Idyllisch im Grünen – dort liegt die LVR-Klinik Viersen. Und das hat einen therapeutischen Vorteil, wie Dr. Andrea Schmitz gleich zu Beginn ihres Vortrags verrät. Denn so müsse nicht alles in den Räumen der Klinik stattfinden. Schmitz ist Oberärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und arbeitet dort tiergestützt mit dem Therapiebegleithund Jason.
Auch an Weihnachten
Sowohl das Spektrum der Behandlungen als auch das Alter der Patientinnen und Patienten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist groß. An der Klinik in Viersen werden Kinder stationär im Alter von anderthalb bis 18 Jahre behandelt, im teilstationären Bereich sind sie zwischen sechs und 18 Jahre alt.
Die geplanten Aufnahmen für eine Therapie, die im Durchschnitt fünf bis zehn Wochen dauert, erfolgen erst nach einer ambulanten Vorstellung. Die Eltern kommen also zunächst mit ihrem Kind zu einem Gespräch. Dort wird die Indikation für die stationäre Aufnahme geprüft und auch entschieden, ob die Klinik ein Aufnahmeangebot macht.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gebe es neben Regelbehandlungen auch Krisenbehandlungen, zum Beispiel Suizidalität und akute Psychosen. „Das kann auch mitten in der Nacht einen stationären Aufenthalt notwendig machen“, erklärte Schmitz. Es können folglich auch Patientinnen und Patienten am Wochenende oder Weihnachten nach einer kurzen telefonischen Ankündigung in die Klinik kommen.
Verschiedene Krankheitsschwerpunkte
Die Klinik in Viersen biete außerdem Spezialisierungen und Behandlungsschwerpunkte. In der Institutsambulanz beschäftigen sich die Mitarbeitenden besonders mit Autismusspektrumsstörungen. Im vollstationären Bereich gebe es ebenfalls Spezialisierungen, beispielsweise eine Station für essgestörte Jugendliche, für qualifizierten Entzug oder für sexuell auffällige Jungen.
Doch welche Krankheitsschwerpunkte werden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiegend behandelt? Hier zählte Schmitz einige Beispiele auf:
- Störung des Sozialverhaltens
- Fremdaggressivität (oft auch mit Schulsuspendierung)
- noch nicht diagnostiziertes ADHS
- Psychosen (selten bei Patienten unter zehn Jahren)
- Essstörungen (Kinder werden deutlich jünger, Schwerpunkt aber ab 13 Jahren)
- Abhängigkeitserkrankungen (mehr im Jugendlichenalter)
Besonderheit: die tiergstützte Therapie
Das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie zeichne sich laut Schmitz durch die Mehrdimensionalität in der Diagnostik und Therapie aus. Es sei ein Zusammenspiel aus dem Behandlungsteam, vielschichtiger Diagnostik und verschiedenen Therapiemöglichkeiten.
Beim Behandlungsteam stehen sowohl der Pflege- und Erziehungsdienst (PED) als auch Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen im Mittelpunkt. „Diese drei arbeiten interprofessionell sehr eng zusammen“, beschrieb Schmitz. Sie werden unterstützt durch Fachtherapeuten (z.B. Bewegungstherapie, Kreativtherapie, Tanz und Musik), Tierbegleiterteams und Sozialarbeiter. „Einen ganz wichtigen Faktor bilden außerdem die Jugendhilfe und die Schule“, ergänzte die Medizinerin. Denn viele Probleme, die ihre Patientinnen und Patienten haben, finden sich auch in der Schulsituation wieder.
Einen besonderen Teil der Therapiemethoden mache die tiergestützte Therapie aus. Manche Kinder und Jugendlichen hätten Probleme, ein gutes Vertrauensverhältnis zum Arzt oder zur Ärztin und Therapeutinnen oder Therapeuten aufzubauen. Das könne daran liegen, dass sie traumatische Erfahrungen gemacht oder Enttäuschungen von Erwachsenen erlebt hätten. „Leider sind wir Therapeutinnen und Therapeuten auch erwachsen. Da kann der Hund eine gute Brücke bauen und den Beziehungsaufbau fördern“, verriet Schmitz. Oft würden gerade Kinder und Jugendliche mit Störung des Sozialverhaltens nicht verstehen, was ihre Eltern eigentlich für ein Problem haben, wenn sie jetzt nicht ihr Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen. „Sie können aber sehr wohl erkennen, dass der Hund Regeln braucht.“ Auch ein Therapiebegleithund mache mal Fehler. Und das sei sogar wunderbar, denn so könne man den Kindern zeigen, dass Fehler nicht schlimm, sondern normal seien. „Und wenn der Hund mal nicht so reagiert, wie das Kind es gerade möchte, dann können sie den Frust der Eltern nachempfinden“, veranschaulichte die Medizinerin.
Teamarbeit ist essenziell
In der Diagnostik der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei die Anamnese sehr wichtig, genauso die Verhaltensbeobachtung. Wenn Kinder und Jugendliche vollstationär aufgenommen werden, sei es der große Vorteil, sie 24 Stunden und länger als zwei Wochen zu sehen. Spätestens nach dieser Zeit könnten sie sich nicht mehr verstellen und würden sehen, dass sie in der Klinik dieselben Probleme wie auch zu Hause oder in der Schule haben. Durch diese Erkenntnis könne man schließlich zusammen an den Problemen arbeiten. Darüber hinaus sei auch die körperliche Diagnostik wichtig. Dazu gehörten beispielsweise Blutabnahmen, MRT, EEG und weitere Untersuchungen. Außerdem gebe es Diagnostik in Form von Fragen, Interviews und IQ-Tests.
Ebenso spiele die Therapie selbst eine essenzielle Rolle. „Wichtig ist es, unsere Kinder und Jugendlichen zu stärken“, betonte Schmitz. Denn jedes Kind habe etwas, das es könne, und das müsse man fördern. So könnten sie gestärkt und nicht demoralisiert aus der Behandlung gehen. Ein weiterer Punkt der Behandlung seien Gesprächstherapien, die sowohl einzeln als auch als Familiengespräch oder Gruppentherapie stattfinden können.
Bei der Aufnahme suche man gemeinsam nach Zielen, die man durch die Therapie erreichen wolle (z.B. Konzentration verbessern, lernen Freunde zu finden). Oft werde auch das Umfeld mit einbezogen, denn es könne problematisches Verhalten auslösen oder unterstützen. Wenn auch die Eltern sich und ihre Erziehungsmethoden hinterfragen und daran arbeiten müssen, könne das manchmal den Kindern helfen. Denn so könnten sie sehen, dass sie vielleicht nicht allein das Problem sind und auch ihre Eltern Aufgaben bekommen. „Nur im Team können Kinder und Jugendliche so gut behandelt werden. Alle müssen zusammenarbeiten“, schloss Schmitz ihren Vortrag.
Quelle: Vortrag „Mehrdimensionale Diagnostik und Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“, Dr. Andrea Schmitz, Oberärztin, LVR-Viersen, Operation Karriere in Köln, 28. Oktober 2023