Weniger Stress im Medizinstudium – so geht’s!

Die enorme Menge an Lernstoff im Medizinstudium ist einer der Hauptgründe für Stress bei den Studierenden. © Markus Koch
Das Studium der Humanmedizin hat den Ruf, einer der wohl stressigsten Studiengänge zu sein. Doch dauerhafter Stress im Medizinstudium muss nicht sein. Wie Studierende Stress und Anspannung wieder loswerden und sich wieder gesund fühlen können, erklärt Dr. med. Felicitas Saal, Ärztin und Anti-Stress-Coach, im Interview.

Frau Saal, warum empfinden viele Studierende das Medizinstudium als besonders stressig?

Felicitas Saal: Zum einen ist es eine große Stoffmenge, die man oft in kurzer Zeit zu bewältigen hat – gefühlt Berge an Lernstoff. Zum anderen sind es sehr viele Prüfungen, die man für seine Scheine ablegen muss. Außerdem gibt es viele Pflichtveranstaltungen, also viele Praktika und Seminare, in denen man anwesend sein muss. All das führt dazu, dass es von außen viele Anforderungen gibt. Hinzu kommt noch, dass viele Medizinstudierende eine perfektionistische Ader haben. Viele waren in der Schule schon sehr gut, haben ein sehr gutes Abi geschrieben und haben dementsprechend sehr hohe Ansprüche – auch an sich selbst. Oft läuft dieser innere Anspruch „Ich muss das alles können, ich muss das alles wissen, ich muss das alles drauf haben“ unterbewusst. Das ist aus meiner Sicht bei dem vielen Lernstoff nicht oder nur sehr schwer möglich. All diese äußeren Anforderungen und inneren Ansprüche führen dazu, dass viele Medizinstudierende ein sehr hohes Stresslevel haben.

Sie sind selbst Ärztin. Wie haben Sie den Stress während des Studiums empfunden?

Felicitas Saal: Ich habe mich über viele Jahre im Medizinstudium sehr unter Druck gesetzt. Bewusst habe ich lange Zeit nicht gemerkt, dass ich so hohe Ansprüche an mich selbst hatte. Außerhalb des Studiums hatte ich noch viele andere Sachen, bei denen ich meinte, dass ich sie unbedingt machen und gut machen muss. Damit habe ich mich sehr unter Druck gesetzt und selbst überfordert. Ich habe das Gefühl, dass genau das bei vielen Medizinstudierenden der Fall ist. Manche bekommen es selbst vielleicht erstmal gar nicht mit, wie hoch ihr Stresslevel wirklich ist.

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Wann haben Sie angefangen, sich mit Anti-Stress-Methoden zu beschäftigen? Wann war bei Ihnen der Punkt, an dem Sie merkten, das ist jetzt zu viel Stress?

Felicitas Saal: Ab irgendeinem Punkt im Studium habe ich gemerkt, dass ich im Grunde den ganzen Tag angespannt bin, eine Enge in der Kehle und Druck auf der Brust gespürt habe. Etwa in der Mitte des Studiums wurde mir bewusst: Ich kann so nicht mehr weitermachen und ich will auch nicht so weitermachen. Dann habe ich mich auf die Suche nach Möglichkeiten gemacht, wie es auch anders gehen kann. Zu der Zeit habe ich mich sehr viel mit persönlicher Weiterentwicklung, Mindset und Methoden, wie man innerlich den Stress abbauen und Druck reduzieren kann, beschäftigt. Am Ende des Studiums habe ich für mich Wege gefunden, wie ich es schaffen kann, nicht den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen, genug Zeit für mich selbst zu haben und trotzdem die Prüfungen gut zu bestehen.

Wie lange hat dieser Lernprozess gedauert?

Felicitas Saal: Das hat schon ein paar Jahre gedauert. Ich hätte mir so gewünscht, dass mir jemand einfach sagt, was ich wie in welchen Schritten machen soll, nur damit ich endlich diesen Stress und die Anspannung loswerde. Damals habe ich leider niemanden gefunden, der mir das so gesagt oder erklärt hätte – deshalb gebe ich meine besten Anti-Stress-Tools jetzt selbst an Medizinstudierende weiter.

Könnte eine Anpassung des Studienaufbaus Stress reduzieren?

Felicitas Saal: Ja, das denke ich auf jeden Fall. Aus meiner Sicht werden viele Dinge sehr im Detail vermittelt, was man später als Arzt oder Ärztin so nicht braucht. Gerade beispielsweise in der Vorklinik beim Thema Biochemie ist das so: Zwar sind die ganzen Substrate und Enzyme total spannend, aber in der Regel braucht man das so detailreich für die praktische Tätigkeit nicht. Da könnte man viel entschlacken und ausmisten und somit auch Lernstoff und Prüfungen reduzieren.

3 Tipps, um Stress & Druck im Medizinstudium zu reduzieren

  1. Lerne, dir selbst weniger Druck zu machen und überhöhte Ansprüche an dich selbst zu reduzieren. Es ist okay, nicht alles perfekt zu können und auch mal nicht alles geschafft zu haben, was auf deiner To-Do-Liste stand.
  2. Lerne, mit Stressgefühlen, Druck und Anspannung richtig umzugehen, anstatt sie zu verdrängen: Oft haben solche Gefühle eine Botschaft für uns und wollen uns z.B. sagen, wann es Zeit für eine Pause ist.
  3. Stelle dich, deine Gesundheit und dein Wohlbefinden wieder an erste Stelle – und nicht die Uni, den Lehrplan oder die Prüfungen. Es ist okay, auch mal auszuschlafen, Pausen zu machen oder ein Freisemester zu nehmen.

Hält der Ruf des Medizinstudiums, so stressig zu sein, einige davon ab, dieses Fach zu studieren?

Felicitas Saal: Das gibt es auf jeden Fall. Ich habe mir selbst beim Abitur damals gedacht, dass ich niemals Medizin studieren werde, weil es mir viel zu stressig ist. Ich bin also das perfekte Beispiel. Und es war auch einige Jahre sehr stressig. Aber ich habe herausgefunden, wie es auch anders gehen kann. Aus diesem Grund helfe ich nun Medizinstudierenden und nehme sie da an die Hand. Ich habe viele Sachen ausprobiert. Manches hat mich mehr weitergebracht, manches weniger. Heute gebe ich die Essenzen von dem, was mir am meisten geholfen hat und noch heute hilft, an die Studierenden weiter.

Wie wichtig ist es gerade im Medizinstudium, Ruhe und Gelassenheit zu bewahren?

Felicitas Saal: Das ist sehr wichtig. Letztendlich geht es im Medizinstudium um das Thema Gesundheit. Deswegen studieren die meisten dieses Fach. Studierende sollten also mit bestem Beispiel vorangehen und schauen, dass sie erstmal selbst gesund sind, dass sie emotional und mental gut in Balance sind. Außerdem ist es sehr von Vorteil, wenn man seine Entspannungsfähigkeit steigert und lernt, innerlich ruhig zu bleiben. Das hilft zum einen beim Lernen, weil man in einem entspannten, ruhigen und neugierigen Zustand leichter Lernstoff aufnehmen kann als im sogenannten „fight or flight“-Modus. Zum anderen ist es in Prüfungen – gerade mündlichen Prüfungen – vorteilhaft, wenn man weiß, wie man sich innerlich nicht verrückt macht und nicht vor Nervosität durchdreht. Entspannt und ruhig fällt es uns leichter, Wissen abzurufen und damit die Prüfungen gut zu bestehen.

In welchen Situationen kann Stress eine positive Wirkung haben? Und woran merkt man, wann es wirklich zu viel ist?

Felicitas Saal: Stress kann auch positiv sein, wie beim sogenannten Eustress. Das ist eine Form von Stress, die mit positiven Emotionen wie Begeisterung, Leidenschaft, Freude und positiver Aufregung verbunden ist. In diesem Fall hat Stress eine positive Wirkung für unsere Gesundheit und kann uns dabei unterstützen, unsere Ziele zu erreichen. Es hilft beim Lernen oder dabei, die Prüfungen gut zu meistern. Zudem kann es vor Prüfungen etwas Gutes sein, eine gewisse Aufregung zu haben oder ein bisschen nervös zu sein. So sind wir wach und fokussiert und können unser Wissen punktgenau abrufen.

Bei zu viel Stress sollte man auf verschiedene Alarmzeichen achten. Das kann zum einen sein, wenn man merkt, dass man sich die meiste Zeit des Tages angespannt und gestresst fühlt. Wenn der Anteil der Zeit, in der man sich angespannt fühlt, deutlich größer ist als die Zeit, in der man sich entspannt fühlt, dann sollte man etwas ändern. Ein anderes Zeichen kann sein, wenn man sich gefühlt gar nicht mehr entspannen kann, auch wenn man gerade gar nichts macht. Auch körperliche Stresssymptome sind Alarmzeichen: Tinnitus, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Spannungskopfschmerzen oder Verdauungsprobleme. Spätestens dann muss man das Stresslevel reduzieren.

Welche konkreten Tipps können Sie Medizinstudierenden geben, um mit dem Stress besser umzugehen?

Felicitas Saal: Ein ganz wichtiger Punkt ist, den hausgemachten Druck, die eigenen überhöhten Ansprüche an sich selbst zu reduzieren. Wir dürfen lernen, innerlich nicht mehr so streng mit uns zu sein, und lernen, dass wir nicht perfekt sind oder alles perfekt lernen können. Wenn man am Ende des Tages auf die To-Do-Liste schaut und merkt, dass man nicht alles geschafft hat, darf man nachsichtig mit sich selbst sein und eine freundliche Haltung sich selbst gegenüber entwickeln.

Darüber hinaus ist es essentiell, mit Stressgefühlen, innerer Anspannung und Überforderung „richtig“ umzugehen. Oft haben wir im Alltag die Tendenz, negative Gefühle wie Stress zu verdrängen und trotzdem weiterzumachen. Stattdessen ist es wichtig zu lernen, so mit diesen Gefühlen umzugehen, dass sie wieder durchfließen können und wir die Botschaft dieser Gefühle verstehen. Denn wenn wir sie über einen längeren Zeitraum haben, sagt uns unser Körper damit „Gönn dir mal eine Pause. Du brauchst Ruhe. Du brauchst mal Urlaub“.

Noch ein zentraler Punkt ist, sein eigenes Wohl, seine eigene Gesundheit wieder an erste Stelle zu setzen. Nicht die Uni, nicht den Lehrplan, nicht die Prüfungen, sondern sich selbst und dass es einem selbst gut geht. Es bringt nichts, sich gestresst durch das Medizinstudium zu prügeln, um am Ende schlimmstenfalls an einem Burnout zu erkranken. Denn warum studieren die meisten Medizin? Weil sie sich für Gesundheit interessieren. Weil sie Menschen helfen wollen, gesund zu sein und zu bleiben. Und da dürfen wir bei uns selbst anfangen. Also dürfen wir es uns erlauben, mal nicht den ganzen Tag zu lernen, mal auszuschlafen oder auch mal ein Freisemester zu nehmen und das Studium nicht in Regelstudienzeit zu absolvieren.

Inwiefern kann man diese Tipps auch nach dem Studium noch verwenden?

Felicitas Saal: Die Tipps sind für alle Lebenslagen sinnvoll. Gerade in der Klinik oder der Facharztweiterbildung ist es wichtig, mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen in Verbindung zu sein und sich nicht selbst hintenanzustellen. Das geht auf lange Frist nicht gut. Unser Gesundheitssystem ist nicht unbedingt förderlich aufgebaut, um selbst als Arzt oder Ärztin gesund zu sein. Deswegen ist es umso wichtiger, sich selbst darum zu kümmern und sich selbst an erste Stelle zu setzen. Es gibt ja auch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit oder Arbeitsplätze mit entspannteren Dienstplänen ohne Schichtsystem. Oder es gibt den Weg, ein eigenes Business aufzubauen oder eine eigene Praxis zu gründen, in der man selbst der Chef ist und sich alles so einrichten kann, dass es sich gut anfühlt.

Sie sind auch Anti-Stress-Coach. Was bieten Sie Medizinstudierenden an? 

Felicitas Saal: Ich biete auf der einen Seite ein 1-zu-1-Coaching an, bei dem ich hauptsächlich Medizinstudierende über mehrere Monate begleite. Dabei helfe ich ihnen ganz individuell, ihr Stresslevel zu reduzieren, mehr Zeit für sich zu haben und trotzdem ihr Medizinstudium gut zu meistern.

Außerdem gibt es dieses Semester auch wieder die Anti-Stress-Mastery für Medizinstudierende. Das ist ein intensives Gruppen-Coaching-Programm über mehrere Wochen, in dem es auch darum geht, weniger Stress und mehr Freizeit zu haben, aber weiterhin gute Noten im Studium zu schreiben. Hier gibt es meine besten Tools, also alles, was mir früher selbst geholfen hat.

Seit Kurzem gibt es auch das MEDItation-Package. Dabei handelt es sich um ein Online-Paket mit neun Anti-Stress-Meditationen speziell für die stressigsten Lebenslagen, die alle Medizinstudierenden kennen. Zum Beispiel gibt es speziell für die Aufregung vor Prüfungen eine Meditation.

Natürlich sind diese Methoden und Coachings nicht nur für Medizinstudierende gültig, sondern sind auch für Studierende anderer Fächer oder bereits Berufstätige geeignet. Sie helfen in allen Lebenslagen, das Stresslevel zu reduzieren.

Sie haben dazu noch einen Podcast „Anders denken, anders fühlen“. Worum geht es da?

Felicitas Saal: In dem Podcast geht es auch um genau die Themen Stressbewältigung und Mental Health im Medizinstudium. Ich gebe kostenlose Tipps, Impulse und Inspirationen, wie man erfolgreich das Medizinstudium meistern kann, ohne sich zu Tode zu stressen. Oder wie man es schaffen kann, die eigenen hohen Selbstansprüche zu reduzieren und wie man mit stressigen Gefühlen gut umgehen kann.

Meine Message: Viele haben zu Beginn und mitten im Medizinstudium die Vorstellung, dass es einfach ein extrem stressiger Studiengang ist und dass man daran nichts ändern kann. Das stimmt nicht! Es ist möglich, auch dieses Studium entspannter zu meistern, ohne sich ständig gestresst und angespannt zu fühlen, also eine gesunde Uni-Life-Balance aufzubauen. Das hat viel mit dem eigenen Mindset zu tun, was wir selbst für möglich halten und was nicht. Ich möchte alle ermutigen, sich bewusst zu machen, dass es auch anders geht. Dass es entspannter geht. Niemand muss in diesem Stress gefangen sein.

Dr. med. Felicitas Saal

ist approbierte Ärztin und leidenschaftliche Coachin für Medizinstudierende.

Ihre Fokusthemen sind Stressbewältigung und Mental Health im Medizinstudium.

 © privat

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