind hier Untersuchungen von menschlichen Überresten, wenn es nur noch Knochen gibt.
- Forensische Entomologie: Hier spielen Insekten auf Leichen die Hauptrolle. Man kann anhand der Insekten auf der Leiche bestimmen, wie lange die Person schon tot ist. Das Frankfurter Institut hat international hier einen Schwerpunkt. Jährlich gibt es in Deutschland 20 bis 30 Fälle, bei denen die forensische Entomologie angefordert wird. Aus Europa kommen noch weitere Fälle hinzu.
Die größte Hürde im Fach Rechtsmedizin
Zur täglichen Arbeit der Rechtsmedizin gehört auch die wissenschaftliche Arbeit. Aber welche Fähigkeiten braucht man für dieses Fach noch? „Von allem eigentlich ein bisschen“, verriet Verhoff. Man sollte sich für Pathophysiologie interessieren und geschickte Finger haben. „Sie müssen keine Herzen operieren“, erklärte der Rechtsmediziner. „Aber eine Obduktion ist auch immer Geschicklichkeit.“
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Die größte Hürde sei jedoch etwas ganz anderes, wie Verhoff berichtete. Und das sei die deutsche Sprache. Denn jede Arbeit müsse durch ein Gutachten festgehalten werden. Da könne schon ein Wort mehr oder weniger, ein Konjunktiv mehr oder weniger den Sinn der Aussage so weit verändern, dass sie nicht mehr klar zutreffend ist und sich die Beweislage ändern könne. „Diese sprachlichen Feinheiten gelingen leider nicht einmal allen Muttersprachlern“, sagte Verhoff.
Ansonsten handle es sich bei der Rechtmedizin um eine Weiterbildung wie jede andere auch. Sie dauert 60 Monate. Sechs Monate davon müssen im Gebiet der Pathologie und sechs Monate in der Psychiatrie und Psychotherapie abgeleistet werden.
Leichenschauen und Obduktionen
Weiter beschrieb Verhoff die verschiedenen Leichenschauen, die Ärztinnen und Ärzte in der Rechtsmedizin durchführen müssen:
- Erste ärztliche Leichenschau: Diese muss jeder Arzt und jede Ärztin durchführen. Diese Kompetenz wird im Studium erworben.
- Zweite Leichenschau: Diese wird vor Feuerbestattungen oder Auslandsüberführungen durchgeführt.
- Gerichtliche Leichenschau (§ 87 Abs. 1 StPO): Das ist die gesetzliche Legitimation dafür, dass Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner an einen Leichenfundort gerufen werden.
- Kriminalpolizeiliche Leichenschau: Bei einem Todesermittlungsverfahren muss die Kriminalpolizei auch eine Leichenschau durchführen. Die Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner führen zusammen mit der Polizei die Leichenschau durch
Neben den verschiedenen Leichenschauen gibt es auch unterschiedliche Obduktionsanlässe:
- Gerichtliche Leichenöffnung
- Klinische Sektion
- Versicherungsmedizinische Sektion
- Sektion nach Infektionsschutzgesetz
- Privatsektion
- Feuerbestattungssektion
Obduktionen dienen dem Zweck, Aspekte eines Todes hervorzubringen, die beispielsweise in der normalen Bildgebung nicht gefunden werden. „Das war Arbeit der Rechtsmedizin, diese Risikofaktoren herauszufinden“, erklärte Verhoff am Beispiel des plötzlichen Kindstods (SIDS). Hier habe sich die Anzahl der Fälle durch eine Ausschlussdiagnose, das Bilden einer Risikogruppe und entsprechende Prävention stark reduziert.
Jede Möglichkeit bedenken
Bei Strafverfahren und verschiedenen Verletzungen oder möglichen Todesursachen müssen Rechtsmedizinerinnen und -mediziner genau hinschauen. Sie müssen sich beispielsweise bei Stichverletzungen die Frage stellen, woher diese kommen und ob die Aussagen der verletzten Person dazu passen. Ähnlich sei es auch bei einer im Wasser aufgefundenen Leiche, denn es gebe viele Möglichkeiten, wie eine Leiche ins Wasser kommen könne. „Unsere Aufgabe ist es auch, alles kritisch zu hinterfragen“, erklärte Verhoff weiter. Nur so könnten Rechtsmedizinerinnen und -mediziner in einem Verfahren sicherstellen, dass Menschen nicht fälschlich wegen einer Straftat verurteilt werden.
Quelle: Operation Karriere-Kongress Frankfurt, 24.6.2023, „Impulsvortrag: Rechtsmedizin: ein sinnvolles und spannendes Fachgebiet – Einblicke in die Praxis”, Prof. Dr. med. Marcel A. Verhoff, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt a.M.