Ängste: Das, worüber keiner redet

In der griechischen Mythologie ist Eileithyia die Göttin der Geburt und Beschützerin gebärender Frauen. Unsere Autorin möchte Gynäkologin werden. Da es in ihrem Blog um sehr persönliche Themen geht, schreibt sie unter einem Pseudonym. | privat / DÄV
Operation Karriere-Bloggerin Eileithyia studiert im 10. Semester Medizin. Obwohl sie die Arbeit mit den Patienten liebt, kämpft sie seit Jahren mit Ängsten – vor allem beim Unterricht am Krankenbett. Wie sich diese Ängste für sie anfühlen, schildert sie in ihrem ersten Blogbeitrag.

Mein Herz klopft. Immer lauter. Wir sind am vierten Zimmer. Isozimmer. Corona-Verdacht. Die Ärzte gehen rein. Wir Studenten bleiben vor der Tür stehen. Ich fange an, mit den Füßen zu wippen, weil ich merke, wie die Geräusche um mich langsam dumpfer werden und wie schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen. Ich versuche mich abzulenken. Zum achten Mal gehe ich die Patientenvorstellung im Kopf durch. Mittlerweile sollte ich sie auswendig kennen. Wir gehen weiter ins nächste Zimmer. Eine Mutter redet auf den Chef ein, will, dass ihr Kind seine Antibiose weiterhin intravenös bekommt, anstatt auf Tabletten umzusteigen. Die Ärzte willigen ein. Draußen machen sie sich über die Mutter lustig, weil sie es nicht schafft, ihr Kind zu Hause zu versorgen. Ich versuche mich zusammenzureißen, um trotz meiner Aufregung noch etwas mitzubekommen. Keine Chance. Also konzentriere ich mich wieder auf meinen Fall: Ein Mädchen, dass ich einmal kurz gesehen habe.

5-jähriges Mädchen stellt sich vor mit Lymphadenitis colli links. Keine Vorerkrankungen. Keine Medikamente. Letzte Woche habe laut Mutter ein fieberhafter Infekt bei Otitis media acuta bestanden. Seit Samstag größenprogrediente Schwellung auf der linken Seite des Halses. Das Mädchen nimmt kaum Nahrung zu sich und ist weinerlich. Differenzialdiagnosen? Bartonella henselae, EBV, Lymphom. Glaube ich. Keine Ahnung. Mein Kopf ist leer.

Nicht Stottern. Nicht verhaspeln.

Das alles rattere ich erneut im Kopf runter. Versuche, schon in Gedanken monoton Bericht zu erstatten. Information pur. Schnell. Nicht stottern. Nicht verhaspeln.

Wir kommen am vorletzten Zimmer an. Meine Patientin liegt im letzten Zimmer. Inzwischen geht es ihr besser. Auch das muss in die Vorstellung. Wie war nochmal das CRP?

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In diesem Zimmer liegt ein Junge, der zwölf Liter am Tag trinkt. Verdacht auf Diabetes insipidus. So einen Fall sieht man unglaublich selten. Das berührt mich aber gerade wenig. Gleich bin ich dran und muss dem Oberarzt sagen, dass ich den Fall vorstelle.

Bevor ich etwas sagen kann, schaut er auf die Uhr und sagt: „Jetzt aber schnell. Wir müssen gleich in die Besprechung.“ Die Assistenzärztin schiebt mich vor. Ich rattere wenigstens die Hälfte von dem runter, was ich auswendig gelernt habe. Höre mich selbst kaum reden, so laut klopft mein Herz. Es war gut. Die Assistentin lobt mich und wir gehen ins Zimmer.

Wenn ich daran denke, verkrampft sich alles in mir

Zwei Tage später das Ganze nochmal. Der Oberarzt hat meine Vorstellung nicht ausreichend wahrgenommen.

Das war vor zwei Monaten. Ich weiß es alles noch, als ob es gestern gewesen wäre. Wenn ich daran denke, verkrampft sich alles in mir. Ich ziehe die Schultern hoch, in meinem Bauch flattert es. Dabei frage ich mich immer wieder: Was macht mir bloß so viel Angst?

Angst ist etwas, mit dem wir alle zu kämpfen haben. Grundsätzlich eine „physiologische Reaktion“. Pathologisch wird die Angst, wenn wir inadäquat reagieren, auf harmlose Stimuli mit einer übermäßigen vegetativen, emotionalen, kognitiven und/ oder motorischen Reaktion antworten.

Im Krankenhaus sind wir ständig von Angst umgeben. Primär natürlich durch die Patienten. Menschen, die mit lebensbedrohlichen Erkrankungen kämpfen, Angst vor Behandlungen haben, Angst vor dem Tod.

Aber auch wir auf der anderen Seite werden so tagtäglich mit grundsätzlichen Ängsten des Menschen konfrontiert. Dazu gehören nun einmal Krankheiten, Sterben, Tod, Verluste und auch die Angst selbst. Die meisten Menschen werden erst spät in ihrem Leben mit solchen Dingen umgehen müssen. Sie verdrängen diese Themen – weil sie die Möglichkeit haben.

Schließlich kam die panische Angst

Irgendwann zwischen meinem 17-jährigen Ich, das während des FSJs Doppelschichten schiebt, um Carotis-OPs zu sehen, und dem Wiederanfang im Krankenhaus gab es einen Moment, in dem sich etwas geändert hat. Anstatt mich zu freuen, war ich erst aufgeregt und schließlich kam die panische Angst. Das nicht mehr einschlafen können, die Angst, die Zugänge nicht gelegt zu bekommen, die Angst, in den OP zu müssen, die Angst, bloßgestellt zu werden.

Dass es Angst ist, was mich seit Jahren steuert, ist mir erst vor Kurzem klar geworden. Als ich angefangen habe, mich zu beobachten.

Während des Psychiatriemoduls lernt man, die Zeichen einer Angststörung zu deuten. Manch einer mag jetzt denken: „Die Zeichen sind doch offensichtlich!“. Das sind sie auch – solange man sie als zusammengefasste Anamnese in einer schriftlichen Fallbesprechung serviert bekommt. Aber bestimmt nicht, wenn es um einen selbst geht.

Als ich mich das erste Mal in einer „Trigger-Situation“ beobachtet habe, habe ich mir aufgeschrieben, was mit mir passiert: Mir wird kalt, meine Herzfrequenz beschleunigt sich, in meinem Bauch fliegen tausend Schmetterlinge (aber die von der unangenehmen Art), ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, alles in mir, alle meine Muskeln krampfen sich zusammen. Kurzum: der Sympathikus reagiert – ich mache mich bereit für die Flucht. Das war der Moment, in dem ich erkannt habe, dass ich Angst vor dem Krankenhaus habe.

Ich bin dankbar dafür, dass ich es jetzt weiß. Plötzlich kann ich mich verstehen, weiß, wieso mich selbst Untersuchungskurse so belasten. Es wird ein langer Weg, wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren und alles als eine Chance – nicht als Pflicht oder gar als Bedrohung wahrzunehmen. Aber es ist ein Anfang.

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