Ein weiß-rotes Absperrband teilt das Publikum in zwei Hälften: Die Medizinstudenten und jungen Ärzte, die beim Operation Karriere-Kongress in Hamburg im Hörsaal sitzen, dürfen bei diesem Vortrag nicht nur zuhören. Stattdessen können sie selbst aktiv werden und sich in verschiedene Situationen einfühlen. Die Zuhörer auf der einen Seite spielen die “Chefärzte”: Sie wollen für ihre Klinik möglichst geeignete Nachwuchskräfte rekrutieren. Auf der anderen Seite sitzen die “Weiterbildungsassistenten”, die eine attraktive Stelle suchen, bei der sie viel für ihre Facharztweiterbildung lernen, aber bei der auch die Work-Life-Balance nicht zu kurz kommt.
Hillebrand und Fiege steuern die Diskussion mit Fragen: Welche Form sollte eine Bewerbung haben? Ist die Bewerbungsmappe noch zeitgemäß, oder reicht es, im Bewerbungsportal seine Unterlagen hochzuladen? “Eine E-Mail mit den Dokumenten als pdf-Datei im Anhang ist inzwischen üblich und meistens gleichwertig wie die gedruckte Bewerbungsmappe”, erklärt Hillebrand, “allerdings sollten Sie keine Serienbriefe schreiben, sondern in der Bewerbung zeigen, dass Sie sich mit der Stelle auseinandergesetzt haben”. “Wir stellen niemanden ein, der nicht zumindest bei uns hospitiert hat”, ergänzt Fiege, “dann rede ich mit meinen Kollegen, ob der Kandidat ins Team passt. Besser ist es natürlich, wenn jemand schon im PJ bei uns war – dann wissen beide Seiten, was sie erwartet”.
Was ist wichtig: Promotion? Auslandserfahrung? Ehrenamt?
Eine Promotion sei nicht entscheidend – allerdings sei sie auch kein Nachteil, verrät Fiege weiter. Im besten Fall habe jemand in seiner Doktorarbeit schon bestimmte Fähigkeiten unter Beweis gestellt, die für die Weiterbildung wichtig seien.
Auslandserfahrung sei grundsätzlich gut; allerdings komme es darauf an, was genau jemand gemacht habe, erklärt Hillebrand: Wer zwei PJ-Tertiale auf Tahiti verbracht habe, müsse sich die Frage gefallen lassen, ob dabei nicht vielleicht die Freizeitgestaltung im Mittelpunkt gestanden habe. Etwas anderes sei ein Aufenthalt in einer Klinik für Tropendermatologie in Sri Lanka – das ist bei der Bewerbung von Vorteil. Gut sei es auf jeden Fall, wenn man soziales Engagement nachweisen könne – zum Beispiel in einer studentischen Initiative.
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Und was ist mit Lücken im Lebenslauf? “Das finde ich als Chefarzt oft extrem spannend, weil ich verstehen will, was jemand in der Zeit gemacht hat”, verrät Fiege, “Das macht Menschen spannend, wenn sie im Leben auch mal über den medizinischen Tellerrand geguckt und etwas ganz anderes gemacht haben”. Und auch Kinder sind grundsätzlich kein Problem – vor allem, weil die junge Ärztegeneration die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer mehr einfordere, erklärt Hillebrand. Wichtig sei es nur, keine völlig steifen Vorstellungen von der Arbeitszeit zu haben: “Wir versuchen, Eltern da entgegenzukommen. Aber ein großer Teil der Facharzt-Weiterbildung ist nunmal in Schichtdiensten organisiert. Da können sich einzelne nicht nur die Rosinen rauspicken – sonst wird es dem Rest des Teams gegenüber schnell ungerecht”.
Für beide Chefärzte ist aber die Begeisterung für das Fach und die Arbeit als Arzt das allerwichtigste Kriterium, wenn es darum geht, einen neuen Kollegen einzustellen: “Das ist dieses Leuchten in den Augen”, beschreibt Hillebrand, “Der Kandidat soll für das Fach brennen. Und wenn man das merkt, ist das schon eine gute Ausgangslage”.
Dr. Georg Hillebrand und PD Dr. Marko Fiege im Interview
Sehen Sie Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der jungen Ärzte und den Erwartungen der Chefärzte?
Fiege: Da muss es Diskrepanzen geben. Jemand, der eine Facharzt-Weiterbildung anfängt, hat ja ein ganz persönliches Interesse daran, in einer bestimmten Zeit gut ausgebildet zu werden und das auch mit seinem restlichen Leben gut kombinieren zu können – und das soll auch noch irgendwie nett sein. Das ist das Interesse der Weiterbildungsassistenten. Als Chefärzte haben wir natürlich auch ein Interesse daran, dass wir die besten Leute für unsere Klinik gewinnen und weiterbilden möchten – und es ist toll, wenn sie dann später erzählen, wie gut die Weiterbildung bei uns war. Aber wir haben natürlich auch ein Interesse an fleißigen Mitarbeitern, die für ihr Geld auch gute Arbeit machen – denn Weiterbildung ist nicht Ausbildung. Wir müssen die klinischen Belange abdecken und da ist es wichtig, dass die jungen Kollegen ab einem gewissen Zeitpunkt auch produktiv sind. Es ist immer herausfordernd, die Balance zwischen diesen beiden Interessen zu halten.
Was können denn Kliniken in dem Zusammenhang tun, um für die jungen Ärzte attraktiv zu sein?
Fiege: Ich glaube, man braucht ein gutes, strukturiertes Weiterbildungskonzept. Man muss eine Idee haben, wie man die Leute ausbildet: Was baut aufeinander auf und wann passt welcher Baustein gut ins Gesamtkonzept? Es gibt ja auch viele didaktische Gründe, warum eine bestimmte Reihenfolge bei den Inhalten sinnvoll ist. So ein Konzept muss es in der Klinik geben.
Hillebrand: Es ist ja auch immer eine Frage, inwieweit sich Didaktik und der Anspruch an Lehre im Klinikalltag mit dem Team umsetzen lassen. Das eine ist eine Art Curriculum, in dem die Abläufe der Facharzt-Weiterbildung über fünf oder sechs Jahre strukturiert sind. Das andere ist der Alltag: Inwieweit findet Lehre im Alltag statt? Das ist “Training on the job”, weil natürlich in erster Linie die Patienten versorgt werden müssen. Manchmal ist die Ambulanz total voll – da muss schnell gearbeitet werden. Andererseits möchte der Assistenzarzt vielleicht jeden Fall sehr ausführlich nachbesprechen. Da muss man einen guten Kompromiss finden.
Wie bringen Sie diese unterschiedlichen Erwartungen in der Praxis unter einen Hut?
Hillebrand: Ich glaube, uns in der Kinderklinik in Itzehoe gelingt das ganz gut. Für uns im oberärztlichen und chefärztlichen Team ist Lehre ein wichtiger Teil unserer täglichen Arbeit. Wir machen jeden Morgen eine ausführliche Morgenbesprechung. Da besprechen wir alle neuen Patienten, bringen aber auch gleichzeitig noch einen Teaching-Aspekt mit rein. Da gibt es dann jeden Tag ein besonderes Thema, das kurz angesprochen wird. Außerdem gibt es jede Woche Fallkonferenzen, in denen wir reihum Fälle vorstellen. Und es gibt regelmäßige Besprechungen mit den Kollegen aus anderen Fachrichtungen. Ich glaube, das ist eine Herausforderung und ein Anspruch an das Team der leitenden Ärzte, dass sie sich neben der Patientenbetreuung und ihren administrativen Aufgaben nicht vergessen, dass die Ausbildung ein wesentlicher Teil des Jobs ist – und zwar qualitativ auf einem hohen Niveau. Und wenn man das berücksichtigt, spricht sich das rum – und das macht eine Klinik attraktiv für Bewerber.
Fiege: Ich glaube, dass es eine gewisse Ehrlichkeit in der curricularen Ausbildung geben muss. Für mich heißt das, die curricularen Vorgaben müssen realistisch zu dem passen, was wir auch umsetzen können. Wir betreiben zum Beispiel auch ein Simulatonszentrum und machen simulationsgestützte Weiterbildung – aber im realen Leben geben die Patienten und der Klinikbetrieb vor, was passiert. Man kann in das Curriculum schreiben, dass jemand nach 92 Wochen eine bestimmte Behandlung durchführt. Aber dafür muss der passende Patient da sein und der Weiterbildungsassistent muss im Vorfeld die nötigen Grundlagen gelernt haben. Bei uns gibt es in der Weiterbildung Jahresthemen – da ist jemand dann schwerpunktmäßig zum Beispiel in der Intensivstation beschäftigt oder macht viel Notfallmedizin. Dieses grobe Raster halten wir auch seit längerer Zeit ziemlich dezidiert ein. Das lässt sich leichter umsetzen als ganz konkrete Pläne, was wann genau gemacht werden soll. Wenn man so ein grobes Raster hat, ist man schon relativ weit.
Was geben Sie jungen Ärzten mit auf den Weg, damit der Einstieg in die Weiterbildung gut klappt?
Hillebrand: Sie müssen für sich selbst eine Entscheidung treffen, dass es jetzt losgehen soll. Ich erwarte von niemandem, dass er seine künftige Karriere schon zu Beginn der Weiterbildung komplett vor Augen hat. Aber es sollte eine bewusste Entscheidung fallen: “Die nächsten zwei bis fünf Jahre bin ich jetzt in diesem Fach. Ich bin jetzt bereit zu starten und mein Leben darauf einzurichten.” Und dann klappt es.
Fiege: Ich glaube, so eine Offenheit und Neugier für diesen Lebensabschnitt, der ganz anders ist als das Studium, ist wichtig: Das ist dann Real-Life und das heißt auch, man muss sich auf die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen einlassen. Da beginnt auf einmal auch ganz viel soziale Interaktion am Arbeitsplatz. In so einem Gefüge muss man sich erstmal zurechtfinden. Manchmal hilft es vielleicht, die eigenen Erwartungen ein Stück weit zurückzuschrauben – und die neuen Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Die ersten Wochen und Monate sind – zumindest bei mir im Fach – extrem anstrengend. Das erzählen alle jungen Kollegen. Aber nach ungefähr einem halben Jahr ist auch wieder ein normales Leben außerhalb der Arbeit möglich.
Operation Karriere Hamburg, 14.06.2019, Impulsvortrag: “Neu in der Klinik – Erwartungen von Chefärzten und Weiterbildungsassistenten”, PD Dr. med. Marko Fiege, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Dr. med Georg Hillebrand, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, beide Klinikum Itzehoe