“Man sollte die Zulassung zum Medizinstudium grundlegend umgestalten”

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Dr. med. univ. Deniz Tafrali ist Autor zweier Lernskripte und Redakteur der Studentenzeitschrift "Medizynisch". In diesem Gastbeitrag erklärt er, wieso er die derzeitigen Eignungstests zum Medizinstudium für unfair hält und wie man das Aufnahmeverfahren gerechter machen könnte.

Der Test für medizinische Studiengänge (TMS) ist eine deutschlandweit angebotene Prüfung, die von vielen medizinischen Fakultäten und Universitäten zur Studienzulassungsbegrenzung herangezogen wird. Das schweizerische und ehemals österreichische Pendant des TMS ist der Eignungstest für medizinische Studiengänge (EMS), der sich von seinem deutschen Gegenstück in keinster Weise unterscheidet. Die Prüfung besteht aus folgenden Einzelbereichen:

  • Muster zuordnen
  • Medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis
  • Schlauchfiguren
  • Quantitative und formale Probleme
  • Konzentriertes und sorgfältiges Arbeiten
  • Merkfähigkeitstest
  • Figuren lernen
  • Fakten lernen
  • Textverständnis
  • Diagramme und Tabellen*

Betrachtet man die geprüften Themen genauer, wird man sehen, dass sowohl der EMS als auch der TMS keinerlei Faktenwissen prüfen, sondern lediglich diejenigen Fähigkeiten der Testteilnehmer examinieren, die für das erfolgreiche Absolvieren eines Medizinstudiums notwendig sein sollen.

Das Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik (ZTD) in Freiburg hat einen ausführlichen Bericht zu den Vorbereitungsstrategien zum EMS (entsprechend auch dem TMS) veröffentlicht.

HAM-Nat (& HAM-Int)

Der norddeutsche HAM-Nat ist Teil eines zweistufigen Aufnahmeverfahrens für das Studium der Humanmedizin für die Standorte Berlin, Hamburg und Magdeburg. Im Rahmen des HAM-Nats werden zum Auswahlverfahren eingeladene Bewerber einem Wissenstest in den Fächern Biologie, Chemie, Physik und Mathematik unterzogen. Im zweiten Teil des Aufnahmeverfahrens, dem HAM-Int, gilt es für die Bewerber ihren Prüfer in sogenannten Mini-Interviews zu überzeugen, die die psychosozialen Fähigkeiten der Bewerber zu evaluieren versuchen.

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Die Verantwortlichen des Aufnahmeverfahrens am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf haben zur Korrelation zwischen dem Ergebnis des HAM-Nat und dem Studienerfolg schon mehrere Studien veröffentlicht. Hier geht es zum Vorbereitungsbericht für den EMS (TMS).

MedAT

Wer in Österreich an einer staatlichen Hochschule Human- oder Zahnmedizin studieren möchte, muss den österreichischen Medizinertest erfolgreich bestehen. Dieser besteht, grob gesagt, aus vier Bereichen:

  • Basiskenntnistest für medizinische Studien
  • Textverständnis
  • Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten
  • Sozial-emotionale Kompetenz

Dabei werden alle oben genannten Testteile per Multiple-Choice-Format in einer einzigen Sitzung abgeprüft. Der Basiskenntnistest soll schulisches Wissen in den Fächern Biologie, Chemie, Physik und Mathematik prüfen, während der MedAT durch den Testteil Textverständnis, wie beim EMS und TMS, die Lesefähigkeit und das Verständnis von Textinhalten ermittelt. Die kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten bestehen aus folgenden Einzelbereichen:

  • Figuren zusammensetzen
  • Gedächtnis & Merkfähigkeit
  • Zahlenfolgen
  • Implikationen erkennen
  • Wortflüssigkeit

Gemeinsam prüfen diese Testteile Fähigkeiten wie das zweidimensionale Vorstellungsvermögen, logisches Schlussfolgern, kausales Denken und mnestische Funktionen sowie die Größe des Wortschatzes.

Der Situational Jugdement Test Sozial-emotionale Kompetenzen versucht, die psychosozialen Fähigkeiten der Testteilnehmer durch das Stellen von Fragen zu sozialen und emotionalen Dilemmata und Problemen zu ermitteln.

Um es kurz zu machen: Unter den hier aufgeführten Aufnahmeverfahren ist die Kombination aus HAM-Nat und HAM-Int wohl das vielversprechendste Verfahren, um geeignete Bewerber für das Medizinstudium zu selektieren. Nicht nur, weil es den Prüfern durch persönliche Interviews die Möglichkeit gibt, den Menschen hinter den Zahlen und Fakten der Bewerbungsunterlagen kennenzulernen, denn sowohl der Arztberuf, als auch das Medizinstudium sind ein äußerst soziales Unterfangen. Sondern auch, weil es wissenschaftlich fundiert ist und sowohl im Vorfeld als auch während seines Einsatzes stets evaluiert wird.

Ein Manko hat dieses Auswahlverfahren aber doch: Es präselektiert Bewerber immer noch nach ihrer Abiturnote. So hat man z.B. als gewöhnlicher 2er-Abiturient so gut wie keine Chance zum HAM-Nat bzw. -Int überhaupt eingeladen zu werden. Besser gestellt ist da der österreichische MedAT, der überhaupt nicht auf die Schulnoten achtet, sondern lediglich auf die Leistung am Testtag. Jedoch hat der MedAT ein noch größeres Problem: Er bevorzugt bzw. benachteiligt Bewerber anhand ihrer Herkunft (Zur Zugangsregelung der österreichischen Studiengänge für Humanmedizins).

Der TMS hingegen ist ein Prüfungsverfahren, dessen Sinnhaftigkeit man mittlerweile hinterfragt, da es keine psychosozialen Fähigkeiten abprüft und außerdem durch Studien dem HAM-Nat als unterlegen eingestuft wurde.**

Ein neuer Ansatz

Meiner Meinung nach sollte man die Zulassung zum Medizinstudium grundlegend umgestalten und ein System schaffen, das den Bewerbern den verfassungsrechtlichen Grundsatz auf freie Berufswahl, zumindest durch harte Arbeit und ohne soziale Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft, zugesteht.

Frankreich macht es seit 2011 vor: Die dortigen Universitäten nehmen zunächst alle Bewerber auf – egal, welche Note sie haben und welcher Herkunft sie sind. Dann befinden sich die Studenten im sogenannten PACES (première année commune aux études de santé), einem naturwissenschaftlichen Vorjahr, das am Ende mit einem echten Hammerexamen, dem concours, abschließt. Diese Prüfung bestehen durchschnittlich nur 15 Prozent der fast 60.000 Bewerber. Außerdem kann man sie nur einmal im Leben wiederholen, was wirtschaftspolitisch überaus gerechtfertigt ist.

Mit diesem Aufnahmeprozess wird sichergestellt, dass nur diejenigen Studenten, die echtes Sitzfleisch beweisen und sich ein Jahr auch durch Biostatistik und Quantenmechanik durchquälen, weiterstudieren dürfen. Das französische System ist also fair, aber trotzdem selektiv; die Endprüfung ist zwar schwer, aber auch objektiv – kurzum eine gute, ganzheitliche Lösung. Ob aber ein ähnliches System auch in unseren Breitengraden integrierbar ist, steht noch in den Sternen.

Dr. med. Deniz Tafrali hat an der Universität Graz Humanmedizin studiert. Er gründete im Oktober 2015 das Internetunternehmen get-to-med, eine Lernplattform mit Aufgaben und Lösungen zur Vorbereitung auf den Medizinertest in Österreich (MedAT). Er ist Redakteur der Studentenzeitschrift “Medizynisch” und Autor der beiden Lernskripte für die Eingangsprüfung der Humanmedizin: MedAT 2020/21: Das Lernskript für den BMS und MedAT-H: Das Lernskript für kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, Textverständnis und sozial-emotionale Kompetenzen.

*Der bis 2012 angewandte österreichische EMS sowie der schweizerische EMS (bis 2015) prüften früher in einem Untertest noch das Planen & Organisieren.

**Hier zwei Publikationen zum Thema:

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