Wir schreiten zum Äußersten!

Nach reichlich Theorie im Studium endlich in den Alltag eines Arztes eintauchen – ein Traum für jeden Medizinstudenten – oder? Christiane Licht berichtet hier regelmäßig von ihren Erfahrungen als Ärztin im In- und Ausland. Teil 73: Wir schreiten zum Äußersten!

Liebes Krankenhaus,

furchtbar frustriert sitzen wir schon seit geschlagenen drei Stunden in der Unibibliothek und verzweifeln. Eigentlich wollten wir ja hochmotiviert auf medizinische Safari gehen. Wir haben einen 23-jährigen Sportler aufgenommen, der sich in letzter Zeit schlapp und kraftlos fühlt. Seit zwei Wochen kam es zu einer zunehmenden Leistungsverschlechterung. Und alle theoretisch so schön passenden Verdachtsdiagnosen – wie HOCM oder Endokarditis – kommen einfach nicht in Frage. Und da sitzen wir nun und grübeln. Mein Kollege Oleg liest im Lexikon der Sportmedizin nach, ich setze mich mit jeglicher Form von Kardiomyopathien auseinander und meine Kollegin Tatjana schlägt wahllos Seiten im Pschyrembel auf. Wir kommen einfach nicht drauf. Und weiter kommen wir auch nicht. Und da kommt auch schon unser Oberarzt vorbei. Neben vier Tassen Kaffee hat er auch einen Rat dabei: „Nicht verzweifeln. Wenn man nicht weiterkommt, dann sollte man zum Äußersten schreiten und einfach nochmal mit dem Patienten reden!“. Und das tun wir dann natürlich auch. Oleg untersucht ihn nochmal körperlich, diesmal aber komplett und ohne Unterhose. Und da siehe und staune: An der wohl überraschendsten Stelle zeigt sich die Diagnose ganz deutlich: ein Ulcus durum an der Glans penis. Hätten wir in der Bibliothek mal lieber bekannte Merksprüche – wie Lues, bist du es? -nachgeschlagen, als super seltene Zebra-Kardiomyopathien…
Und schon nach der Einmalgabe von Pencillin konnte der Patient dann entlassen werden.

Christiane Licht hat in Münster Medizin studiert und schildert hier ihre erste Arbeitserfahrungen als Ärztin. Alle Blog-Inhalte beruhen auf den Erfahrungen von Christiane Licht und geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

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