„Es herrscht die Ruhe vor dem Sturm“

Lukas Schmülling studiert Medizin in Mainz und hat vorher eine Ausbildung zum Intensivpfleger gemacht. Aktuell arbeitet er am Katholischen Klinikum Mainz (KKM). © privat
Die COVID-19-Pandemie hat derzeit alles im Griff – vor allem natürlich an den Kliniken. Lukas Schmülling studiert Medizin in Mainz, hat aber schon eine Ausbildung zum Intensivpfleger gemacht. Im Interview schildert er, wie er die aktuelle Situation wahrnimmt.

Lukas, derzeit helfen viele Medizinstudierende in verschiedenen Kliniken aus. Wo genau arbeitest Du?

Lukas Schmülling: Ich bin einer von denjenigen, die schon eine Berufsausbildung haben und entsprechend an ihren Arbeitsplätzen eingesetzt werden: Ich bin Intensivpfleger und arbeite am Katholischen Klinikum Mainz (KKM). Gerade in Mainz gibt es durch die Zulassungsbeschränkungen relativ viele Studierende, die vorher eine Ausbildung gemacht haben, weil das die Chancen auf einen Studienplatz hier erhöht.

Wie ist die Lage gerade auf der Intensivstation des KKM?

Lukas Schmülling: Das KKM hat jetzt ein Zwei-Schicht-System eingeführt. Das heißt, die Mitarbeiter arbeiten sieben Tage lang zwölf Stunden, und haben dann sieben Tage frei und bleiben zu Hause. So haben wir in der Klinik eine geringere Personalfluktuation und können in der freien Woche sehen, ob jemand sich infiziert hat und Symptome entwickelt. Derjenige kann sich dann testen lassen und bleibt zu Hause – das hält das Zeitfenster, in dem man andere anstecken kann, möglichst klein. Außerdem gibt es im Intensivbereich auch keinen Besuch mehr, um die Patienten dort nicht zu gefährden. In die Klinik kommt man im Moment auch gar nicht ohne weiteres rein – da passt ein Sicherheitsdienst auf.

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Wie hast Du die vergangenen Tage dort erlebt?

Lukas Schmülling: Ich bin derzeit in der zentralen Notaufnahme im Einsatz – es ist wichtig, dass vor Ort auch jemand ist, der Erfahrung mit invasiver Beatmung hat. Am KKM haben wir eine Station, auf die COVID-19-Patienten und Verdachtsfälle kommen. Die Patienten sind dort auch alle in Einzelisolation. Eine andere Station haben wir zur COVID-Intensivstation umgebaut. Wir haben auch einen Teil der Notaufnahme abgeriegelt – das ist der COVID-Bereich, in dem ich auch eingesetzt bin. Dort gibt es ein Schleusenzimmer und ganz normale Behandlungszimmer, wie in anderen Teilen der Notaufnahme auch. Allerdings arbeiten wir hier nur mit voller Schutzausrüstung.

Wie nimmst Du die Stimmung insgesamt gerade wahr?

Lukas Schmülling: Es ist noch die Ruhe vor dem Sturm. In der Notaufnahme und im ganzen Krankenhaus ist gerade nicht viel los. Das ganze Elektiv-Programm ist ja zum Erliegen gekommen, und in die Notaufnahme kommen derzeit auch nur wenige Patienten. Die COVID-Patienten kommen noch nicht in der Masse, wie das vielleicht in ein, zwei Wochen der Fall sein wird. Und ansonsten kommen Patienten z.B. mit Herzinfarkten oder nach Unfällen – eben die, für die die Notaufnahme wirklich gedacht ist. Aber Leute, die vielleicht seit drei Wochen Bauchschmerzen haben und beim Hausarzt besser aufgehoben wären, die kommen derzeit nicht mehr. Im Moment ist es in der Notaufnahme ein sehr gutes Arbeiten – man hat mehr Zeit für die Patienten als sonst.

Was erwartet ihr für die nächsten Wochen?

Lukas Schmülling: Alle warten darauf, dass es in der kommenden oder übernächsten Woche mit dem Ansturm an COVID-Patienten losgeht. Die Erfahrungen aus Italien oder Frankreich sagen ja, dass dann ein intubationspflichtiger Patient pro Stunde in die Notaufnahme kommen kann. Darauf versuchen wir uns vorzubereiten, so gut es geht. Es ist für jede Intensivstation ein Problem, wenn mehrere Patienten gleichzeitig so instabil werden. Es ist ja nicht mit dem Intubieren allein getan. Das dauert nicht lange. Aber dann muss der Patient gegebenenfalls weiter stabilisiert werden, es müssen bestimmte Gefäßzugänge gelegt und Medikamente verabreicht werden. Um den Patienten überhaupt intubieren zu können, muss er sediert werden – das wiederum wirkt auf den Kreislauf. Diese ganzen Abläufe erfordern ein sehr erfahrenes Team. Es kann dann im Einzelfall auch mal zwei Stunden dauern, bis der Patient stabilisiert ist. Und in dem Szenario, was wir für die nächsten Wochen erwarten, käme dann parallel schon der nächste Patient, der eine ähnlich intensive Betreuung braucht. Das ist das, worüber sich alle solche Sorgen machen.

Aber es gibt doch auf der Station mehrere Ärzte…

Lukas Schmülling: Das stimmt – und man kann auch gerade Anästhesisten dazu heranziehen, die sehr routiniert beim Intubieren sind. Aber irgendwann ist die Grenze erreicht. Deshalb versucht man in so einer Situation schon, das Intubieren wenn möglich durch andere Verfahren zu ersetzen. Intubieren ist ja im Grunde eine Verzweiflungstat – das tut man nur, wenn man die Lunge nicht anders unterstützen kann.

Im Moment schlägt dem gesamten medizinischen Personal ja aus der Bevölkerung auch viel Dankbarkeit entgegen. Was sagst Du dazu?

Lukas Schmülling: Es ist natürlich eine sehr schöne Geste, wenn viele Menschen da am offenen Fenster stehen und applaudieren. Aber man muss auch bedenken: Alle Mitarbeiter im Krankenhaus arbeiten derzeit in verlängerten Schichten – und das Gehalt hat sich nicht verändert. Der Zuspruch ist schön – aber ich frage mich auch: Wo war dieser Zuspruch die letzten 20 Jahre, als unser Gesundheitssystem wenig gefördert wurde? Für die angestellten Berufsgruppen – Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, aber auch PJler – sollte es von staatlicher Seite jetzt eine finanzielle Unterstützung geben. Pflegekräfte bekommen vielleicht nur 17 Euro die Stunde, stehen aber den ganzen Tag an vorderster Front. Denn es kann ja auch ein Patient mit einem Herzinfarkt in die Notaufnahme kommen, der keine COVID-Symptome hat, aber trotzdem infiziert und ansteckend ist. In Italien sind mehr als 200 Pflegekräfte und 55 Ärzte gestorben. Das Risiko ist sehr hoch. Da sollte man ihnen nicht nur mit guten Worten zusprechen, sondern auch die Gehälter anpassen. Noch extremer ist es im PJ: Da verdienen die Studierenden teilweise gar nichts, sind aber auch dem Risiko einer lebensbedrohlichen Krankheit ausgesetzt. Dann zu sagen: „Das sind alles Helden!“, ist schon eine sehr zynische Einstellung. Wir merken jetzt mehr denn je, dass an der Ausbildung von Ärzten nicht gespart werden sollte – denn gut ausgebildete Ärzte können in dieser Situation tausende Menschenleben retten.

 

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