MB-Monitor: Arbeitsbedingungen für angestellte Ärztinnen und Ärzte sehr belastend

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Ein Viertel der angestellten Ärztinnen und Ärzte denkt über einen Berufswechsel nach. Das geht aus den Ergebnissen der Mitgliederbefragung des Marburger Bundes (MB), dem MB-Monitor 2022, hervor. Demnach leiden die Arbeitsbedingungen oft unter steigender Arbeitsbelastung, unzureichender Personal­aus­stattung, kaum Zeit für Gespräche mit Patienten und fehlender Wertschätzung ärztlicher Arbeit.

Die hohe Anzahl an Überstunden und 24-Stunden-Diensten, der ökonomische Druck seitens der Arbeitgeber und die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie lässt laut MB-Monitor einen Teil der Ärztinnen und Ärzte darüber nachdenken, den Beruf zu wechseln. Auf die Frage „Erwägen Sie, Ihre ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben?“ antworteten 25 Prozent der Befragten mit „ja“, 57 Prozent mit „nein“ und 18 Prozent mit „weiß nicht“.

Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, nannte diese Zahlen „besorgniserregend“. Die insge­samt negativen Rahmenbedingungen würden es dringend erforderlich machen, die Krankenhäuser aus dem Verdrängungswettbewerb zu lösen — so der Appell an die Politik. Statt einer kalten Strukturbereinigung müsse es eine aktive Krankenhausplanung mit Vorgaben des Bundes geben.

Immerhin: Gegenüber der Mitgliederbefragung vom Herbst 2019 hat sich der Anteil derer, bei denen eine systematische elektronische Arbeitszeiterfassung stattfindet, um vier Prozentpunkte erhöht: von damals 44 auf nunmehr 48 Prozent. Bei 23 Prozent erfolgt die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten handschriftlich – bei 29 Prozent findet noch immer keinerlei systematische Erfassung statt.

Bei Betrachtung der Umfrageergebnisse nach einzelnen Trägern haben die kommunalen Krankenhäuser klar die Nase vorn: 60 Prozent der Befragten aus diesen Kliniken geben an, dass ihre sämtlichen Arbeitszeiten systematisch elektronisch erfasst werden.

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Diese Entwicklung sei auf die eigenen tarifpolitischen Bemühungen zurückzuführen, so der MB. Bereits im Mai 2019 habe man mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) tarifvertraglich gere­gelt, dass die Arbeitszeit so zu erfassen ist, dass die gesamte Anwesenheitszeit der Ärzte am Arbeitsplatz do­kumentiert wird.

Hohe Teilzeitquote

Gegenüber vorherigen MB-Befragungen ist der Anteil der Ärzte mit einem Teilzeitvertrag er­neut gestiegen. 31 Prozent der Befragten geben an, ihre vertraglich vereinbarte regelmäßige Wochenarbeits­zeit reduziert zu haben – im Herbst 2019 lag der Teilzeitanteil noch bei 26 Prozent und bei der Mitgliederbe­fragung im Jahr 2013 erst bei 15 Prozent. Der steigende Anteil der Mitglieder mit Teilzeitvertrag ist für den MB ein klarer Hin­weis darauf, dass die Arbeitszeiten nicht den Wünschen vieler Ärztinnen und Ärzte entspre­chen. Diese würden de facto ihre „eigene Arbeitszeitreform“ gestalten.

Die meisten Teilzeitbeschäftigten (59 Prozent) reduzieren laut Umfrage ihre regelmäßige wöchentliche Ar­beits­zeit um bis zu zehn Stunden, gemessen Tarifvertrag für die Ärzte in kommunalen Krankenhäusern (TV-Ärzte/VKA) der eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vorsieht. Die reduzierte regelmäßige Wochenarbeits­zeit entspricht aber nicht der tatsächlichen: Hinzu kommen noch Überstunden und Bereitschaftsdienste. Durch Teilzeit stellen Beschäftigte also oft nur sicher, dass sie wenigstens einen Tag in der Woche regelmäßig frei haben.

Die tatsächliche Wochenarbeitszeit inklusive aller Dienste und Überstunden liegt im Mittel deutlich über 50 Stunden: Ein Fünftel der Befragten hat sogar eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden und mehr. Die Diskrepanz zur bevorzugten Wochenarbeitszeit könnte nicht größer sein: 92 Prozent wünschen sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden. Nur acht Prozent der Befragten bevorzu­gen eine Wochenarbeitszeit von durchschnittlich mehr als 48 Stunden inklusive aller Dienste und Überstun­den.

Ärztliche Angestellte leisten im Schnitt rund 6,2 Überstunden pro Woche. Knapp ein Fünftel der Befragten (19 Prozent) gibt sogar an, wöchentlich zehn bis 19 Überstunden zu leisten. Bei einem Viertel der Befragten wer­den Überstunden überwiegend vergütet, knapp die Hälfte (49 Prozent) erhält überwiegend Freizeitausgleich und 26 Prozent gehen komplett leer aus. Die Krankenhäuser würden „zu einem nicht geringen Teil jeden Tag von unentgeltlicher Arbeit zigtausender Ärztinnen und Ärzte“ profitieren, so der MB.

Laut Johna summieren sich die ohne jeglichen Ausgleich geleisteten Überstunden auf mehr als 20 Millionen im Jahr. Dies zeige die Schwierigkeiten, ärztliche Ansprüche gegenüber der kaufmännischen Leitung durchzu­setzen. Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender des MB, merkte in diesem Zusammenhang an, dass ein Verbands­klagerecht hilfreich sein könnte. So ließe sich vermeiden, dass einzelne Ärztinnen oder Ärzte im Falle einer Rechtswegbeschreitung „durchs Feuer gehen“ müssten.

Stellenabbau vor allem in privaten Krankenhäusern

Wenn in Zeiten des Personalmangels Stellen gestrichen werden, erhöht sich die Belastung des noch vorhan­de­nen Personals. Trotzdem scheinen in den zurückliegenden zwei Jahren eine Reihe von Krankenhäusern diesen Weg gewählt zu haben. Auf die Frage „Gab es in den zurückliegenden zwei Jahren der Pandemie einen Abbau ärztlicher Stellen in Ihrer Einrichtung?“ antworteten 34 Prozent der Befragten mit „ja“ und 48 Prozent mit „nein“. 18 Prozent wussten die Frage nicht zu beantworten.

In den privaten Krankenhäusern ist der Anteil sogar noch höher, wie Detailanalysen der MB-Befragung zeigen: Hier geben 51 Prozent der dort beschäftigten Mitglieder an, dass es in den vergangenen zwei Jahren einen Ab­bau ärztlicher Stellen gegeben habe.

„Unsere Mitglieder berichten von hohen Wochenarbeitszeiten und vielen Überstunden. Wer in dieser Situation Stellen streicht oder nicht nachbesetzt, stellt den finanziellen Gewinn über das Wohlergehen und die Gesund­heit seiner Beschäftigten“, sagte Johna. Dies zeige, dass die Krankenhausfinanzierung neu aufgestellt werden müsse. Derzeit laste der Kostendruck aufgrund der Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den diagno­se­bezogenen Fallpauschalen (DRG) auf den ärztlichen Angestellten.

Wirklich gut ist die personelle Besetzung im ärztlichen Dienst nur in etwa einem Drittel der Einrichtungen, zwei Drittel der Befragten beurteilen die personelle Besetzung als „eher schlecht“ (46 Prozent) oder „schlecht“ (20 Prozent). Auch hier schneiden private Krankenhäuser schlechter als andere Träger ab: 51 Prozent der Be­fragten aus diesen Häusern beurteilen die personelle Besetzung als „eher schlecht“ und 27 Prozent als „schlecht“.

Dokumentationsaufwand zulasten der Patientenversorgung

Viel Zeit für die Patientenversorgung geht durch administrative Tätigkeiten verloren. Der Zeitaufwand für Ver­waltungstätigkeiten – wie Datenerfassung, Dokumentation oder OP-Voranmeldungen – die über rein ärztliche Tätigkeiten hinausgehen, ist laut den Umfrageergebnissen gleichbleibend hoch und liegt im Mittel bei drei Stunden pro Tag.

32 Prozent der Befragten schätzen den Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten und Organisation sogar auf mindestens vier Stunden täglich. Wie der MB betont, könnten viele dieser Tätigkeitendurch eine bessere IT-Ausstattung der Krankenhäuser erleichtert werden. Davon ist ein großer Teil der Einrichtungen aber noch weit entfernt, wie aus der Umfrage deutlich wird.

Erstmalig wurden im MB-Monitor die Ärzte gefragt, wie zufrieden sie mit der IT-Ausstattung sind. Zwei Drittel aller Befragten sind „eher unzufrieden“ oder „unzufrieden“ mit der IT-Ausstattung an ihrem Arbeitsplatz. „Sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ äußerte sich nur ein Drittel aller Befragten.

Der Grad der Digitalisierung wird mehrheitlich als „eher gering“ (39 Prozent) oder „gering“ (16 Prozent) be­trach­tet; 40 Prozent beurteilen den Digitalisierungsgrad als „eher hoch“ und sechs Prozent als „sehr hoch“. Die Hälfte der Befragten gab an, dass Mehrfacheingaben identischer Daten „gelegentlich“ vorkommen, bei rund einem Drittel (32 Prozent) ist das sogar „häufig“ der Fall, bei 18 Prozent „selten“.

Zudem werden die Ärzte mit den Produkten und Prozessen rund um die IT offensichtlich weitgehend allein gelassen: Nur 18 Prozent der Befragten geben an, dass regelmäßige Schulungen für IT-gestützte Arbeits­ab­läufe stattfinden, drei Viertel (74 Prozent) verneinen dies. Weitgehend zufrieden sind die Ärzte mit den Maß­nahmen zum Schutz vor Cyberangriffen. Zwei Drittel beurteilen die Datensicherheit in ihrer Einrichtung als überwiegend gut.

An der vom Institut für Qualitäts­messung und Evaluation (IQME) durchgeführten Online-Befragung beteilig­ten sich in der Zeit vom 20. Mai 2022 bis 19. Juni 2022 bundesweit 8.464 angestellte Ärztinnen und Ärzte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens. Knapp 90 Prozent der Befragten arbeiten in Akutkrankenhäusern und Rehakliniken, sechs Prozent in ambulanten Einrichtungen.

Autor:
aha/aerzteblatt.de
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