Frau Nitsch, fangen wir mal mit den Fakten an: Wie oft darf man eine Prรผfung im Medizinstudium wiederholen?
Anna Nitsch:ย Das hรคngt sehr von der einzelnen Prรผfung und von dem Uni-Standort ab. Fรผr die Staatsexamen gelten natรผrlich deutschlandweit die gleichen Wiederholungsregelungen: Das sind Physikum, M2 und M3. Hier regelt die Approbationsordnung, dass die Prรผfungen zweimal wiederholt werden dรผrfen โ man hat also jeweils drei Versuche. Dann gibt es noch die universitรคren Leistungsnachweise, die als Voraussetzung fรผr die staatlichen Prรผfungen gebraucht werden โ also beispielsweise vorklinische Fรคcher wie Anatomie, Biochemie oder Physiologie. Fรผr diese Prรผfungen entscheidet jede Universitรคt selbst, welche Wiederholungsregelungen es gibt. Das kann also stark variieren. Wir sind da in Bonn sehr weit vorne โ bei uns kann man diese Prรผfungen fรผnfmal wiederholen. Man hat insgesamt also sechs Versuche. Bei den meisten anderen Unis sind insgesamt drei Versuche รผblich.
Was passiert denn, wenn man durch eine Prรผfung durchfรคllt?
Anna Nitsch:ย Einmal durchfallen ist noch gar nicht so schlimm und kommt auch einfach immer mal wieder vor. Mit den Studierenden passiert dann erstmal nichts weiter โ das ist relativ unaufgeregt, gerade, wenn es der erste Prรผfungsversuch war. Sie haben dann diese Prรผfung nicht bestanden und mรผssen sie wiederholen. Bei uns sind die Studierenden dann automatisch zum nรคchsten Prรผfungstermin angemeldet. Es gibt dann nicht die Mรถglichkeit, sich zur Vorbereitung noch ein Semester Zeit zu nehmen. Wenn jemand zu diesem Zeitraum z.B. ein Auslandssemester oder eine Famulatur geplant hat, kann man aber auch aus einem triftigen Grund von der Prรผfung zurรผcktreten und sich zum nรคchst-spรคteren Termin anmelden, ohne dadurch einen Prรผfungsversuch zu verschenken.
Welche Beratungs- und Unterstรผtzungsangebote bietet das Prรผfungsamt fรผr Studierende an, die durch eine Prรผfung gefallen sind?
Anna Nitsch:ย Wir bieten den Studierenden generell in allen mรถglichen Lebenslagen eine offene Beratung an. Das heiรt, die Studierenden kรถnnen sich immer bei uns melden, wenn sie Probleme haben und nicht weiterwissen. Wir haben da viele unterschiedliche Angebote โ vor Ort, telefonisch oder auch per Zoom. Dabei versuchen wir erstmal herauszufinden, wo das Problem liegt. Im Prรผfungsamt sind wir da die erste Anlaufstelle. Im Gesprรคch klรคren wir dann, an wen wir die Studierenden verweisen kรถnnen.
Was gibt es denn fรผr Grรผnde, warum Studierende durch Prรผfungen fallen โ und wie kann man ihnen helfen?
Anna Nitsch:ย Die Grรผnde sind sehr vielfรคltig โ auch die Lebenssituationen sind sehr vielfรคltig. Wenn es ein rein fachliches Problem ist und die Studierenden mit dem Stoff nicht zurechtkommen, verweisen wir sie an die Lehrenden. Wenn es beispielsweise um die richtige Lernstrategie geht, bietet die Zentrale Studienberatung der Uni Bonn Coachings und Workshops zum Thema an. Immer mal wieder steht auch Prรผfungsangst im Fokus โ auch dazu gibt es Workshops und Beratungsmรถglichkeiten bei der Zentralen Studienberatung. Und wenn wir feststellen, dass das Problem doch noch tiefer liegt, verweisen wir auch an die psychosoziale Beratung der Universitรคt.
Das heiรt, das Prรผfungsamt ist grundsรคtzlich die erste Anlaufstelle, wenn jemand durch eine Prรผfung gefallen ist?
Anna Nitsch:ย Es gibt mehrere erste Anlaufstellen. Wenn es um rein fachliche Themen geht, sind natรผrlich auch die Lehrenden eine Anlaufstelle. Das gilt beispielsweise auch bei der Einsicht der Prรผfungsergebnisse und bei Fragen danach, warum man einen bestimmten Punkt nicht bekommen hat. Es gibt mehrere Stellen, an die man sich wenden kann โ wir sind auch alle gut untereinander vernetzt. Dazu gehรถrt beispielsweise auch noch das Studiengangsmanagement.
Nehmen die Studierenden die Beratungsmรถglichkeiten denn auch an?
Anna Nitsch:ย Das ist sehr unterschiedlich. Wir betreuen insgesamt 2.500 Studierende. Dementsprechend sind natรผrlich auch alle Arten von Persรถnlichkeiten mit dabei. Manche melden sich sehr frรผh schon, wenn sie zum zweiten Mal durch eine Prรผfung gefallen sind. Andere melden sich leider erst bei uns, wenn wir ihnen mitteilen, dass sie eine Prรผfung endgรผltig nicht bestanden haben. Die fallen dann aus allen Wolken und wissen nicht, wie das passieren konnte.
Wie erleben Sie die Studierenden in den Beratungsgesprรคchen?
Anna Nitsch:ย Es gibt auch vereinzelte Fรคlle, dass fรผr jemanden mit dem Scheitern in einer Prรผfung eine Welt zusammenbricht, weil er oder sie das bisher รผberhaupt nicht gewohnt war. Das passiert โ aber das sind wirklich Einzelfรคlle. Die Studierenden, die sich vermehrt bei uns melden, sind die, bei denen es dann schon ein bisschen brenzlig wird. Manche wissen gar nicht, wie sie eigentlich fรผr die Prรผfung lernen und damit umgehen sollen. Dabei merken wir auch, dass einige es in der Vergangenheit einfach versรคumt haben, ihr Studium gut zu strukturieren. Viele kรถnnten die Prรผfung aus triftigen Grรผnden verschieben, tun das aber nicht โ und dann kommen auf einmal mehrere Fehlversuche zusammen.
Haben Sie das Gefรผhl, dass Sie den Studierenden effektiv helfen kรถnnen, beim nรคchsten Mal erfolgreich zu sein?
Anna Nitsch:ย Das hรคngt natรผrlich von der jeweiligen Situation ab und manchmal mรผssen wir einfach auch die Grenzen der Beratung erkennen. Aber es gibt noch sehr viele Gestaltungsmรถglichkeiten, wenn die Studierenden sich nach zwei oder drei Fehlversuchen bei uns melden. Wenn noch viele Wiederholungsprรผfungen offen sind, hilft ein Coaching fรผr eine bessere Lernstrategie beispielsweise hรคufig gut. Was sehr schwierig ist, ist, wenn sich jemand erst unmittelbar vor dem letzten Prรผfungsversuch bei uns meldet. Wenn bis zur Prรผfung nicht mehr viel Zeit ist, lรคsst sich auch nicht mehr wahnsinnig viel machen โ der Stoff eines ganzen Semesters lรคsst sich eben nicht in zwei Tagen wiederholen. Und auch tiefsitzende Prรผfungsangst oder andere psychische Probleme lassen sich nicht von heute auf morgen lรถsen. In solchen Fรคllen ist es vor allem dann schwierig, wenn es an der Selbstreflektion hapert und die Studierenden nicht erkennen, dass sie ein Problem haben.
Das Thema Prรผfungsangst haben Sie schon angesprochen: Was kann man machen, wenn es nicht an der Vorbereitung liegt, sondern die Prรผfungssituation selbst das Problem ist?
Anna Nitsch:ย Wir kรถnnen den Studierenden vor allem auf den Weg geben, dass sich Prรผfungsangst behandeln lรคsst und das nicht ein Leben lang so bleiben muss. Ansonsten haben wir von der Zentralen Studienberatung ein gut aufgestelltes Team, das dann auch ins Gesprรคch gehen und nach individuellen Mรถglichkeiten schauen kann: Kann eine Psychotherapie helfen? Gibt es passende Gruppenangebote? Ich selbst bin Juristin und keine Psychologin โ ich kann da nur an andere Beratungsangebote verweisen. Aber ich kann die Studierenden ermutigen, das Problem in Angriff zu nehmen โ gerade, wenn sie den Herzenswunsch haben, Arzt oder รrztin zu werden. Das sollte man sich nicht von der Prรผfungsangst verbauen lassen.
Wie viele Studierende scheitern denn endgรผltig an einer Prรผfung?
Anna Nitsch:ย Das Problem betrifft ungefรคhr 0,1 Prozent der Studierenden โ also einen von 1.000. Fรผr diese Studierenden ist dann nach dem letzten gescheiterten Prรผfungsversuch endgรผltig Schluss. Wenn eine Prรผfung in Deutschland endgรผltig nicht bestanden wurde, gibt es nicht mehr die Mรถglichkeit, sich an einer anderen Uni oder in einem anderen Bundesland neu immatrikulieren zu lassen. Dann kann man das Studium in Deutschland nicht mehr fortsetzen.
Was gibt es denn noch fรผr Mรถglichkeiten, wenn ich trotzdem Arzt oder รrztin werden mรถchte?
Anna Nitsch:ย Das ist tatsรคchlich sehr schwierig โ es gibt da relativ wenige Mรถglichkeiten. In der Beratung sind wir da auch sehr klar, um da keine falschen Versprechungen zu machen. Das Studium Humanmedizin in Deutschland ist damit einfach beendet. Das Immatrikulationshindernis bei einer endgรผltig nicht bestanden Prรผfung besteht allerdings nur deutschlandweit. Das heiรt: Es gibt die Mรถglichkeit, im Ausland weiter zu studieren. Allerdings muss man die ganzen Hรผrden, die damit verbunden sind, nehmen. Man braucht einen Studienplatz im Ausland, man braucht das Geld fรผr eventuelle Studiengebรผhren, man muss den Studienabschluss dann fรผr eine deutsche Approbation anerkennen lassen. Das ist eine Mรถglichkeit, aber es ist nicht fรผr jeden machbar.
Welche Mรถglichkeiten gibt es noch?
Anna Nitsch:ย Man kann beispielsweise auch in ein anderes Fach wie Zahnmedizin wechseln. Das ist tatsรคchlich relativ unproblematisch. Da Zahnmedizin ein vรถllig anderer Studiengang ist als Humanmedizin, kann man sich dort auf einen Studienplatz bewerben und sich Fรคcher anrechnen lassen, die man schon absolviert hat. Gerade die naturwissenschaftlichen Grundlagen in der Vorklinik lassen sich gut auch fรผr andere Fรคcher nutzen.
Was geben Sie persรถnlich den Studierenden mit auf den Weg, wenn sie in einer Prรผfung mehrfach durchgefallen sind?
Anna Nitsch:ย Ich rate ihnen vor allem, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und frรผhzeitig aktiv zu werden. Woran hat es gelegen und woran kann ich arbeiten? Wenn man mehrmals durch eine Prรผfung fรคllt und das Verhalten nicht รคndert, ist es relativ wahrscheinlich, dass man auch beim nรคchsten Mal durchfรคllt. Es gibt viele Beratungs- und Unterstรผtzungsangebote, die man nur annehmen muss. Wichtig ist, sich nicht von den Rรผckschlรคgen entmutigen zu lassen.
Die Expertin:
Anna Nitschย ist Juristin und leitet das Prรผfungsamt Humanmedizin an der Universitรคt Bonn. Dort berรคt sie Studierende in prรผfungsrechtlichen Fragen.
Bild: ยฉ Christoph Kottmann

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