Experte im Gespräch: Prof. Richard Schlenk zu Statistiken in medizinischen Studien

Junge Ärzte, die sich für die klinische Forschung intressieren, sollten über eine biometrische bzw. statistische Weiterbildung nachdenken, rät Prof. Richard Schlenk. | ronstik - stock.adobe.com
Neben der Behandlung von Patienten kann auch die klinische Forschung ein spannendes Betätigungsfeld für Mediziner sein. Aber auf was kommt es bei der Planung und Umsetzung einer Studie an? Das erklärt der Onkologe Prof. Richard Schlenk im Interview.

Aktuelle Studienergebnisse sind wesentlicher Teil der modernen evidenzbasierten Medizin. Aber jeder, der selbst schon einmal an einer Studie beteiligt war, weiß, was für ein Aufwand hinter einer Studie steckt. Wir haben darüber mit Prof. Dr. med. Richard Schlenk gesprochen – er ist oberärztlich tätig in der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie sowie der Klinik für Medizinische Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Focus seiner Arbeit sind klinische Studien in der Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg sowie am Deutschen Krebsforschungszentrum. Er leitet die Studienzentrale am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg und die Studienzentrale der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie und weiß daher genau, wo schon in der Studienvorbereitung die ersten Hürden zu meistern sind.

Herr Professor Schlenk, beschreiben Sie uns grob, wie so eine Studienplanung abläuft und wie entsprechend Ihr Alltag als Leiter der Studienzentrale am NCT aussieht.

Prof. Richard Schlenk: Mein Arbeitsalltag ist gekennzeichnet durch ein breites Aufgabenspektrum. In Bezug auf die Konzeption klinischer Studien verschaffe ich mir zu Beginn immer einen Überblick über die aktuelle klinische Forschung und molekularbiologischen Erkenntnisse in den Zielpopulationen. Anschließend geht es darum, sich zu überlegen, wie einer Frage, die meine Kolleginnen und Kollegen aufgeworfen haben, in einer klinischen Studie nachgegangen werden kann. Danach geht es weiter mit der Erstellung eines Proposals. Dies umfasst in der Regel zwei bis drei Seiten und wird verwendet, um potentielle Kooperationspartner, zum Beispiel aus der pharmazeutischen Industrie, zu überzeugen, in die Studie zu investieren, etwa durch die Bereitstellung von Medikamenten, und evtl. darüber hinaus auch finanzielle Unterstützung für die Durchführung bereitzustellen.

Ist Unterstützung gefunden, wie geht es dann weiter?

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Dann geht es natürlich los: Wir müssen uns überlegen, wie wir die klinische Prüfung umsetzen. Extrem wichtig ist in diesem Zusammenhang das Studienprotokoll. Das stellt den Ablauf der Patientenbehandlung im Rahmen der klinischen Studie dar. Darüber hinaus gibt eine Vielzahl an weiteren Dokumenten, die auf das Studienprotokoll referenzieren und wesentliche Aspekte im Detail beschreiben, zum Beispiel die Kommunikations- und Daten-Management Pläne, der Daten Validierungsplan, der statistsche Analyseplan u.s.w. Neben den Partnern aus der pharmazeutischen Industrie arbeite ich natürlich auch sehr eng mit Kollegen und Kolleginnen zusammen, die selbst neue Therapeutika entwickeln, z.B bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen im Rahmen des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung. Gemeinsam erarbeiten wir, wie diese neuen Therapieformen bei Patienten umgesetzt werden können und welche klinischen Studien auf dem Weg dahin notwendig sind.

Das klingt tatsächlich nach einem riesigen Planungs- und Koordinationsaufwand…

Sicher – aber hier hilft mir dann auch die praktische Erfahrung in der Durchführung klinischer Studien am Patienten weiter. Denn erst wer selbst klinische Studien durchgeführt hat, kann sich schon bei der Planung vorstellen, ob etwas im klinischen Alltag umsetzbar ist oder nicht. Und dann ist es auch von Vorteil für mich, dass ich eben nicht nur Mediziner bin, sondern auch Biometriker. Meine zweite Ausbildung habe ich am Institut für Medizinische Biometrie und Informatik in Heidelberg berufsbegleitend gemacht. Das hilft mir sehr, die medizinischen Fragen auch in Statistik umzusetzen.

Welche Fragen sind das dann zum Beispiel?

Wir gehen dann zum Beispiel der Frage nach, wie groß der Vorteil einer neuen Therapie gegenüber einer etablierten Therapie sein muss, um diese in einer klinischen Studien zu prüfen und wie viele Patienten wir in einer solchen klinischen Studien behandeln müssen um den Vorteil klar herauszuarbeiten. Oder wie man zeigen kann, dass weniger Nebenwirkungen einen Vorteil für den Patienten bringen bei gleicher Wirksamkeit.

Hat das akademische Umfeld Vorteile für Studien im Vergleich zu Studien in der Industrie?

Ich weiß nicht, ob man die Frage so einfach stellen kann. Die Studien, die auf der akademischen Seite durchgeführt werden, unterscheiden sich stark von denen in der Industrie. Große Zulassungsstudien etwa werden meist nicht von akademischen Instituten initiiert, sonder von der Pharmazeutischen Industrie durchgeführt. Für diese Studien sind neben dem Prüfplan und der Patienteninformationen sowie -Einverständiserklärung bestimmt 30, 40 oder gar 50 weitere Dokumente notwendig, die jeden auch noch so kleinsten Aspekt einer Studie beschreiben. Das fängt an mit dem Risikomanagementplan, dem Kommunikationsplan, dann geht es weiter mit dem Datenmanagementplan, einem Datenvalidierungsplan. Es gibt für alle Aspekte der Studie Pläne.

In der Industrie werden die Studien also stärker reguliert als im akademischen Umfeld?

In der Industrie ist jeder Aspekt einer Studie meist vor Start der Studie bereits festgelegt. Langsam kommen wir bei akademischen Studien auch dazu, weil das von den akademischen Sponsoren ebenfalls gefordert wird. Aber man hat bei akademischen Studien immer noch etwas mehr Freiheit. Für mich bietet das noch die Möglichkeit, die Abläufe stärker selbst zu gestalten und das gefällt mir deutlich besser als nach immer dem exakt gleichen vorgegebenen Schema vorgehen zu müssen.

Schränken strikte Regularien die Studien ein?

Vor kurzem habe ich bei einer Vorlesung in Heidelberg von einer Studie berichtet, die ich 1993 entworfen und durchgeführt habe. Damals lagen zwischen Planung und Start der Studie sechs Monate. Das ist eine sehr überschaubare Zeit. Heute dauert das schon eher zwei bis drei Jahre, wer schneller sein will, braucht einen entsprechenden Apparat und ein entsprechendes Finanzpolster. Denn dann müssen viele Leistungen eingekauft werden. Die Regularien schränken uns schon ein und ich denke auch, dass die Anzahl der akademischen Studien durchaus reduziert wird.

Und es gibt da keinen Unterschied in der Kontrolle durch die Behörden, ob akademischer Hintergrund oder Industrie?

Nein, die Behörden machen keinen Unterschied zwischen der Pharmazeutischen Industrie und einem Universitätsklinikum als Sponsor. Wir hatten vor kurzem eine Inspektion, bei der all diese Pläne, die ich zuvor erwähnt hab, tatsächlich schon bei der Einreichung der Studie erwartet wurden. Und das obwohl man nicht weiß, ob die Studie überhaupt genehmigt wird. Bisher war unsere Herangehensweise meist: Man reicht eine Studie ein und wenn sie genehmigt wird, dann arbeitet man den Rest nach, aber das ist heutzutage ein Auslaufmodell.

Aber nicht nur die Regulierung beeinflusst die Studienlandschaft – auch die Schwerpunkte der Forschung ändern sich. Hat das auch Einfluss auf die Studienplanung?

Ja komplett – in der Onkologie kommen wir immer mehr weg von den einzelnen Krebsentitäten hin zu der Frage: Was steckt denn molekular hinter der Tumorerkrankung? Das führt natürlich dann zu neuen Therapieansätzen und neuen Studiendesignansätzen, wie z.B. Basket-Studien. Die BRAF-Mutation ist bei Melanom häufig, aber sie findet sich auch bei der Haarzell-Leukämie. Es macht durchaus Sinn über neue Studiendesigns nachzudenken, wo eben nicht das maligne Melanom Einschlusskriterium ist, sondern BRAF-Mutation. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass das molekulare Profil der einzelnen Patienten auch relativ einzigartig ist. Für die Studienplanung bedeutet das, dass man sich gut überlegen muss, wie man passende Kontrollgruppen schaffen kann. Das ist dann auf der einen Seite sehr spannend und intellektuell sehr herausfordernd. Auf der anderen Seite ist das auch ein Hemmnis, um Studien schnell voran zu bringen.

Was würden Sie jungen Onkologinnen und Onkologen raten, die sich für die klinische Forschung interessieren?

Da gibt es unterschiedliche Aspekte. Für alle mit einem Faible für Mathematik oder Biologie kann ich durchaus empfehlen, sich über eine biometrische/statistische Weiterbildung Gedanken zu machen. Das habe ich selbst als intellektuell sehr anspornend empfunden. Auf der anderen Seite, wer sich für Laborforschung interessiert und das verknüpfen möchte mit klinischer Forschung, für den ist es wichtig, sich Partner zu suchen, die den anderen Part abbilden können. Insofern sollten sich die jungen Kolleginnen und Kollegen überlegen, was Ihnen am meisten Spaß macht und dann welche komplentären Partner zu Ihnen passen.

Fragen:
Christoph Habel
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