Anlaufschwierigkeiten im PJ

Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov | privat / DÄV
Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov ist endlich ins PJ gestartet. Aber wie erlebt sie den Alltag zwischen Familie und Vollzeitjob in der Klinik? Und was macht das mit ihr? Das schildert sie im Beitrag.

Es ist schon dunkel und kalt, als ich in die Einfahrt einbiege. Noch während ich das Auto vor unserem Haus hin und her manövriere, um auch gerade da zu stehen, gehen die Vorhänge unseres bodentiefen Wohnzimmerfensters auf. Warmes, gelbes Licht strahlt heraus und meine Kinder kleben an der Scheibe. Ihre Münder formen das Wort “Miau” und mit ihren Ärmchen ahmen sie die Pfoten unserer Katzen nach, wie sie kläglich an der Scheibe kratzen, wenn sie rein oder raus wollen.

Tränen schießen mir in die Augen, als ich den Zündschlüssel ziehe. “Reiß dich zusammen”, sage ich mir und packe mein Zeug zusammen. Mit Kopfhörer, Handy, Rucksack in der Hand steige ich aus. Die Tür öffnet sich und ich schließe meine Kätzchen in die Arme. “Ihr Doofköpfe”, flüstere ich unter Tränen, “ihr meine liebsten kleinen Doofköpfe.”

Es ist der zweite Feierabend meines PJ. Gestern war ich stark, bis die Kinder ins Bett gingen. Dann erst sank mein Kopf auf meine Arme und die Tränen rannen meine Wimpern entlang direkt auf den Esstisch. Es tut weh, erst bei Anbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen.

Auf Station

Ich stehe in Schutzkleidung eingepackt allein im Isolationszimmer. Die Patientin wartet noch auf das Ergebnis des PCR-Test auf Corona, und solange muss sie isoliert werden.

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Frau E. guckt mich aus großen, rot umrandeten Augen an. Ihr Mund ist eingefallen, das Gebiss braucht sie hier nicht. Ich begrüße sie und stelle mich vor, sie guckt nur. Ich sage ihr, dass ich ihr eine Nadel legen werde. Sie versteht nur Bahnhof, falls sie nicht schon im Zug sitzt und wo ganz anders hinfährt.

Verdammt, ich habe den Stauschlauch mitgenommen. Lange hat die Stationsärztin mir erklärt, dass ins Isolierzimmer nichts mitgenommen werden darf, gestaut wird mit einmal-Plastikbändern. Alles ist so neu, ich bin ein wenig überfordert mit den vielen Informationen. Jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern, dann bleibt der Stauschlauch eben hier drinnen.

Frau E. stöhnt. Ich frage, ob sie Schmerzen hat, sie sagt ja. Darauf kann sie also antworten? Demenz ist mir ein Rätsel.

Ich staue. Desinfiziere einmal, tätschele die Venen zum Vorschein, desinfiziere noch einmal. Venen, vor meinem inneren Auge nur Venen. Sogar wenn mein Sohn mit seinem Finger die Zeilen in einem Buch entlangfährt, während er Leseübungen macht, inspiziere ich reflexartig seine Venen auf Stechtauglichkeit. Schnell schiebe ich den Gedanken an zuhause beiseite.

Mein Atem geht schwer unter der doppelten Maske. FFP2 und drüber noch eine normale. Ich kann es nicht. Ich konnte es nie so wirklich gut und zudem liegt meine letzte Famulatur über zwei Jahre zurück… Ich steche, schiebe vor, nicht getroffen. Ich gucke Frau E. ins Gesicht, doch die sitzt im Zug. Ich schiebe die Nadel noch ein wenig hin und her. Da, der Viggo füllt sich. So, jetzt die Nadel zurück und den Schlauch vor, langsam… Mist. Komplett rausgerutscht. Blut fließt, aber nicht in den Schlauch, sondern auf das Bett. Ich drücke den Einstich zu, aber es fließt weiter. Ah, der Stauschlauch! Schnell löse ich ihn mit meinem  blutverschmierten Handschuh. So eine Sauerei. Ich räume auf und beschließe es später noch einmal zu versuchen.

Später stellt sich heraus, dass Frau E. ihr Schmerzmittel auch oral einnehmen kann. Alles umsonst, und das bei einer Patientin in Isolation.

Die Abläufe hier sind mir noch so fremd. Das einzige, was ich selbständig machen kann, sind die Blutabnahmen und die Viggos. Aber sollte man im PJ nicht mehr machen? Auch mal Patienten aufnehmen, untersuchen? Im OP assistieren, auch mal eine Hautnaht machen? Ich weiß nicht, wen ich fragen soll. Alle sind so beschäftigt.

Mein Herzensjob

Es tut weh, nach Hause zu kommen, weil zwei Welten mit einer Wucht aufeinander prallen, wie ich sie nicht erwartet hätte. Seit sechs Jahren ist es mein Job, mich um die Kinder zu kümmern: sie abzuholen, ihnen Mittagessen zu machen, mit ihnen herumzublödeln, Zeit mit ihnen zu verbringen – mal schöne, mal stressige. Das Studium war immer nur Gehirnjogging nebenbei, und auch nur solange die Kinder im Kindergarten waren.

Das PJ aber dreht mein Leben um, nun komme ich erst abends und müde heim, habe bestenfalls zwei Stunden für die Kinder, bevor sie schlafen gehen. Das ganze Abholen, auf den Spielplatz gehen, all das ist jetzt nicht mehr meins. Mein Alltag besteht nun aus Nadeln und Venen. Ein bisschen Hakenhalten und Fäden schneiden ist auch dabei.

Jetzt erst wird mir klar, dass Mama sein mein Herzensjob ist. Jetzt erst, wo ich nicht mehr da bin, vermisse ich das, was mich früher das ein oder andere Mal den letzten Nerven gekostet hat. Wieso merken wir Menschen immer erst, was wir Schönes hatten, wenn wir es missen? Oder ist das Gras auf der anderen Seite einfach immer grüner?
Schmerzhaft muss ich mich von meinem Herzensjob trennen. Eine Freundin sagte mir: “Das ist erst dein zweiter Tag, das wird noch zwei Wochen weh tun – bis du dich dran gewöhnt hast.”

Vielleicht…

Aber ich will mich eigentlich gar nicht daran gewöhnen. Ich will eigentlich weiter Mama sein. Vielleicht wäre es ja anders, wenn das PJ anständig vergütet wäre? Ganz sicher. Dann wäre die Frage mit der Betreuung der Kinder auch einfacher.

Vielleicht wird es noch anders, wenn ich mich etwas besser auskenne und auch mal Aufgaben übernehmen kann, die mich mehr herausfordern oder erfüllen, als bisher?

Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich das PJ in Teilzeit machen würde? Aber der Gedanke daran, länger als ein Jahr für lau zu arbeiten, gefällt mir nicht.

So viele Fragen…

Umstellungen sind immer schwierig und der Mensch gewöhnt sich an eigentlich alles. Aber, denke ich, ich muss mich davor bewahren, mich schleichend an einen Lebensstil zu gewöhnen, den ich eigentlich nie leben wollte.

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