“Wenn Corona vorbei ist, Mama, dann tauche ich ganz tief. So, schau!” Meine Tochter sitzt in der Badewanne, die keinesfalls ein Ersatz für das geliebte Schwimmbad ist und zeigt mir, wie sie taucht – mit Schwimmbrille und Schnorchel. Schwapp. Pinkes Prinzessin-Badezusatz-Badewasser überflutet meine Füße und das gesamte Bad. Ich kann nichts dagegen sagen. Ich will auch nicht, genug Einschränkungen für die letzten Monate.
Wenn Corona vorbei ist…
Wenn Corona vorbei ist, gehen wir schwimmen. Nicht ins Freibad, das jetzt zwar offen hat, aber dessen Rutsche gesperrt ist und in dem man im Becken mit drei Meter Abstand im Kreis schwimmen muss, sondern in das coolste Freizeitbad der Umgebung. Wenn Corona vorbei ist, machen wir eine Grillparty in der Nachbarschaft. Wir sind zwei Doppelhäuser, deren Gärten fließend und ohne Zäune ineinander übergehen, die sich einen großen Garagenvorplatz teilen, die Mülltonnen, den Rasenmäher. Wenn Corona vorbei ist, können die Kinder endlich wieder zum Turnen gehen, anstatt am Treppengeländer zu turnen oder die Türrahmen hochzuklettern. Wenn Corona vorbei ist, können die Kinder endlich wieder zum Malkurs, anstatt das komplette Haus mit ihren “Kunstwerken” zu schmücken.
Aber… Wann ist Corona überhaupt vorbei?
Normalität kehrt ein
Zum Glück wurde der Lockdown Stück für Stück gelockert und es kehrt langsam Normalität ein. Aber was ist normal? Wie vorher ist es noch lange nicht. Vor ein paar Wochen wurden die Kindergärten wieder geöffnet, wir waren sogar einige der ersten, die kommen durften: Vorschulkinder und logischerweise auch deren Geschwister, da so keine neuen Infektionsketten entstehen. Trotzdem müssen die Kinder beim Spielen Abstand halten, und beim Essen stehen die Stühle 1,5 Meter voneinander entfernt. “Aber Mama, ich kuschele doch mit Alisa! Wir schlafen sogar nebeneinander, wieso sollen wir dann beim Essen Abstand halten?”, empört sich mein Sohn zu Recht. Und ich kann ihm keine Antwort geben.
Auch werden die zwei Gruppen des Kindergartens streng geteilt, die Mäusekinder dürfen den Raupenkindern nicht über den Weg laufen. Was tun mir die Erzieher leid, die die Kinder dazu bringen müssen, sich an diese Regeln zu halten. Am Putzen und Desinfizieren seien sie auch ständig, erzählen sie mir im Tür- und Angelgespräch, das nun “Normalität” ist, denn wir Eltern dürfen die Räume des Kindergartens nicht betreten. Und dann spielen die Kinder, nachdem sie abgeholt wurden, wild durchgemischt und abstandslos auf dem Spielplatz nebenan. Alles für die Katz. Normal ist das noch nicht.
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Und ich? Ist mit dem Kindergartenbeginn wieder Normalität in mein Leben gekehrt? Jein. Ganz wie vorher wird es nie sein, denn, so schwer der Lockdown für alle war/ist, eines habe ich dank Corona gelernt: Nicht zu müssen.
Meine persönliche Geschichte ist vom Drang zu leisten dominiert: In der Schule habe ich Gutes geleistet, im Studium ging es weiter, und selbst, als ich Mutter wurde, musste ich ohne Pause weiter studieren, weiter leisten. Viele bewundern das und loben mich, wie ich das alles schaffe.
Aber das soll keine Angeberei sein – ganz im Gegenteil, ich will die Sache von einer anderen Seite beleuchten: Ich bin es von Kindheit auf gewohnt, zu leisten und zwar, gesellschaftlich Anerkanntes zu leisten. Für die Kindererziehung habe ich bis jetzt nicht viel Anerkennung gespürt. Keine Kohle, kein Diplom, kein Abschluss; jeder hat Kinder, und jeder erzieht sie irgendwie. Ob gut oder schlecht, stellt sich leider erst ziemlich spät heraus, und zwar dann, wenn die Kinder gute Noten schreiben und gute Abschlüsse machen, erfolgreich sind (darauf kommt es doch an, oder?). Ein bisschen geheucheltes Lob hier und da seitens der Gesellschaft an Hausmütter reichte mir bisher nicht als Anerkennung. Also musste ich unbedingt damit weitermachen, was mir bisher Zufriedenheit geschafft hat: leisten, indem ich weiter studiere. Erst Corona und der Lockdown ließen mich das alles hinterfragen.
Wie wär’s mal ohne Zwang?
Dann nämlich wurde plötzlich das Staatsexamen abgesagt, ohne dass klar war, ob im Herbst eines stattfindet. Wie in meinem vorherigen Beitrag beschrieben, entschied ich mich dagegen, ins vorzeitige PJ zu gehen. Meiner einzigen Möglichkeit beraubt, zu leisten, fühlte ich mich ganz plötzlich meiner Existenzberechtigung entzogen und musste tief tauchen (nicht in der Badewanne). Mama sein pur und das in der extensiven Form, da: kein Kindergarten. Also nicht nur Mama, auch Turnlehrerin, Basteltante, Wald- und Wiesenexpediteurin, Köchin, mal dreijährige, mal sechsjährige Spielkameradin und nicht selten einiges davon gleichzeitig. Von morgens früh bis spät abends und teilweise auch nachts.
Null Erfüllung, nichts, was ich für mich tun konnte. Selbst wenn mein Mann die Kinder für ein paar Stunden in der Woche übernahm, um mir ein bisschen Raum für mich zu geben, konnte ich nichts Zufriedenstellendes tun, denn Uni war ja erst einmal abgesagt.
Obwohl ich alle meine Kraft der Familie spendete und am Abend todmüde ins Bett fiel, fühlte ich mich, als hätte ich den ganzen Tag nichts geschafft. Und diese Unzufriedenheit stellte alles in ein schlechtes Licht; meine Laune war wochenlang im Keller. Dabei kann die Zeit mit Kindern eigentlich Spaß machen. Was wir nicht alles bei unseren Ausflügen gesehen und erlebt haben! Wie ein Feuersalamander sich häutet, live. Dass ein Teebeutel hochfliegt, wenn man ihn anzündet. Wie schnell Bastelpapier aufgebraucht ist. Was für rührende Zeichentrickfilme es gibt. Wir haben viel erlebt und doch war ich unzufrieden. Und diese lächelnden Mütter, die uns begegneten, oder die Instagram-Kanäle, in denen Mütter davon berichteten, wie sie die Zeit mit ihren Kindern genießen, machten mich aggressiv.
“Nutzlose” Zeit
Wie es mich wurmte, dass meine Zufriedenheit und, wie ich dann herausfand, auch mein Selbstwertgefühl von einer Institution abhing, auf deren Funktionieren ich keinerlei Einfluss habe, ist gar nicht zu beschreiben. Und da kapierte ich, dass ich es einfach mal anders probieren musste. Ich fing an, die Zeit “nutzlos” zu verbringen und das zu genießen. Zunächst einmal ging das nur in der Zeit, in der mein Mann die Kinder übernahm, denn ich hatte einen Kinder-Overload. Ich las, kramte meine verstaubten Inliner aus dem Keller, oder ging einfach spazieren.
Und mit der Zeit lernte ich, dass nicht alles was man tut, einen Nutzen haben muss. Besser gesagt: Alles, was du tust, hat einen Nutzen, wenn es dir Spaß macht, dich erfüllt und du diese Zufriedenheit in die Welt trägst, im besten Falle sogar andere damit ansteckst. Dann auch konnte ich die Zeit mit meinen Kindern mehr schätzen – trotz des Stresses, den der Erziehungsauftrag uns Eltern dann und wann bereitet. Ich war zufrieden, ohne leisten zu müssen.
Die Uni macht mir weiterhin Spaß, denn sie ist der Teil meines Lebens, der nicht unmittelbar im Dienste der Familie steht. Außerdem interessiere ich mich schlichtweg für Medizin. Die Uni ist somit ein wichtiger Faktor meiner Work-Life-Balance, doch fühle ich mich nun nicht mehr gezwungen dazu, sondern es ist meine freie Wahl.
Zurück zum Status quo? Nein danke
Bis… die Pforten des Kindergartens wieder öffneten und mit ihm die des “Müssens”. Man glaubt es kaum, aber als die Kinder ein paar Tage im Kindergarten waren, merkte ich, wie meine Nackenspannungen wiederkamen, die vorher unbemerkt verschwunden waren. Jetzt, wo die Kinder den halben Tag im Kindergarten verstaut waren, blieb mir keine Ausrede mehr, meiner Nutzlosigkeit zu frönen. Außerdem nahte das Staatsexamen im Herbst (nach aktueller Infektionslage findet es wohl statt). Es sind also nicht die Kinder, die mich stressen, sondern das Leisten-Müssen!
Aber die Corona-Zeit soll ja nicht umsonst gewesen sein, also bemühe ich mich nun, das Gefühl des Nicht-Leisten-Müssens trotz Kindergarten aufrecht zu erhalten.
Das ist für mich das neue Normal.