Atmosphäre zum Wohlfühlen: Arbeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

In einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie geht es anders zu als in einem somatischen Krankenhaus. Was das für die Facharztweiterbildung bedeutet, erklärte Dr. Frauke Tillmann beim Operation Karriere-Kongress in Heidelberg. © SH
Puppen und Kuscheltiere, bunte Wände und ein freundliches Umfeld: In einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sieht es völlig anders aus als in andernen Krankenhäusern. Und auch die Arbeit selbst läuft ein bisschen anders ab.

Über die Psychiatrie kursieren noch immer viele Vorurteile – zum Beispiel diese:

  • “Psychiater sind doch gar keine Ärzte!”
  • “Ach, Psychiater haben Medizin studiert?”
  • “Was ist der Unterschied zwischen Psychiatern und ihren Patienten? Psychiater haben den Schlüssel!”
  • Psychiater und Psychologen sind doch das gleiche

Bei ihrem Vortrag beim Operation Karriere-Kongress in Heidelberg klärte Dr. Frauke Tillmann auf: Psychiatrie sei selbstverständlich ein medizinisches Fachgebiet – und damit etwas anderes als Psychologie. Und: Ein bisschen Verrücktheit sei in diesem Fach gar nicht schlecht – das sorge für mehr Empathie mit den Patienten. Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei das besonders wichtig.

Vor allem das Thema Interdisziplinarität wird in dem Fachgebiet groß geschrieben: In der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten neben Ärzten, Psychologen und pädagogischen Psychotherapeuten auch Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Erzieher, Musik- und Ergotherapeuten. “Wir schauen aus allen Richtungen auf das Kind und seine Familie”, fasste Tillmann den interdisziplinären Ansatz zusammen.

Man lernt auch etwas über sich selbst

Ein wesentlicher Teil der psychiatrischen Facharztweiterbildung ist auch Selbsterfahrung und die Arbeit in Ballint–Gruppen. Das Fach lebt auch von Supervisionserfahrungen und dem kollegialen Austausch: “Hier reflektiert man sich selbst und erfährt etwas über die eigene Arbeit”, erklärte Tillmann.

Werbung


Und auch eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sieht anders aus als andere Krankenhäuser: Hier wird großer Wert auf eine Wohlfühl-Atmosphäre gelegt. Die Wände sind bunt, die Einrichtung ist freundlich und gemütlich gestaltet und erinnert viele an ein Schullandheim. Es gibt weder vergitterte Fenster noch Zwangsjacken, auch wenn die jungen Patienten immer mal wieder danach fragen. Und jeder Psychiater hat sein eigenes Büro – allein schon, um für Patientengespräche die nötige Privatsphäre zu schaffen. Außerdem gibt es für schulpflichtige Patienten eine Klinikschule und einen Außenbereich, in dem die Kinder zumindest im Sommer draußen spielen können.965

Zwei Krankheitsbilder, mit denen Kinder- und Jugendpsychiater regelmäßig zu tun haben, sind Suizidalität und Autismus.

Krankheitsbild: Suizidalität

Suizid ist bei Jugendlichen die zweithäufigste Todesursache. So sieht das Vorgehen bei der Exploration nach einem Suizidversuch (akute Krisensituation) aus:

  • Klärung des Ausmaßes des Gefährdungspotentials
  • Deeskalation der Krise
  • Herstellung von Transparenz und Enttabuisierung des Krisenanlasses
  • Einsicht in die Ursachen und Umstände der suizidalen Handlung
  • Konkrete Idee für unmittelbares Handeln und Erarbeitung eines Planes für die nächsten Stunden und Tage
  • Bestimmung der individuellen Bewältigungsstrategien
  • Klärung der erforderlichen Hilfen
  • Angebote für den Fall einer Zuspitzung machen

Krankheitsbild: Autismus

116 von 10.000 Personen haben eine Autismus-Spektrum-Störung. Dabei handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die zwar keine akute Intervention nötig macht, aber eine fundierte Diagnostik und eine langfristige Behandlung und Begleitung erfordert.

Symptome:

  • Beeinträchtigung der Kommunikation
  • Beeinträchtigung der sozialen Beziehungen
  • Repititives Verhalten und eingeschränkte Interessen
  • Sensorische Beeinträchtigungen

Warum sollte man Kinder und Jugendpsychiater/in werden?

Um…

  • kranken Kindern und Jugendlichen und ihren Familien zu helfen und ihrem Leben eine neue Perspektive zu geben.
  • all sein medizinisches Wissen bezüglich körperlicher Erkrankungen anzuwenden, damit man somatische Ursachen für eine psychische Symptomatik ausschließen kann.
  • sich in einem multiprofessionellen Team im Rahmen einer flachen Hierarchie verwirklichen zu können.
  • sich vor “Fachidiotie” zu schützen und gesellschaftspolitischen Themen offen entgegen zu treten und sich selbst und sein tun zu reflektieren.
  • pünktlich Feierabend zu machen!

Quelle: Operation Karriere-Kongress Heidelberg, 7.12.2019, Vortrag: “Von Suizidalität bis Autismus – die Arbeit eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie”, Dr. med. Frauke Tillmann, Leitende Oberärztin, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters – MediClin Klinik an der Lindenhöhe, Offenburg

 

Artikel teilen