Gerade in den vergangenen Monaten der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist kein Randfach mehr. Gerade die Jüngsten müssen in der aktuellen Situation starke Belastungen aushalten – mit Folgen für ihre psychische Gesundheit. In ihrem Vortrag ging Thayalini Boll, die selbst kürzlich ihre Facharzt-Weiterbildung abgeschlossen hat und danach schnell zur Oberärztin befördert wurde, auf die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten in ihrem Fachgebiet ein.
Verschiedene Behandlungsformen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Ambulante Behandlung: Für eine ambulante Behandlung bekommen die jungen Patientinnen und Patienten alle zwei bis vier Wochen Termine in der Klinik.
Teilstationäre Behandlung / Tagesklinik: Reicht die ambulante Behandlung nicht aus, können die Patientinnen und Patienten teilstationär aufgenommen werden. Sie verbringen dann ihren Tag von 08:00 bis 16:00 Uhr in der Klinik und bekommen dort auch Schulunterricht. Außerdem finden täglich Therapien statt: Fachleute aus den Bereichen Psychologie, Medizin, Ergotherapie, Musiktherapie, Pflege- und Erziehungsdienst begleiten die Kinder und Jugendlichen sehr eng und helfen bei der Alltagsstrukturierung.
Im interdisziplinären Team sind die Ärztinnen und Ärzte federführend verantwortlich. Für eine erfolgreiche Therapie müssen sie beispielsweise klären, unter welchen Belastungen ein Kind aktuell leidet. Speziell in der systemischen Therapie werden auch die Familien eng eingebunden. Wenn die Eltern ihre Kinder zur Tagesklinik bringen oder sie abholen, findet ein Austausch statt. So können Fortschritte und Beobachtungen direkt besprochen und in der Familie installiert werden.
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Stationäre Behandlung: In Fällen beispielsweise von akuter Suizidalität können Kinder und Jugendliche auch stationär in der Klinik aufgenommen werden. Dort hilft das Klinikteam ihnen dabei, wieder eine Perspektive für ihre aktuelle Situation zu finden. Auch hier findet eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern statt: Wie kann das Kind wieder einen positiven Blick auf das Leben bekommen und wo sind aktuelle Belastungsfaktoren? Um den Patienten oder die Patientin möglichst gut aufzufangen, werden auch andere Akteure miteinbezogen: beispielsweise die Schule oder das Jugendamt.
StäB: Die stationsäquivalente Behandlung als Alternative
In ihrem Vortrag ging Boll ausführlich auf die relativ neue Form der stationsäquivalenten Behandlung ein. Statt stationär in der Klinik findet die Behandlung zu Hause statt. Dabei werden die Patientinnen und Patienten und ihre Familien an sechs Tagen pro Woche von einem multidisziplinär aufgestellten Team begleitet. Ein Vorteil: Das Risiko der Stigmatisierung ist nicht so groß. Um Gerede in der Nachbarschaft zu vermeiden, sind beispielsweise auch die Autos des Teams unauffällig und dezent.
In der stationsäquivalenten Behandlung kann besonders individuell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen eingegangen werden. Die Therapeutinnen und Therapeuten sehen, wie das Familienleben im Alltag konkret abläuft. Beispielsweise können Kinder, die den Schulbesuch verweigern, so ganz persönlich betreut werden.
1967″Kinder sind oft Symptomträger”, erklärte Boll in ihrem Vortrag. Das bedeutet: Wenn ein Kind beispielsweise “immer frech” ist oder nicht zur Schule gehen will, liegt das grundlegende Problem oft ganz woanders – beispielsweise in einem Konflikt zwischen den Eltern. In der systemischen Therapie können verschiedene Konstellationen mit einbezogen werden, damit wieder ein Gleichgewicht in der Familie einziehen kann.
Dabei ist die stationsäquivalente Therapie in der Regel auf drei Monate befristet, kann aber bei Bedarf auch verlängert werden. Nach der Therapie werden die Familien weiter begleitet: Beispielsweise werden auch die Eltern erwachsenenpsychiatrisch behandelt, wenn ein nicht aufgearbeitetes Trauma den familiären Schwierigkeiten zugrunde liegt. Aber auch das Jugendamt kann helfen, wenn die Eltern mit der Erziehung überfordert sind. Und auch die Schule ist gefragt: Wenn Schulverweigerer anfangs mit einem ganzen Schultag überfordert sind, starten sie erstmal mit reduzierter Stundenzahl. “Die Schulen unterstützen uns dabei oft wohlwollend, weil sie froh sind, dass überhaupt etwas passiert”, verriet Boll.
Nur selten kommt es vor, dass Kinder aus ihrer Familie herausgenommen werden müssen. Das sei beispielsweise bei Suchtkrankheiten, Vernachlässigung, Gewalt oder sexuellem Missbrauch innerhalb der Familie der Fall.
Voraussetzungen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Und was sollten junge Ärztinnen und Ärzte mitbringen, wenn sie sich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie interessieren? “Unser Fach ist sehr patientennah. Deshalb ist eine hohe Empathiefähigkeit wichtig, um Vertrauen aufzubauen”, erklärte Boll. Außerdem brauche es auch Kommunikationstalent im Umgang mit den Eltern – und natürlich eine grundlegende Liebe zu Kindern.
Quelle: Operation Karriere-Kongress Köln, 13. November 2021, “Arbeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie – das System Familie”, Thayalini Boll, Oberärztin, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Systemische Therapie und Beratung, Integrationsbeauftragte LVR-Klinik Viersen