Durchfallen im Medizinstudium: Aus der Traum?

© insta_photos / Adobe Stock
Medizinstudierende müssen jede Menge Prüfungen bestehen: Von der Anatomie-Klausur über das Physikum bis hin zum zweiten und dritten Staatsexamen am Ende des Studiums. Aber was passiert, wenn man durchfällt? Wie oft darf man eine Prüfung wiederholen und wann ist der Traum vom Arztberuf endgültig ausgeträumt? Das beantwortet Anna Nitsch vom Prüfungsamt der medizinischen Fakultät der Uni Bonn im Interview.

Frau Nitsch, fangen wir mal mit den Fakten an: Wie oft darf man eine Prüfung im Medizinstudium wiederholen?

Anna Nitsch: Das hängt sehr von der einzelnen Prüfung und von dem Uni-Standort ab. Für die Staatsexamen gelten natürlich deutschlandweit die gleichen Wiederholungsregelungen: Das sind Physikum, M2 und M3. Hier regelt die Approbationsordnung, dass die Prüfungen zweimal wiederholt werden dürfen – man hat also jeweils drei Versuche. Dann gibt es noch die universitären Leistungsnachweise, die als Voraussetzung für die staatlichen Prüfungen gebraucht werden – also beispielsweise vorklinische Fächer wie Anatomie, Biochemie oder Physiologie. Für diese Prüfungen entscheidet jede Universität selbst, welche Wiederholungsregelungen es gibt. Das kann also stark variieren. Wir sind da in Bonn sehr weit vorne – bei uns kann man diese Prüfungen fünfmal wiederholen. Man hat insgesamt also sechs Versuche. Bei den meisten anderen Unis sind insgesamt drei Versuche üblich.

Was passiert denn, wenn man durch eine Prüfung durchfällt?

Anna Nitsch: Einmal durchfallen ist noch gar nicht so schlimm und kommt auch einfach immer mal wieder vor. Mit den Studierenden passiert dann erstmal nichts weiter – das ist relativ unaufgeregt, gerade, wenn es der erste Prüfungsversuch war. Sie haben dann diese Prüfung nicht bestanden und müssen sie wiederholen. Bei uns sind die Studierenden dann automatisch zum nächsten Prüfungstermin angemeldet. Es gibt dann nicht die Möglichkeit, sich zur Vorbereitung noch ein Semester Zeit zu nehmen. Wenn jemand zu diesem Zeitraum z.B. ein Auslandssemester oder eine Famulatur geplant hat, kann man aber auch aus einem triftigen Grund von der Prüfung zurücktreten und sich zum nächst-späteren Termin anmelden, ohne dadurch einen Prüfungsversuch zu verschenken.

Werbung


Welche Beratungs- und Unterstützungsangebote bietet das Prüfungsamt für Studierende an, die durch eine Prüfung gefallen sind?

Anna Nitsch: Wir bieten den Studierenden generell in allen möglichen Lebenslagen eine offene Beratung an. Das heißt, die Studierenden können sich immer bei uns melden, wenn sie Probleme haben und nicht weiterwissen. Wir haben da viele unterschiedliche Angebote – vor Ort, telefonisch oder auch per Zoom. Dabei versuchen wir erstmal herauszufinden, wo das Problem liegt. Im Prüfungsamt sind wir da die erste Anlaufstelle. Im Gespräch klären wir dann, an wen wir die Studierenden verweisen können.

Was gibt es denn für Gründe, warum Studierende durch Prüfungen fallen – und wie kann man ihnen helfen?

Anna Nitsch: Die Gründe sind sehr vielfältig – auch die Lebenssituationen sind sehr vielfältig. Wenn es ein rein fachliches Problem ist und die Studierenden mit dem Stoff nicht zurechtkommen, verweisen wir sie an die Lehrenden. Wenn es beispielsweise um die richtige Lernstrategie geht, bietet die Zentrale Studienberatung der Uni Bonn Coachings und Workshops zum Thema an. Immer mal wieder steht auch Prüfungsangst im Fokus – auch dazu gibt es Workshops und Beratungsmöglichkeiten bei der Zentralen Studienberatung. Und wenn wir feststellen, dass das Problem doch noch tiefer liegt, verweisen wir auch an die psychosoziale Beratung der Universität.

Das heißt, das Prüfungsamt ist grundsätzlich die erste Anlaufstelle, wenn jemand durch eine Prüfung gefallen ist?

Anna Nitsch: Es gibt mehrere erste Anlaufstellen. Wenn es um rein fachliche Themen geht, sind natürlich auch die Lehrenden eine Anlaufstelle. Das gilt beispielsweise auch bei der Einsicht der Prüfungsergebnisse und bei Fragen danach, warum man einen bestimmten Punkt nicht bekommen hat. Es gibt mehrere Stellen, an die man sich wenden kann – wir sind auch alle gut untereinander vernetzt. Dazu gehört beispielsweise auch noch das Studiengangsmanagement.

Nehmen die Studierenden die Beratungsmöglichkeiten denn auch an?

Anna Nitsch: Das ist sehr unterschiedlich. Wir betreuen insgesamt 2.500 Studierende. Dementsprechend sind natürlich auch alle Arten von Persönlichkeiten mit dabei. Manche melden sich sehr früh schon, wenn sie zum zweiten Mal durch eine Prüfung gefallen sind. Andere melden sich leider erst bei uns, wenn wir ihnen mitteilen, dass sie eine Prüfung endgültig nicht bestanden haben. Die fallen dann aus allen Wolken und wissen nicht, wie das passieren konnte.

Wie erleben Sie die Studierenden in den Beratungsgesprächen?

Anna Nitsch: Es gibt auch vereinzelte Fälle, dass für jemanden mit dem Scheitern in einer Prüfung eine Welt zusammenbricht, weil er oder sie das bisher überhaupt nicht gewohnt war. Das passiert – aber das sind wirklich Einzelfälle. Die Studierenden, die sich vermehrt bei uns melden, sind die, bei denen es dann schon ein bisschen brenzlig wird. Manche wissen gar nicht, wie sie eigentlich für die Prüfung lernen und damit umgehen sollen. Dabei merken wir auch, dass einige es in der Vergangenheit einfach versäumt haben, ihr Studium gut zu strukturieren. Viele könnten die Prüfung aus triftigen Gründen verschieben, tun das aber nicht – und dann kommen auf einmal mehrere Fehlversuche zusammen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie den Studierenden effektiv helfen können, beim nächsten Mal erfolgreich zu sein?

Anna Nitsch: Das hängt natürlich von der jeweiligen Situation ab und manchmal müssen wir einfach auch die Grenzen der Beratung erkennen. Aber es gibt noch sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten, wenn die Studierenden sich nach zwei oder drei Fehlversuchen bei uns melden. Wenn noch viele Wiederholungsprüfungen offen sind, hilft ein Coaching für eine bessere Lernstrategie beispielsweise häufig gut. Was sehr schwierig ist, ist, wenn sich jemand erst unmittelbar vor dem letzten Prüfungsversuch bei uns meldet. Wenn bis zur Prüfung nicht mehr viel Zeit ist, lässt sich auch nicht mehr wahnsinnig viel machen – der Stoff eines ganzen Semesters lässt sich eben nicht in zwei Tagen wiederholen. Und auch tiefsitzende Prüfungsangst oder andere psychische Probleme lassen sich nicht von heute auf morgen lösen. In solchen Fällen ist es vor allem dann schwierig, wenn es an der Selbstreflektion hapert und die Studierenden nicht erkennen, dass sie ein Problem haben.

Das Thema Prüfungsangst haben Sie schon angesprochen: Was kann man machen, wenn es nicht an der Vorbereitung liegt, sondern die Prüfungssituation selbst das Problem ist?

Anna Nitsch: Wir können den Studierenden vor allem auf den Weg geben, dass sich Prüfungsangst behandeln lässt und das nicht ein Leben lang so bleiben muss. Ansonsten haben wir von der Zentralen Studienberatung ein gut aufgestelltes Team, das dann auch ins Gespräch gehen und nach individuellen Möglichkeiten schauen kann: Kann eine Psychotherapie helfen? Gibt es passende Gruppenangebote? Ich selbst bin Juristin und keine Psychologin – ich kann da nur an andere Beratungsangebote verweisen. Aber ich kann die Studierenden ermutigen, das Problem in Angriff zu nehmen – gerade, wenn sie den Herzenswunsch haben, Arzt oder Ärztin zu werden. Das sollte man sich nicht von der Prüfungsangst verbauen lassen.

Wie viele Studierende scheitern denn endgültig an einer Prüfung?

Anna Nitsch: Das Problem betrifft ungefähr 0,1 Prozent der Studierenden – also einen von 1.000. Für diese Studierenden ist dann nach dem letzten gescheiterten Prüfungsversuch endgültig Schluss. Wenn eine Prüfung in Deutschland endgültig nicht bestanden wurde, gibt es nicht mehr die Möglichkeit, sich an einer anderen Uni oder in einem anderen Bundesland neu immatrikulieren zu lassen. Dann kann man das Studium in Deutschland nicht mehr fortsetzen.

Was gibt es denn noch für Möglichkeiten, wenn ich trotzdem Arzt oder Ärztin werden möchte?

Anna Nitsch: Das ist tatsächlich sehr schwierig – es gibt da relativ wenige Möglichkeiten. In der Beratung sind wir da auch sehr klar, um da keine falschen Versprechungen zu machen. Das Studium Humanmedizin in Deutschland ist damit einfach beendet. Das Immatrikulationshindernis bei einer endgültig nicht bestanden Prüfung besteht allerdings nur deutschlandweit. Das heißt: Es gibt die Möglichkeit, im Ausland weiter zu studieren. Allerdings muss man die ganzen Hürden, die damit verbunden sind, nehmen. Man braucht einen Studienplatz im Ausland, man braucht das Geld für eventuelle Studiengebühren, man muss den Studienabschluss dann für eine deutsche Approbation anerkennen lassen. Das ist eine Möglichkeit, aber es ist nicht für jeden machbar.

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Anna Nitsch: Man kann beispielsweise auch in ein anderes Fach wie Zahnmedizin wechseln. Das ist tatsächlich relativ unproblematisch. Da Zahnmedizin ein völlig anderer Studiengang ist als Humanmedizin, kann man sich dort auf einen Studienplatz bewerben und sich Fächer anrechnen lassen, die man schon absolviert hat. Gerade die naturwissenschaftlichen Grundlagen in der Vorklinik lassen sich gut auch für andere Fächer nutzen.

Was geben Sie persönlich den Studierenden mit auf den Weg, wenn sie in einer Prüfung mehrfach durchgefallen sind?

Anna Nitsch: Ich rate ihnen vor allem, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und frühzeitig aktiv zu werden. Woran hat es gelegen und woran kann ich arbeiten? Wenn man mehrmals durch eine Prüfung fällt und das Verhalten nicht ändert, ist es relativ wahrscheinlich, dass man auch beim nächsten Mal durchfällt. Es gibt viele Beratungs- und Unterstützungsangebote, die man nur annehmen muss. Wichtig ist, sich nicht von den Rückschlägen entmutigen zu lassen.

Die Expertin:

Anna Nitsch ist Juristin und leitet das Prüfungsamt Humanmedizin an der Universität Bonn. Dort berät sie Studierende in prüfungsrechtlichen Fragen.

Bild: © Christoph Kottmann

Artikel teilen