Einsatz oder Ausknopf

Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov | privat / DÄV
Unsere Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov hat die Wahl: Da in Bayern jetzt im April keine M2-Prüfungen stattfinden, kann sie entweder sofort ins PJ starten, oder ihre Prüfung auf den Herbst verschieben. Wie sie sich entschieden hat, schildert sie im Beitrag.

Ich habe den Fehler begangen, in der Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zu schmökern…

“Damit die Medizinstudierenden angesichts der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sofort einen Beitrag zur Gesundheitsversorgung auch ohne den bestandenen Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung leisten und sich entsprechend einbringen können, ohne dass ihnen dadurch Nachteile im Studienfortschritt entstehen, wird der Beginn des Praktischen Jahres vorübergehend flexibilisiert.”

Und:

“Damit gewährleistet ist, dass die Medizinstudierenden den bevorstehenden Dritten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung in den Monaten Mai und Juni 2020 absolvieren können und anschließend als approbierte Ärzte der Versorgung zur Verfügung stehen, werden des weiteren Erleichterungen für die Durchführung des Dritten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung ermöglicht.”

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Wir sollen also zur Verfügung stehen. Und sehr kulant ist es von der Regierung, dass uns dadurch kein Nachteil entsteht. Wirklich sehr lieb.

Keine Wahl

Aber was, wenn man nicht zur Verfügung stehen will, beziehungsweise kann? Dann wird einem der Ausknopf gedrückt, man muss ein halbes Jahr (mindestens!) auf Pause stehen. Alles dafür, dass die Prüflinge, ein verschwindend kleiner Teil aller Medizinstudenten, zwei Wochen früher zur Verfügung stehen, als sie es würden, wenn man sie einfach schreiben lassen würde.

Uns wird keine Wahl gelassen und das ist typisch für den Umgang mit Studenten. Solange wir unserer Approbation hinterherhecheln, hat die Regierung die Fäden in der Hand. Leider bezweifle ich, dass das in der Arbeitswelt anders sein wird. Wer wird da die Fäden in der Hand halten, der Arbeitgeber, die Krankenkassen?

Nun denn, Studenten sollen als billige Arbeitskräfte herhalten. Dabei sei es geisterhaft leer in den vielen Krankenhäusern, wie der stellvertretende Ärztliche Direktor des Münchner Klinikums rechts der Isar in der Süddeutschen Zeitung berichtet. Denn Patienten der Normalversorgung kommen nicht mehr, aus Angst davor, sich mit SARS-CoV 2 zu infizieren. Die Notaufnahme ist so gut wie leer. Selbst Krebspatienten kommen nicht zur geplanten Therapie. Aus der Lombardei berichten Ärzte sogar von einer Abnahme von 50-70 Prozent der Herzinfarktpatienten. Was das für Auswirkungen hat, darüber will ich gar nicht nachdenken.

Andererseits wird ständig von fehlendem Personal in Kliniken geredet; und trotzdem gehen Ärzte wie gewohnt in ihren geplanten Urlaub, manche Kliniken kündigen sogar an, Kurzarbeit für ihre Ärzte anzumelden. Wie soll man das einordnen?

Eine nicht ganz freiwillige Entscheidung

Ich stand letzte Woche vor der Entscheidung, ob ich zur Verfügung stehen will oder mir den Ausknopf drücken lasse. Ich habe mich für den Ausknopf entschieden, obwohl mir die Entscheidung sehr schwer fiel. Die Informationen, die kursieren, sind einfach zu widersprüchlich.

Die erste Frage wäre gewesen, wie ich das mit der Kinderbetreuung machen soll. Im Moment munkelt man, dass die Kindergärten den kompletten Sommer geschlossen bleiben. Hätte ich darauf bestanden, wäre die Klinik, in der ich PJ machen würde, mir laut Verordnung wohl eine Notfallbetreuung schuldig. Klingt gut, aber in der Praxis? In der Praxis sind wir vor kurzem umgezogen und meine Kinder mussten sich vor ein paar Monaten schon an eine völlig neue Umgebung und neue Bezugspersonen gewöhnen. Mein Sohn kommt nächstes Jahr in die Schule, würde also sich nur für ein paar Monate auf die Beziehung mit einem fremden Menschen einlassen. Während alle über Notfallbetreuung reden, denkt keiner daran, was das für die Kinder eigentlich bedeutet, mal schnell in einen neuen Kindergarten gesteckt zu werden. Ganz abgesehen davon, wie schnell eine Gruppe von Kindern, deren Eltern in “systemrelevanten” Einrichtungen arbeiten, mit SARS-CoV 2 durchseucht wird…

Wo wir schon bei der zweiten Frage wären: das Infektionsrisiko für mich und meine Familie. Die Antwort darauf war und ist nicht einfach zu finden. Anfang April war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass mittlerweile über 2.300 Ärzte und Pfleger infiziert sind. Hierbei geht das RKI von einer Untererfassung aus, da die Daten nicht systematisch erfasst werden. Zudem dürfte die Anzahl stetig steigen. Über den Mangel an Schutzkleidung liest man auch überall.
Und wie gefährlich das Virus nun tatsächlich für junge, für alte, für gesunde und für chronisch kranke Menschen ist, das werden wir wohl erst dann wissen, wenn alles vorbei ist.

Abwarten: Aber wie lange noch?

Vorbei! Wann ist es vorbei? In der Verordnung zur Änderung der Approbationsordnung ist die Rede von einem vorzeitigen PJ mit Beginn im Oktober – für den Fall, dass das M2 auch im Herbst nicht stattfinden kann…
Wir wissen zu wenig. Wir laufen auf rohen Eiern, die gefüllt sind mit unbekannten Variablen einer eigentlich doch so ausschlaggebenden Rechnung. Und ich beobachte mit nicht endendem Staunen, wie die Regierung diesen Tanz vollführt.

Zähneknirschend muss ich also dieses halbe Jahr bis zur nächsten M2-Prüfung nach dem Motto “Better safe than sorry” abwarten. Wie es so viele andere in allen möglichen Bereichen des Lebens momentan tun müssen.
Was für ein komisches Gefühl das ist, in unserer leistungsorientierten Gesellschaft, einfach nichts zu tun und zu warten. Wo wir es doch gewohnt sind, jede Sekunde optimal nutzen zu müssen!

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