Im Krankenhaus ist der Tod allgegenwärtig. Es gehört dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen – sei es, weil ein Mensch über Tage und Wochen immer schwächer wird oder weil man an einem Tag bei einem Patienten Blut abnehmen will und erfährt, dass er in der letzten Nacht verstorben ist – dabei hat man doch gestern noch mit ihm gesprochen…
Ich bin schon lange der Auffassung, dass man durch das Totschweigen (im wahrsten Sinne) eines solch schwerwiegenden Themas nur noch mehr Abstand dazu gewinnt, noch mehr Respekt – vielleicht sogar Angst – entwickelt.
Ich bin inzwischen im Chirurgie-Tertial meines PJs und habe die letzten zwei Wochen auf der Allgemeinchirurgie verbracht. Hier heißt es: viele Blutentnahmen und Zugänge, aber auch viele spannende und unterschiedliche Operationen. Wenn ich bei einem Patienten Blut abnehme – besonders bei solchen, die in Einzelzimmern liegen – versuche ich oft intuitiv, sie aufzuheitern, ihnen vielleicht etwas von ihrer Angst zu nehmen oder sie abzulenken. Und manchmal passiert es einfach, dass sich sofort eine Beziehung aufbaut. So habe ich vorletzte Woche Frau D. kennengelernt – eine 80-jährige Frau, die 50 Jahre ihres Lebens in Erlangen (meiner Geburtsstadt) als Physiotherapeutin gearbeitet und gelebt hat. Nach der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs ist sie zu ihren Verwandten nach Berlin gezogen. Frau D. hat nicht mehr lange zu leben. Sie weiß das und nimmt ihr Schicksal wie ich finde furchtlos und gefasst entgegen. Sie erinnert mich an meine Oma, die im vergangenen Jahr dasselbe erleiden musste.
Den Elefanten im Raum ansprechen
Ich gehe mehrere Tage in Folge zu Frau D., um Blut bei ihr abzunehmen, wobei ich die Sinnhaftigkeit dessen nicht nur einmal in Frage gestellt habe. Wir sprechen über die Erlanger Frauenklinik, den Tod und das Hospiz. Es sind so positive und – so habe ich das Gefühl – für beide Seiten unheimlich erleichternde Gespräche. Der Elefant im Raum wird einfach angesprochen. Frau D. hat viel zu erzählen und ist so dankbar für jede Minute, in der sie jemanden zum Reden hat. Die Ruhe und Zuversicht, die diese dünne, kleine Frau ausstrahlt, beeindrucken mich zutiefst.
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Eine Visite kurz darauf ist wie eine 180-Grad-Wende. Wir gehen zu fünft zu den Außenliegern – also Patienten, die gerade auf anderen Stationen liegen: ein Oberarzt, eine Fachärztin, Assistenzarzt und wir zwei PJlerinnen. Zu den Außenliegern gehört auch Frau D.
Da liegt diese schwerstkranke Frau vor den Ärzten und versucht ihnen klar zu machen, wie wichtig es ihr ist, nicht im Krankenhaus zu sterben. Die Ärzte reagieren kaum und inspizieren die Drainage-Beutel.
„Ich will nur noch sterben“. Es wird beschlossen, die beiden auf der rechten Seite zu ziehen und den linken noch zu belassen.
Keine Zeit für Empathie?
Es ist durchaus verständlich, dass die Ärzte erst wollen, dass die Wunden verheilen, sodass sich im Hospiz nichts mehr entzünden kann und Frau B. am Ende wieder ins Krankenhaus muss. Aber verdammt! Ist es denn so schwer, wenigstens ein bisschen auf das einzugehen, was sie sagt?! Wie kann man nicht darauf reagieren, dass dir jemand ins Gesicht sagt, er möchte sterben.
„Kann ich wenigstens eine andere, eine weichere Matratze bekommen?“ Der Oberarzt will später beim Bettenservice anrufen – sagt er. Als wir aus dem Zimmer gehen, beschließen der Oberarzt und der Assistent, sie hätten keine Lust auf „Frau H-H-H-Hauptmann“ und gehen mit wehenden Kitteln zurück auf Station.
Frau D. bekommt schließlich durch das Engagement der Fachärztin fast eine Woche später (sie war zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht im Hospiz) ihre neue Matratze.
Ich habe die Allgemeinchirurgie inzwischen verlassen und hoffe sehr, dass Frau D. es ins Hospiz geschafft hat – wie es ihr Wunsch war.
Es gibt Patienten, die wird man sein Leben lang in Erinnerung behalten, weil sie etwas in dir berührt haben – vielleicht wie bei mir in diesem Fall die Erinnerung an eine geliebte Person. Das sind die Begegnungen im Krankenhaus, die einen prägen und für mich der Grund, diesen Beruf auszuüben.