Hochstapler-Syndrom: Besonders Medizinstudierende betroffen

Hochstapler-Snydrom
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Traust du dir zu wenig zu, obwohl du eigentlich das Wissen und die Kompetenz hast? Plagen dich Selbstzweifel und hast du Angst, dass deine vermeintliche Inkompetenz enttarnt werden könnte? Dann leidest du vielleicht unter dem Hochstapler-Syndrom. Warum gerade Medizinstudierende und junge Ärztinnen und Ärzte davon betroffen sind, erfährst du im Beitrag.

Das Hochstapler-Syndrom, auch als Impostor-Phänomen bekannt, ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Betroffene sind erfolgreich und liefern ausgezeichnete akademische und berufliche Leistungen ab, können diese aber selbst nicht anerkennen. Sie sind der Meinung, dass ihr Erfolg nur auf Glück basiert und sie jederzeit als Hochstapler (engl. impostor) auffliegen könnten.

Hochstapler-Syndrom: die 5 Typen

Dabei handelt es sich beim Hochstapler-Syndrom um ein psychologisches Phänomen, das durch die intellektuellen und professionellen Selbstzweifel der Betroffenen gekennzeichnet ist. Personen mit diesem Syndrom glauben, dass andere ihre Fähigkeiten überschätzen und ihre Inkompetenz irgendwann ans Licht kommt. Lob und Anerkennung für ihre Arbeit können sie nicht annehmen, obwohl ihre Arbeit ihre Fähigkeiten beweist. Sie sind äußerst selbstkritisch und leben in stetiger Angst, dass ihr vermeintlicher Betrug auffliegen könnte. Erfolge führen sie nur auf Glück, soziale Fähigkeiten oder Charme zurück.

Erstmals beschrieben die beiden klinischen Psychologinnen Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes 1978 das Impostor-Phänomen bei leistungsstarken Akademikerinnen. Weitere Studien haben belegt, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer betroffen sind. Allerdings weisen Untersuchungen darauf hin, dass die Prävalenz bei Frauen höher ist. Außerdem konnte das Syndrom bei verschiedenen ethnischen Gruppen und über Altersklassen hinweg festgestellt werden.

Insgesamt lassen sich Personen mit Impostor-Syndrom in fünf Subtypen einteilen:

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  1. Perfektionisten: Unsicherheit im Zusammenhang mit selbst auferlegten, unerreichbaren Zielen
  2. Experten: Gefühl der Unzulänglichkeit aufgrund fehlender Kenntnisse
  3. Superhelden: Übermäßige Arbeitsbelastung, um von Kolleginnen und Kollegen Wertschätzung zu erhalten
  4. Naturgenies: Schamempfinden, wenn es Mühe kostet, eine Fähigkeit zu erlernen
  5. Solisten: Glaube, dass das Bitten um Hilfe eine Schwäche ist

Fast 90 Prozent der Medizinstudierenden betroffen

Die Prävalenz für das Hochstapler-Syndrom bei Medizinstudierenden sowie Ärztinnen und Ärzten liegt zwischen 22 und 46 Prozent. Das ergab ein Literaturüberblick der Wissenschaftlerinnen Mary Thomas und Silvia Bigatti. Sie stellten außerdem fest, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Hochstapler-Syndrom und mindestens einem Aspekt im Bereich der mentalen Gesundheit gibt. So treten bei Betroffenen häufiger Depressionen, Angstzustände, Burnout, maladaptiver Perfektionismus, arbeitsbedingter Stress, Suizidgedanken oder Selbstsabotage auf.

Ärztinnen und Ärzte werden oft noch immer als „Halbgötter in Weiß“ angesehen, die keine Fehler machen und problemlos über menschliche Grenzen hinausgehen können. Diese Vorstellungen bauen einen außerordentlichen Druck auf die Medizinerinnen und Mediziner aus. Dadurch können sie Angstgefühle entwickeln, wenn sie beispielsweise einem Patienten oder einer Patientin nicht in dem Maße helfen können, wie sie es gern möchten.

Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Medizinstudierende besonders häufig unter dem Hochstapler-Syndrom leiden. 87 Prozent von ihnen weisen mindestens ein moderates Syndrom auf. Bei 32 Prozent kann es als deutlich beschrieben werden, bei zehn Prozent sogar als intensiv. Gerade einmal zehn Prozent haben nur eine geringe Ausprägung.

Ein Risikofaktor, der zu dieser hohen Prävalenz führt, sind laut Studienlage häufig wechselnde Aufgabenbereiche. Dies führe dazu, dass sich Betroffene als ewige Anfänger fühlen. Hinzu können negative berufliche Erfahrungen in der klinischen Praxis kommen, beispielsweise schlechte Ergebnisse für Patientinnen und Patienten, abgelehnte Bewerbungen und Manuskripte oder schlechte Bewertungen in der Patientenzufriedenheit.

Test für das Hochstapler-Syndrom

Mithilfe eines Fragebogens kannst du testen, ob und wie sehr du selbst vom Hochstapler-Syndrom betroffen bist. Bei diesem Fragebogen handelt es sich um die Clance Impostor Phenomenon Scale mit 20 Fragen, bei denen du auf einer 5-Punkte-Skala zwischen „überhaupt nicht“ und „sehr zutreffend“ angeben sollst, inwieweit die Themen deinen Erfahrungen entsprechen. Aus den Ergebnissen wird ein aggregierter Score (IP-Score) erstellt. Je höher der Score, desto häufiger und stärker beeinträchtigt dich das Hochstapler-Phänomen.

In einer amerikanischen Analyse wurde für mehr als 3.200 Ärztinnen und Ärzte ein IP-Score ermittelt. Ziel war es, Zusammenhänge zwischen dem Hochstapler-Syndrom und Burnouts zu untersuchen und den Anteil betroffener Medizinerinnen und Mediziner mit Betroffenen anderer Berufe zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass der durchschnittliche IP-Score bei Ärztinnen höher war (10,91) als bei Ärzten (9,12), der Score mit zunehmendem Alter fiel und auch bei Verheirateten oder Verwitweten geringer war. Einen höheren Score wiesen Ärztinnen und Ärzte an Universitäten sowie Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendmedizin und Notfallmedizin auf. In den Fachbereichen Augenheilkunde, Radiologie und orthopädische Chirurgie waren die Scores niedriger.

Quellen:

Shreffler J, Weingartner L, Huecker M, Shaw MA, Ziegler C, Simms T, Martin L, Sawning S. Association between Characteristics of Impostor Phenomenon in Medical Students and Step 1 Performance. Teach Learn Med. 2021 Jan-Mar;33(1):36-48. doi: 10.1080/10401334.2020.1784741. Epub 2020 Jul 7. PMID: 32634054.

Thomas M, Bigatti S. Perfectionism, impostor phenomenon, and mental health in medicine: a literature review. Int J Med Educ. 2020 Sep 28;11:201-213. doi: 10.5116/ijme.5f54.c8f8. PMID: 32996466; PMCID: PMC7882132.

Rosenthal S, Schlussel Y, Yaden MB, DeSantis J, Trayes K, Pohl C, Hojat M. Persistent Impostor Phenomenon Is Associated With Distress in Medical Students. Fam Med. 2021 Feb;53(2):118-122. doi: 10.22454/FamMed.2021.799997. PMID: 33566346.
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