Ihr setzt Euch dafür ein, dass Ärzte und Medizinstudierende neben dem Beruf auch genügend Zeit für Freunde und Familie (=freundilie) haben. Welche Probleme gibt es da derzeit?
Julia: In der Klinik sind lange Schichten und Überstunden, die nicht aufgeschrieben werden dürfen, oft Alltag. Das ist schwer mit einer Familie zu vereinbaren. Konzepte, bei dem sich Stelleninhaber tatsächlich eine Stelle teilen, werden erst langsam etabliert. Die Aufgaben einer Stationsärztin oder eines Stationsarztes sind in Teilzeit nur schwer zu bewältigen. In meiner letzten Famulatur blieben die Ärzte im Schnitt nach Dienstschluss zwei Stunden länger. Das kann man schon mal ein paar Jahre machen, um die Karriere ins Rollen zu bringen. Aber spätestens, wenn Kinder da sind, wird das oft schwierig. Besonders, wenn beide Eltern in der Klinik sind.
Anne: Größte Probleme sind, dass Studierende mit Kind auch nur 24 Stunden Zeit haben für die gleichen Leistungen, aber zu Hause auch noch Kinder betreuen müssen und wollen. Je höher eine Anwesenheitspflicht im Studium, umso schwerer wird diese Vereinbarkeit, wenn man bedenkt, dass man noch lernen und am besten auch schlafen sollte.
Katja: Mit Blick auf das Studium geht es uns auch darum, die Studienbedingungen für Eltern zu verbessern: zum Beispiel durch entsprechende Stundenplanregelungen, Sonderregelungen oder Härtefallregelungen, E-Learning Angebote und ähnliches.
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Wie sollte der familienfreundliche Arbeitsalltag im Krankenhaus idealerweise aussehen?
Julia: Ganz wichtig wäre es, pünktlich nach Hause zu gehen und ein Team zu haben, dass das auch macht. So wird kein impliziter Druck auf die Kollegen ausgeübt. Wichtig sind außerdem interessante Aufgaben für schwangere und stillende Ärztinnen, die das Berufsverbot obsolet machen. Für die Facharztausbildung würden sich individualisierte Rotationspläne und Weiterbildungspläne gut eignen, die Elternzeit und Familiengründung mit einbeziehen. So etwas gibt es derzeit nur vereinzelt. Zusätzlich wünschen wir uns eine grundsätzliche Bereitschaft zu Teilzeitmodellen oder flexiblerer Arbeitszeitgestaltung. Das ist schwierig, aber unmöglich ist es nicht.
Anne: Wichtig ist, dass gerade junge Kolleginnen und Kollegen das Arbeitszeitgesetz kennen. Denn dann würden sich alle bemühen, die Überstunden gering zu halten. Denn überarbeitete Ärzte gefährden das Wohl der Patienten.
Katja: Wir wünschen uns auch mehr Bereitschaft bei den Arbeitgebern, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder zu schaffen oder Arbeitszeiten anzupassen: Wie soll ich um 7:45 Uhr in der Frühbesprechung sein, wenn die Kita erst um 8 Uhr öffnet oder die Plätze vorzugsweise an ärztliche Führungskräfte vergeben werden? Das gilt natürlich auch für Vorlesungen oder Praktika.
Was müsste sich in den Krankenhäusern ändern, um dieses Ideal zu erreichen?
Julia: Das kann man so pauschal gar nicht beantworten, oft hängt es vom jeweiligen Chef ab, wie sie oder er das Team führt. In der Klinik gelten oft noch straffe Hierarchien. Dass es auch anders geht, zeigt das, Projekt FamSurg-Chirurgie auf dem Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Hier werden Frauen über die Dauer ihrer Karriere, auch im Hinblick auf Familiengründung gefördert. Das Konzept ist also da und könnte auch auf andere Kliniken übertragen werden.
Katja: Flexibilität ist da wohl das zentrale Stichwort. Ein großer Schritt wäre es, wenn es eine generelle Bereitschaft in den Krankenhäusern gäbe, neue Wege zu gehen. Ich denke, das würde viele beim Thema Familienplanung entlasten. Zu wissen, dass man aufs Abstellgleis geraten könnte, bedeutet für viele großen Druck. Generell wäre die Anerkennung der Leistungen von Eltern im Team wünschenswert. Vielleicht geht der Kollege am Ende seiner Schicht nach Hause, um die Kinder aus der Kita zu holen – und macht eben keine Überstunden. Aber wenn er seine Tagesaufgaben erfüllt hat, ist das doch eher ein Zeichen für effizientes Zeitmanagement. Das sollte anerkannt werden.
Was fordert Ihr von der Politik?
Anne: Die Politik sollte sich überlegen, ob Arbeitsmodelle aus Skandinavien auch in Deutschland möglich sind. Was spricht gegen sechs Stunden Arbeitszeit mit gleichem Gehalt, wenn man dann sichergehen kann, dass weniger Fehler stattfinden? Und in der Medizin kann ein Fehler den Tod eines Patienten bedeuten.
Julia: Die Politik ist insbesondere den Ärztinnen durch das Mutterschutzgesetz entgegengekommen. Das Ziel des Gesetzes ist es, Weiterbeschäftigung der Schwangeren zu ermöglichen und Alternativen zu gefährdenden Tätigkeiten zu finden. In der Praxis ist das aber noch ein langer Weg. Viele Ärztinnen werden ins Beschäftigungsverbot gedrängt und haben nur die Wahl zwischen Schreibtisch und Tätigkeitsverbot. Was den Mutterschutz angeht, liegt der Ball im Spielfeld der Kliniken. Projekte der Unfallchirurginnen und Orthopädinnen möchten „Operieren in der Schwangerschaft“ (OPidS) durchsetzen – leider nur mäßig erfolgreich. Das soll heißen, auch hier wird ein erfolgversprechendes Konzept nicht umgesetzt. In einer meiner Famulaturen in der Geburtshilfe gab es 90 Prozent weibliche Ärztinnen und alle haben weiter operiert, bis der Bauch sie gehindert hat. Ich fand das beeindruckend. Es ist also machbar! Interessant auch für uns ist die Debatte um Parität: Schon jetzt sind teilweise mehr als 60 Prozent der Medizinstudierenden weiblich, da ist es doch nur logisch, dass mindestens 50 Prozent der hohen Posten und Professuren in der Medizin mit Frauen besetzt ist, eigentlich sogar 60 Prozent.
Wie ist aktuell die Situation für Medizinstudentinnen in der Schwangerschaft?
Julia: Auch das kann man nicht pauschal beantworten. Eine unserer größeren Baustellen zurzeit ist, dass die Bedingungen für schwangere Medizinstudentinnen so unterschiedlich sind. Die Hochschulgesetze in den Bundesländern sind durch den Föderalismus sehr unterschiedlich. Manche enthalten Paragrafen zur Frauenförderung, aus denen sich in den Studienordnungen Äquivalente und Nachteilsausgleiche ableiten. Andere Unis haben gewachsene Strukturen für studierende Eltern, die das Studieren mit Kind sehr erleichtern und auch in der Schwangerschaft hilfreich sind. Manchmal hören wir aber auch von Regelungen, die haarsträubend sind: zum Beispiel keine chirurgischen Kurse in der gesamten Schwangerschaft. Das bedeutet dann im Umkehrschluss, dass es an einigen Unis deutlich einfacher für (werdende) Eltern ist, Studium und Familie unter einen Hut zu bekommen und an anderen Unis die Schwangeren ihren Bauch regelrecht verstecken, um eventuellen Nachteilen zu entgehen.
Gibt es Unterschiede in den verschiedenen Facharzt-Richtungen, was die Familienfreundlichkeit betrifft? Sind Eure Vorstellungen in einigen Fachrichtungen einfacher umsetzbar als in anderen?
Julia: Die erwähnten Beispiele von FamSurg und OPidS sind beides Beispiele aus der Chirurgie, und dabei gilt gerade dieses Fach als besonders wenig familienfreundlich. Vermutlich ist der Nachwuchsmangel hier auch ein Grund dafür, dass sich gerade in dieser Disziplin Initiativen bilden. Die Allgemeinmedizin und die Niederlassung generell gelten als familienverträglich. Aber auch hier findet die Facharztausbildung – außer in der Allgemeinmedizin – überwiegend in der Klinik statt.
Katja: Es gibt Bereiche, in denen man nach acht Stunden regulär nach Hause geht. Mir fallen da spontan die Radiologie und teilweise auch die Anästhesie ein. Auch hier ist die vorgelebte Struktur des Krankenhauses bzw. der Vorgesetzten oftmals ausschlaggebend.
Wie unterstützt Ihr Studierende bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Julia: Wir sind ja Teil der bvmd und repräsentieren die ca. sechs bis acht Prozent der Medizinstudierenden mit Kind – zum Beispiel in Ministerien, auf Tagungen, in anderen Verbänden und gegenüber der Presse. Außerdem arbeiten wir mit den Fachschaften vor Ort zusammen. Wir beraten Multiplikatoren und helfen, die Umsetzung familienfreundlicher Strukturen voranzutreiben. Gerade haben wir zum ersten Mal ein Workshop zur Vernetzung abgehalten, der ein voller Erfolg war. Wir hatten Vertreterinnen und Vertreter von zehn verschiedenen Standorten zu Gast in Hamburg und konnten digital und vor Ort die Basis für ein Netzwerk legen. Das machen wir im nächsten Jahr sicher wieder, diesmal mit den gesammelten Erfahrungen des ersten Workshops. Wir finden das super aufregend.
Katja: Der Großteil meiner Arbeit ist Beratung: Was findet man wo? Wer ist Ansprechpartner? Welche Möglichkeiten habe ich? Wie finanziere ich mich zukünftig? Die Vernetzung untereinander und innerhalb eines Semesters ist meist der Start.
Anne: Am UKE machen wir zusätzlich zur Beratung immer wieder darauf aufmerksam, dass sich was ändern muss. Viele Jahrgänge vor uns hatten dafür nicht auch noch die Kraft. Das ist der Grund, warum viele medizinische Fakultäten weit hinterher sind mit Hilfsangeboten bzw.
Unterstützungsangeboten für Studierende mit Familie.
Die Balance zwischen Beruf und Privatleben scheint jungen Medizinern heute wichtiger zu sein als früheren Generationen. Was glaubt Ihr – warum ist das so?
Julia: Ich würde sagen, die Generation der jetzt 20-30-Jährigen kann ihre Bedürfnisse einfach besser artikulieren als ihre Eltern und Großeltern, weil sie gelernt haben, dass ihre Bedürfnisse
zählen.
Katja: Außerdem ermöglicht es der Stellenmarkt inzwischen tatsächlich allen Beschäftigten im Gesundheitswesen, ihre Wünsche nicht nur zu denken, sondern konkret einzufordern. Unsere
Generation ist viel mobiler und hat dadurch mehr Auswahl: Ein Umzug in eine andere Stadt und somit auch der Wechsel in ein anderes Haus ist für viele kein Problem.
Ein Engagement gibt auch den Ehrenamtlichen immer etwas zurück. Warum engagiert Ihr Euch in diesem Bereich und was nehmt Ihr für Euch persönlich aus diesem Engagement mit?
Julia: Ich bin Zweitstudentin und habe als kinderlose Studierende viel klarer gesehen, dass es eine unsichtbare Grenze zwischen den Studierenden mit Kind und denen ohne Kind gibt. Als ich dann mit Kind anfing, Medizin zu studieren, habe ich die Grenze selbst gespürt. Die ist übrigens nicht absichtlich da! Das Leben ist einfach ein ganz anderes mit Kind und Studium und vielleicht noch Job gegenüber kinderlos, jung und vielleicht das erste Mal auf eigenen Füßen. Ich habe die tollsten Kommilitoninnen und Kommilitonen des Landes gefunden unter den anderen Studierenden mit Kind und teile meine Erfahrungen gerne, um anderen wie mir bzw. uns zu helfen.
Katja: Ich ziehe aus dem Ehrenamt vor allem Motivation an schlechten Tagen, alle sitzen im selben Boot und viele haben ihr Studium erfolgreich hinter sich gebracht – also kein Grund, es nicht auch zu schaffen.
Anne: Mir ist es wichtig, dass jeder Medizin studieren kann, auch wenn man schon Kinder hat. Und vor allem, auch wenn man keine Unterstützung durch die eigene Familie bekommt. Wenn sich etwas durch mein Engagement ändert, so dass dieser Wunsch eine Zukunft hat, macht mich dies zufrieden und glücklich.
Mit dem Projekt freundilie setzt sich die bvmd für ein familienfreundliches, gesundes, und menschliches Arbeiten als Arzt und Ärztin ein. Im Mittelpunkt steht der Anspruch, trotz Studien- und Berufsalltag Zeit mit Freunden und Familie (= freundilie) verbringen zu können.
Mehr Infos: www.bvmd.de/unsere-arbeit/projekte/freundilie/
Kontakt: freundilie@bvmd.de