Und schon ist es so weit, das letzte Tertial hat begonnen. Manchmal habe ich das Gefühl, je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Oder je mehr man zu tun hat.
Das Tertial Innere hat mir gut gefallen. Ich habe es an einem kleinen Haus gemacht, und konnte mir meine Rotation selbst einteilen: Die erste Hälfte habe ich auf Station mitgearbeitet und die andere in der Notaufnahme.
Proaktiv sein?
Auf Station hat man mir gleich am Anfang angeboten, ein paar Patienten zu übernehmen – von diesem Angebot war ich erst einmal geschockt und froh, dass es dann irgendwie unter den Tisch gefallen ist. Als mich dann aber eine Ärztin unter ihre Fittiche genommen hat, die sehr aktiv und fordernd mit ihren PJlern umging, kam ich nicht mehr drum herum.
Hier habe ich übrigens gemerkt, was es für einen Unterschied macht, mit wem man zusammenarbeitet. Oft ist es ja so, dass man als Student so ein bisschen vergessen und sich selbst überlassen wird. Jeder Arzt macht seine Arbeit und keiner kümmert sich um den kleinen Studenten. Da gibt es dann die Studenten, die einen genauen Plan davon haben, was sie lernen wollen, sich erkundigen und ihre Lehre proaktiv einfordern.
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Und dann gibt es mich. Ich bin froh, wenn ich pünktlich ankomme, weil ich diesmal nicht meinem Sohn den Schulranzen in die Schule nachbringen musste, den er so manches Mal vergisst. In der Morgenbesprechung höre ich nicht zu, weil mir eingefallen ist, dass die Katze dringend zum Tierarzt muss und schnell meinen Mann über WhatsApp damit beauftrage – meinen armen Mann, der einen Haufen Arbeit im Homeoffice hat und sich ab 12:00 schon wieder um unseren Sohn kümmern muss. Meine Gedanken schweifen weiter ab, ob meine Tochter auch eine Regenjacke angezogen hat und schon stehe ich auf Station mit einer Palette leerer Blutröhrchen in der Hand, die es zu befüllen gilt.
Wenn das getan ist, geht die Visite los. Die Station wird von zwei Ärzten geführt und ich durfte mir immer aussuchen, bei wem ich mitgehe. Eine verzwickte Situation. Ist der andere beleidigt, wenn ich nicht bei ihm mitgehe? Ist der eine genervt, weil er nicht in aller Ruhe arbeiten kann, sondern mir alles erklären muss?
Und schon stehen wir im zweiten Patientenzimmer und ich bin mit meinen Gedanken wieder ganz woanders.
Wegen dieser meiner Zerstreutheit habe ich sehr von den Arzttypen profitiert, die mich nicht nur einfach mitgehen ließen, sondern meine unproaktive Art (gibt es das Wort? Was ist das Gegenteil von proaktiv – kontraaktiv? Oder etwa kontraproduktiv?) mit Proaktivität ihrerseits ausgeglichen haben.
Viel zu lernen beim Praktizieren
Da gab es die Ärztin, die mir dann das Patientenzimmer aufgebrummt hat. Zum Glück! Jetzt musste ich nämlich selber denken – nur zuhören und abschweifen war nicht mehr. Örtlich bedingt waren unsere Patienten zum Großteil ältere Personen, allesamt mit kardialer Dekompensation, und mir wurden im Laufe des Tertials zwei Sachen klar: Erstens, heilen ist nicht – zumindest nicht so oft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wenn ein Patient (vor allem die geriatrischen) in einigermaßen besserem Zustand, als er kam, entlassen werden kann, ist schon viel rausgeholt. Oft geht es zudem bei alten Menschen nach dem ersten Krankenhausaufenthalt steil bergab – auch wenn es nur eine Lappalie war. Nicht selten habe ich rüstige, selbständige alte Damen gesehen, die mit beispielsweise einem Erysipel eingeliefert wurden und das Krankenhaus als Pflegefall wieder verließen.
Und um das zu verhindern, spielte bei uns das Fachgebiet der Geriatrie eine große Rolle. Ein multidisziplinäres Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Ernährungsberatung, Ergotherapeuten, und natürlich Pflegern, die sehr engagiert zusammen gearbeitet und so manch alten Herrn wieder auf die Beine gebracht haben.
Und hier kommen wir schon zum zweiten Punkt, den ich gelernt habe: Bei der Stationsarbeit geht es neben der Gesundheit der Patienten viel um Organisatorisches; ob beispielsweise der Patient betreut ist, Betreuung braucht oder etwa einen Pflegedienst. Ein Telefonat mit den Angehörigen ist fast immer drin. Und es kostet nicht wenig Überwindung, bei fremden Leuten anzurufen und über den Gesundheitszustand ihrer Mutter zu reden. Da kommen Fragen auf! Was sagt man, wenn man keine Ahnung hat? In solchen Gesprächen habe ich immer wieder gemerkt, wie schwer es ist, die Gratwanderung zwischen Sicherheit ausstrahlen und ehrlich sein zu meistern. Sagt man zu oft: ”Da muss ich meinen Oberarzt fragen”, kommen Zweifel auf, ob die Mutter in sicheren Händen ist. Auf der anderen Seite: Unwahrheiten verbreiten ist auch kein Weg. Diplomatie ist also auch für Ärzte wichtig.
In der Notaufnahme
In der Notaufnahme war es abwechslungsreicher. Auf Station kommt das Patientengut sozusagen gefiltert an, und nun stand ich vor dem Filter.
Es war immer wieder derselbe Ablauf, und nach kurzer Zeit konnte ich fast selbständig arbeiten. Patient kam an, die Pflege schloss ihn an den Überwachungsmonitor, maß den Blutdruck und schrieb ein EKG. Dann nahm ich standardmäßig Blut ab, machte Anamnese und körperliche Untersuchung. Was ich herausgefunden hatte, erzählte ich dem Dienstarzt. Dann ließ er mich überlegen, was ich weiter tun würde, und wir befundeten zusammen das EKG. Zu guter Letzt natürlich musste ich alles dokumentieren. Und das immer und immer wieder. Wie krass Theorie und Praxis sich unterscheiden! Ich glaube, ich habe so gut wie nichts von dem gebraucht, was im schriftlichen Examen gefragt wurde, sondern eher organisatorische und multitasking-Skills.
Wie bin ich da durchgerutscht, mit zwei Kindern und Vollzeit
Relativ schnell am Anfang wurde mir klar, dass ich diesen Rhythmus nicht packe. Um 8:00 die erste Besprechung, um 16:00 die zweite und dann noch Intensivvisite. Ich kam teilweise erst um 17:00 raus. Also stopfte ich mir zwei Tage voll, blieb bis 20:00 Uhr und ging die drei anderen dann um 14:00. So hatte ich aber drei Nachmittage für die Kinder und den Haushalt. Es war übrigens überhaupt kein Problem, dieses Anliegen “erlaubt” zu bekommen – man muss nur fragen.
Und ich habe es geschafft, mir alle Fehltage für den Schluss aufzuheben! Zwar habe ich ab und an gefehlt, habe aber dafür einen Tagesdienst am Wochenende gemacht. 12 Stunden auf’s Konto. Und natürlich die Feiertage in Mai und Juni, ein Traum.
Dieses System kann ich übrigens auch kinderlosen PJlern empfehlen, denn in den Diensten habe ich viel gelernt. Das liegt erstens daran, dass ich quasi eins zu eins betreut wurde und zweitens, dass der Dienstarzt die ganze Abteilung schmeißt. Zwei Stationen, Intensivpatienten, Notaufnahme. So bekam ich an den Wochenenden wirklich von allem was mit und auch mal einen Kaffee spendiert, weil der Kollege im Dienst immer unsagbar froh war, eine kleine helfende Hand zu haben.
Urlaub zwischen den Tertialen
Ich hatte noch alle meine Fehltage, 30 am Stück. Da man sich aber maximal 20 in einem Tertial nehmen darf, musste ich zwei Wochen Urlaub nehmen, bevor es auf der Radiologie losgehen sollte.
Wir hatten sogar einen Traumurlaub nach Portugal gebucht. Und wir waren der Meinung, dass wir als Familie es wirklich verdient hätten, nach zwei Dritteln des PJ ein bisschen auszuspannen. Doch es kommt immer anders und zweitens als man denkt.
Wir hatten sehr billige, wirklich spottbillige Tickets nach Portugal über eine Billigfluggesellschaft gebucht. Nicht umsonst erwähne ich das Wort billig hier so oft. Wer in letzter Zeit mal geflogen ist, weiß, wie kompliziert die Vorbereitung in Pandemiezeiten ist…
Nachdem ich alle Dokumente besorgt und ausgefüllt, ausgedruckt und mehrmals überprüft hatte – da wäre der PCR-Test für alle, ein Einreisebericht mit allen möglichen Infos über unseren Aufenthalt (gerade dass sie nicht fragen, was wir zu essen gedenken); nach der zweistündigen Anfahrt zum Flughafen, dem Check-In, an dessen Schlage unsere Kinder mehrmals die Absperrbänder heruntergerissen, sich darin verheddert oder fast erhängt hatten, und wir weitere zwei Stunden in der Abflughalle gewartet hatten, kam der SuperGAU. Man ließ uns nicht in den Flieger, weil wir den falschen PCR Test hatten. Nicht das falsche Ergebnis, sondern den falschen Test. Ich hatte zuvor noch nie davon gehört, dass es da Unterschiede gibt. Ein RT-PCR wurde verlangt und wir hatten einen qPCR.
Die Schlange hinter uns wurde immer länger, die Kinder zupften an uns herum “Mama, warum gehst du nicht weiter?” und bevor wir uns versahen, wurden wir – viel zu perplex um zu handeln, zur Seite geschoben, um die anderen Fluggäste durch das Gate strömen zu lassen. Noch ein paar andere mussten wie wir auf der falschen Seite der Glaswand bleiben und dem Flugzeug von außen beim Abheben zusehen.
So fuhren wir deprimiert mit gepackten Koffern und heulenden Kindern wieder nach Hause. Wo sich nach einiger Recherche herausstellte, dass RT für “realtime” und q für “quantitativ realtime steht” – kurz: ein und das selbe, nur anders notiert. Der Unmut stieg. Und die Sehnsucht nach Meer sowieso. Also buchten wir um, machten diesmal den Test an einer Teststation, die RT-PCR genau so auf ihr Laborergebnis schrieb, wie es die Fluggesellschaft verlangte und machten die komplette Prozedur noch einmal durch.
Ein Unglück kommt selten allein
Wir kamen tatsächlich in der Algarve an – aber: Ein Unglück kommt selten allein. Wir mussten vorzeitig abbrechen, als Lissabon zum Virusvariantengebiet erklärt wurde. Eigentlich wollten wir genau zu dem Zeitpunkt noch eine Woche in Lissabon verbringen. Der Plan war gewesen: Erst Sonne und Meerluft tanken und dann entspannt noch ein bisschen Kultur schöpfen. Pustekuchen.
Also buchten wir noch einmal um und flogen am nächsten Tag enttäuscht und mit ausgewrungenem Bankkonto nach Hause.
“Ausgeruht” konnte ich dann ins nächste Tertial starten…