Das Medizinstudium, das Praktische Jahr und die COVID-19-Pandemie

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Wie haben Medizinstudierende 2020 erlebt? In ihrem Beitrag lassen Matthias D. Kaufmann und Jeremy Schmidt von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd e.V) das Corona-Jahr Revue passieren.

Auch wenn das Thema COVID-19 mittlerweile in vielen Facetten in der Öffentlichkeit besprochen wurde, ist der Alltag von Medizinstudierenden noch eher wenig thematisiert worden. Die COVID-19-Pandemie, die spätestens seit März 2020 den Klinikalltag in nahezu allen Fachrichtungen beeinflusst, hatte von Beginn an starke Auswirkungen auf den Studienverlauf. Die erste Welle der Pandemie traf auf die Medizinstudierenden, als sich diese in den Semesterferien in Famulaturen und Praktika oder mitten in der Vorbereitung auf die Staatsexamina (M1, M2, M3) befanden.

Wir von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd e.V.) erhielten in dieser Zeit beispielsweise viele Nachrichten von Kommilitoninnen und Kommilitonen, deren Famulaturen plötzlich abgebrochen wurden. Es herrschte zu Beginn viel Unsicherheit in den Kliniken und Praxen, wie mit dieser besonderen Situation umzugehen sei. Dies war der Einmaligkeit er Situation geschuldet, auf die die Politik in Bezug auf das Studium nicht vorbereitet war. So mussten Mitte März die Staatsexamina-Prüflinge feststellen, dass ihre Prüfungstermine in Gefahr waren. Und nicht nur das: Die verschiedenen zuständigen Ministerien auf Bundes- und Länderebene waren sich nicht einig, wie gehandelt werden solle.

Die bvmd e.V. stellte in dieser Situation, in der von Politik und medizinischen Fakultäten aufgrund der hohen Dynamik der Entwicklungen schnell gehandelt werden musste, klar, dass “das lokale Vorgehen in den Ländern in engem Rahmen national abzustimmen und zu synchronisieren” sei.

Am 30.03.2020 entschied das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) schließlich mittels einer Abweichungsverordnung trotz der national einheitlichen Prüfungsinhalte und dem zu dieser Zeit heterogenen Infektionsgeschehen, dass jedes Bundesland einzeln entscheiden solle, ob die Prüfung stattfindet oder ins kommende Jahr verschoben wird.

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In 14 Bundesländern durfte die Prüfung dann abgelegt werden, während die Prüflinge in Bayern und Baden-Württemberg unmittelbar ins Praktische Jahr (PJ) starten mussten und nächstes Jahr ein “Hammerexamen” (schriftlich und mündlich) ablegen werden. Der durch diese Abweichungsverordnung entstandene Flickenteppich, die Kurzfristigkeit der Entscheidung wenige Tage vor der Prüfung und die Einschränkungen im PJ (s.u.) sorgte bei vielen Studierenden für große Frustration. Eine durchgeführte Online-Petition fand binnen kurzer Zeit über 100.000 Unterstützerinnen und Unterstützer, die “faire Bedingungen” auch in der Krise forderten.

Das PJ nimmt eine besondere Stellung im Medizinstudium ein, da es als vollständig in der Versorgung absolviertes letztes Studienjahr die Schnittstelle zwischen Studium und Praxis darstellt. Möglichst breite Einblicke in die verschiedenen Disziplinen und Abläufe, die schrittweise Übernahme von Verantwortung für eigene Patienten (unter Supervision) sowie das Erlernen zentraler praktischer Fertigkeiten sind für die Vorbereitung des eigenen Berufslebens unabdingbar. Durch die COVID-19-Pandemie ergaben sich sowohl in Organisation als auch in der konkreten Durchführung starke Veränderungen: Wesentlich ist hierbei die große Einschränkung der PJ-Mobilität zu nennen. Viele PJ-Studierende absolvieren ein oder mehrere Tertiale im Ausland, um weitere Gesundheitssysteme und Kulturen kennenzulernen und Einblicke in ein mögliches Berufsleben (v.a. in der Schweiz) zu erhalten. Für die Wahl des Ortes und Krankenhauses für den Berufsbeginn ist aber auch die innerdeutsche Mobilität essenziell. Durch den bereits erwähnten asynchronen PJ-Beginn in Bayern und Baden-Württemberg, die pandemiebedingten Einschränkungen im Frühjahr und die zahlreichen Risikogebiete im Ausland mussten viele Studierende kurzfristig, oft bereits nach gebuchten Flügen, gemieteten Wohnungen usw., PJ-Plätze an ihren Heimatuniversitäten belegen.

Auch die Aufgaben im PJ waren – wie auch für die ärztlichen Kollegen – durch die Pandemie stark verändert: Während an einigen Kliniken die Unterstützung in der Bewältigung der Pandemie im Vordergrund stand, und auch Tätigkeiten wie Kontaktnachverfolgung oder Aushilfe bei der Entnahme von Abstrichen im Mittelpunkt standen, wurde uns im Bekanntenkreis auch von Kliniken und Abteilungen (insbesondere chirurgische Bereiche) berichtet, in denen es durch die plötzlich deutlich höhere Zahl an PJ-Studierenden bei gleichzeitig weniger elektiven Operationen zu Leerlauf und geringerem Lerneffekt kam. Ein für die Studierenden positiver Effekt war, dass die PJ-Aufwandsentschädigung an einigen Universitäten angehoben oder erstmalig gewährt wurde, auch wenn dies zum Teil nur temporär Bestand hatte.

Doch Krisen können natürlich auch Chancen sein: Neben dem umfassenden Ausbau digitaler Lehre und der Etablierung neuer Lernformate in allen Semestern des Studiums wurde in der ersten Welle der Pandemie auch die Hilfsbereitschaft der Studierenden deutlich. An allen deutschen Fakultäten meldeten sich viele hunderte Freiwillige, die sich als Hilfskräfte in den Kliniken einbringen wollten. Im Rahmen des #WIRVSVIRUS-Hackathons der Bundesregierung entstand daraus im Umfeld der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Zusammenarbeit mit der Initiative “Medis vs. COVID-19” eine digitale Plattform namens “Match4Healthcare”. Dieses in kürzester Zeit entwickelte und programmierte Portal ermöglicht die Kontaktvermittlung zwischen hilfsbereiten Studierenden und einzelnen Kliniken für einen bedarfsgerechten und schnellen Einsatz. Ein gelungenes Beispiel einer relevanten digitalen Anwendung ist entstanden, die Mitte 2020 durch die “Zusammen gegen Corona”-Initiative des BMG ausgezeichnet wurde.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass die Pandemie eine große Herausforderung nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch für Studierende und Fakultäten darstellte. Wir sind zuversichtlich, dass die Hilfsbereitschaft und Flexibilität der Medizinstudierenden auch in den kommenden Monaten anhalten wird und die Bekämpfung der Pandemie gleichzeitig, auch durch nun etablierte digitale Methoden, etwas weniger stark Lehre und Prüfungen beeinflussen wird. Trotzdem darf auch gerade vor dem Hintergrund eines vermutlich noch mehrere Monate bestehenden Ausnahmezustands nicht vergessen werden, dass die Studierenden von heute die Ärzteschaft von morgen darstellen und deshalb in Lehre und Wertschätzung auch in Pandemiezeiten in unser aller Interesse Einschränkungen auf das Nötigste reduziert werden sollten.

Quelle: Kompass Pneumol 2020;8:334–340, Original-Beitrag zum Download (pdf)

Die Autoren:
Matthias D. Kaufmann

Assistenzarzt am Universitätsklinikum Erlangen seit 2020, 2019/2020 Vizepräsident der bvmd

Jeremy Schmidt

PJ-Studierender an der Universität Heidelberg, 2019 Bundeskoordinator für medizinische Ausbildung der bvmd, Mitgründer von match4healthcare e.V.

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