Beim Stichwort „Empathie“ weichen Ärztinnen und Ärzte zuweilen einen Schritt zurück. Bedeutet Empathie doch, wie der Begründer der klientenzentrierten Psychotherapie, Carl Rogers, sie definiert, die persönliche Wahrnehmungswelt eines anderen zu betreten und völlig in ihr zu Hause zu sein. Wer möchte schon das Leid seiner Patienten vollständig und hautnah erleben? Lange lässt sich das wohl nicht aushalten. Der Weg ins Burn out scheint mit dieser Haltung programmiert. Auf der anderen Seite sind sich die meisten doch sicher: Für eine gute Medizin braucht es empathische Ärzte. Wie kann man es also als Arzt schaffen, dem Patienten mitfühlend beizustehen, ohne sich selbst zu schaden?
Erhöhte Burn-out-Gefahr für empathische Ärzte
Dass Rogers mit seiner Auffassung von Empathie durchaus richtig lag, dafür sprechen neuere Forschungsergebnisse der deutschen Neurowissenschaftlerin und Psychologin Prof. Dr. Tanja Singer, derzeit wissenschaftliche Leiterin der Max- Planck-Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften in Berlin. Sie stellte in den vergangenen Jahren anhand wissenschaftlicher Studien fest, dass Menschen, welche sich in einen Leidenden einfühlten, tatsächlich selbst Schmerz erfahren. In ihren Gehirnen werden dabei neuronale Netzwerke des eigenen Schmerzerlebens aktiv.
Wird das Leid des anderen, wenn man sich in ihn einfühlt, als eigener Schmerz empfunden, wen wundert es dann, dass gerade Menschen in helfenden Berufen zuweilen davor zurückschrecken, sich dem Leid auszusetzen? Dass Ärzte einer chirurgischen Station – wie eine Mitarbeiterin berichtet – beispielsweise vor der Visite untereinander auslosen, wer in das Zimmer des Sterbenden gehen wird? Schützten sie sich nicht, drohen sie zwangsläufig irgendwann auszubrennen. Denn wer kann schon tagein, tagaus so viel Leid erleben, als sei es das eigene?
„An der erhöhten Burn-out-Gefahr für empathische Ärzte ist schon etwas dran“, meint Palliativmedizinerin und Psychotherapeutin Dr. med. Ruth Metten. „Vor allem dann, wenn wir nicht in der Lage sind, uns vom Leid des anderen auch wieder zu distanzieren, sobald wir es empathisch erfahren haben, sondern mit ihm in dessen Wahrnehmungswelt stecken bleiben. Dann sind wir nicht nur selbst enorm belastet, sondern meist auch nicht mehr in der Lage, dem anderen zu helfen.“ Was also tun? Auf Empathie verzichten? „Keineswegs. Zu fühlen, was der andere fühlt, ist absolut notwendig für gutes, ärztliches Handeln“, so Metten. „Nur, wenn ich es gespürt habe, sollte es mir gelingen, mich wieder davon zu distanzieren, um jetzt in einer Weise für den Leidenden aktiv werden zu können.“
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Der amerikanische Psychologe Paul Ekman nennt das „Compassion“. Auch wenn die deutsche Übersetzung des Wortes mit „Mitgefühl“ dies nahelegt, handelt es sich hierbei nicht um Empathie (Einfühlung), sondern um etwas anderes. Compassion bedeutet, dem Leidenden gegenüber eine aktiv-zugewandte, liebevoll gütige, fürsorgliche Haltung einzunehmen. Dass Compassion und Empathie in der Tat zwei Paar Schuhe sind, dafür sprechen auch jüngere, neurowissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass bei beiden jeweils unterschiedliche neuronale Netzwerke aktiv sind. Mit dieser Haltung des Mitgefühls nimmt man nun anstelle des eher passiven Wahrnehmens der Empathie eine aktive Rolle ein, ist motiviert, etwas für den anderen tun, das zu dessen Wohlbefinden beiträgt – und sei es nur, ihm oder ihr zuzuhören. Das ist gut für den Leidenden.
Achtsamkeit lässt sich trainieren und schützt vor Burn-out
Doch läuft man nach dem empathischen Mitleiden durch diese fürsorgliche Aktion der Compassion nicht erst recht Gefahr, in ein Burn-out zu rutschen? Das scheint keineswegs so zu sein. Im Gegenteil. Denn aus der Haltung des Mitgefühls gewinnt man nun – wie Palliativmedizinerin Metten erklärt – durch die Begegnung mit Leidenden eine ganz andere, weniger belastende, sondern vielmehr bereichernde Qualität. Sie bedeutet für Metten – auch wenn man es kaum glauben mag – ein tief empfundenes Glück. Dass Compassion im Gegensatz zur Empathie mit positiven Gefühlen bei Ärztinnen und Ärzten und einer Resilienz gegenüber Burn-out einhergeht, lässt sich inzwischen auch wissenschaftlich nachweisen.
Doch wie gelingt der Übergang zu einer Haltung des Mitgefühls, wenn man noch empathisch in der Wahrnehmungswelt des anderen steckt? Metten erklärt, wie sie den Spagat aus Nähe und Distanz meistert: „Als sehr hilfreich habe ich für mich die Haltung der Achtsamkeit erfahren, um mich distanzieren zu können. Denn sie erlaubt mir ein Gewahrsein für das Leid des anderen, ohne mich darin zu verfangen.“
Damit ist allerdings noch nicht zwangsläufig ein Zugewinn an Compassion verbunden. So stellte es auch die Arbeitsgruppe um Singer fest. Doch wenn man den Weg der Achtsamkeit konsequent weiterverfolgt und lernt, alle Inhalte im Strom des Bewusstseins ziehen zu lassen – wie der buddhistische Mönch deutscher Abstammung, Bhikkhu Analayo, es ausdrückt –, dringt man in tiefe Zustände der Meditation vor. Compassion erwacht allerdings nicht nur in tiefen Zuständen der Meditation. Die Haltung des Mitgefühls lässt sich auch trainieren. Compassion stärkt nicht nur die Widerstandskraft gegen ein Burn-out in helfenden Berufen, sondern kann das ärztliche Handeln für den Leidenden zu einem Glück für beide Seiten werden lassen.