Selbst krank werden: „Ärztinnen und Ärzte sind nicht unverwundbar“

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Dr. Sandra Apondo beim Operation Karriere-Kongress in Heidelberg am 25. November 2023 © Oliver Wachenfeld Fotodesign
Ärztinnen und Ärzte haben täglich mit kranken Menschen zu tun. Aber über eigene Erkrankungsrisiken werde viel zu selten gesprochen, sagte Dr. med. Sandra Apondo beim Operation Karriere-Kongress in Heidelberg. Sie muss es wissen – denn sie ist als junge Ärztin selbst an Krebs erkrankt.

„Bei dem Kongressthema ‚Selbstfürsorge und Arztgesundheit‘ musste ich kurz stutzen“, verriet Apondo zu Beginn ihres Vortrags. Sie selbst hätte als Studentin im PJ so eine Veranstaltung vermutlich nicht besucht, gestand die Ärztin. Der Grund: „Zu dem Zeitpunkt war ich voller Tatendrang und wollte im Job durchstarten – an eine eigene Krankheit habe ich gar nicht gedacht“. Aber um als Arzt oder Ärztin Leistung zu bringen, sei es wichtig, gesund und belastbar zu sein.

Selbstbild: Unverwundbare Superheldinnen und -helden

Ärztinnen und Ärzte sehen sich selbst als unverwundbare Heilerinnen und Heiler, die das Wohl der Patientinnen und Patienten über alles stellen – auch über die eigene Gesundheit: Diese Bilder kursieren in den Medien und halten sich in den Köpfen, erklärte Apondo – und vor allem auch in den Köpfen der Ärztinnen und Ärzte selbst.

Zwar behaupte an der Uni niemand, dass Ärztinnen und Ärzte über übermenschliche Kräfte verfügen, aber trotzdem streife man beim Berufsstart zusammen mit dem weißen Kittel auch gleichzeitig dieses Selbstbild über: „Dann haben wir eine Uniform an, die auch bewirkt, dass wir uns als Teil einer gleichförmigen Gruppe der Gesunden, der Helfenden fühlen – im Gegensatz zu den Kranken in ihren Jogginganzügen oder Flügelhemden“, beschrieb Apondo. Sie selbst habe sich selbstverständlich immer als Teil der Gesunden gefühlt – abgesehen von kleineren Infekten oder Sportunfällen. Ernste, lebensbedrohliche Erkrankungen seien für sie immer dem Alter vorbehalten gewesen.

„Gleichzeitig gehören Krankheiten von Ärztinnen und Ärzten zu unserer täglichen Lebensrealität. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle, die schon Famulaturen oder das PJ gemacht haben, auch kranken Kolleginnen und Kollegen begegnet sind – in allen ärztlichen Fachgebieten“, vermutete Apondo. Rein statistisch gesehen sei es wahrscheinlich, mehrere psychisch Kranke zu kennen: 25 Prozent der Medizinstudierenden haben klinisch manifeste Depressionen – das nehme im Laufe der ärztlichen Karriere noch weiter zu. Ärztinnen und Ärzte seien eine Hochrisikogruppe für Burnout und Depression, Abhängigkeitserkrankungen und Suizid.

Die eigene Erkrankung als Seitenwechsel

„Arztgesundheit ist nichts Abstraktes – es spielt jetzt eine Rolle“, stellte Apondo fest. Sie selbst habe an sich Symptome wie Reizhusten, Rückenschmerzen und Müdigkeit festgestellt, aber immer eine einfache Erklärung dafür gefunden – bis sie mit Luftnot aus dem laufenden Klinikalltag direkt ins MRT kam. Dort wurde im Februar 2021 ein aggressives Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Mit dieser Diagnose wechselte die junge Mutter die Seiten: von der gesunden Ärztin zur kranken Patientin. „Die Seiten sind durchlässig in beide Richtungen – das kann sehr plötzlich passieren. Aber der Perspektivwechsel verändert auch den Blick auf die Medizin“.

Im Vortrag zeigte Apondo Fotos aus ihrer Zeit als Patientin – beispielsweise vom Blick aus ihrem Patientenzimmer am Uniklinikum Heidelberg: „Ich wollte mich nirgendwo anders behandeln lassen, sondern da, wo ich normalerweise arbeite“.

Für Apondo ist es wichtig, auch über die eigene Erkrankung zu sprechen: „In unserem Beruf ist es normal, über die Diagnosen der Patienten zu sprechen. Aber es ist nicht normal, über den Zustand des Krankseins zu reden – besonders dann nicht, wenn es einen selbst betrifft“. In der eigenen Helferrolle werde dieses Thema häufig totgeschwiegen und sogar stigmatisiert. Es gebe nur wenige öffentliche Stimmen, die sich dazu positionieren.

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Krank als Arzt oder Ärztin: Noch immer ein Tabu?

Ein Beispiel für einen Arzt, der eine eigene Krebserkrankung öffentlich gemacht hat, ist Thomas Ripke. Der Heidelberger Allgemeinmediziner schrieb im Jahr 2000 einen Beitrag mit dem Titel „Der kranke Arzt: Chance zum besseren Verständnis des Patienten“ im Deutschen Ärzteblatt. Apondo fühlte sich selbst von diesem Text dazu inspiriert, ebenfalls im Deutschen Ärzteblatt über ihre Krankheitserfahrungen zu schreiben: 2022 erschien dort ihr Artikel „Denkanstöße einer krebserfahrenen Kollegin: Ärztliche (Un)verwundbarkeit“ – mit großer Resonanz: Sie habe viele Leserzuschriften von Ärztinnen und Ärzten bekommen: Von Menschen, die lieber kündigen, als ihre eigene Krankheit publik zu machen, aber auch von solchen, die die Erfahrung als besten Lehrmeister in Bezug auf Empathie für Patientinnen und Patienten bezeichnen. Apondos Fazit: Das Thema sei auch im Jahr 2022 noch immer ein Tabu.

Sie beendete ihren Vortrag mit einem Wunsch an die Studierenden und die jungen Ärztinnen und Ärzte: „Meine Hoffnung und mein Wunsch an euch als junge Generation ist, dass ihr einen anderen Umgang mit dem Thema finden könnt, als die Generationen vor euch – und einfach nicht weiterhin ohne mit der Wimper zu zucken Raubbau am eigenen Körper und der eigenen Seele treibt“. Denn die eigene Gesundheit sei das höchste Gut. Es sei ärztliche Aufgabe, sich auch um die eigene Gesundheit zu kümmern – das sei auch im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog und im Genfer Gelöbnis so festgehalten.

Dazu sei es aber wichtig, selbstkritisch und ehrlich über sich und die eigenen Grenzen nachzudenken. Das werde im Medizinstudium aber nicht vermittelt. Fachkompetenz sei nicht alles – für den Arztberuf brauche es mehr. Aber auch die emotionale Kompetenz für einen menschlichen Umgang mit den Patientinnen und Patienten müsse man lernen – und natürlich auch mit sich selbst. Die Fähigkeit zur Selbstreflektion sei nicht „nice to have“, sondern gehöre elementar zum Arztberuf dazu. Man müsse lernen, selbstverantwortlich mit sich selbst umzugehen und gesund zu bleiben, um nicht nach vielen Berufsjahren in eine Depression oder einen Burnout abzugleiten.

Quelle: „Ärztliche (Un)verwundbarkeit? Und wenn ich selbst krank werde…“, Dr. med. Sandra Apondo, Universitätsklinikum Heidelberg, Operation Karriere Heidelberg, 25. November 2023

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