Gewissheit und Gewissen – in dieser Zeit prekäre Güter

Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov | privat / DÄV
Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov hat ihr PJ begonnen – doch die Corona-Situation macht ihr mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Denn nun muss ihr Sohn in Quarantäne. Wie sie mit der Situation umgeht, schildert Natalja im Beitrag.

Woche 1: Vollzeit gearbeitet
Woche 2: drei Tage krank
Woche 3: eine Nachtschicht gemacht, also de facto 4 Tage gearbeitet
Woche 4: in Quarantäne

So lässt sich’s leben! Denkt ein Teil meines Gehirns, der kleinste, leiseste, ungeübteste; der Teil, der vollkommen übermannt wird von dem großen Teil, der ruft: Wie kommt denn das bei den anderen an? Wie willst du denn so je was lernen? Dieser laute Teil ist der unentspannte, der, der nie gelernt hat, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und sie auch zu genießen –so weit möglich. Er vergisst, dass ich mir nicht ausgesucht habe, krank zu sein, nicht ausgesucht habe, in Quarantäne zu kommen. Aber laut ist er trotzdem und übertönt alles andere in meinem Kopf.

Mein Sohn in Quarantäne…

Viel früher, als erwartet, denn natürlich erwartet, aber nicht so früh, trifft es uns: Die Klasse meines Sohnes muss in Quarantäne, weil ein/e Mitschüler/in an Corona erkrankt ist. Für uns heißt das, dass mein Sohn in Quarantäne muss, unsere Tochter nicht in den Kindergarten darf – laut Gesundheitsamt dürfte sie, doch hat der Kindergarten aus Angst vor einer (erneuten) Schließung seine eigenen Regeln. Und für mich? Der Anruf kam an einem Sonntag, ich rief im Krankenhaus an, doch der Dienstarzt wusste nicht, wie das geregelt ist. Ich sollte am Montag sicherheitshalber zu Hause bleiben, nach Rücksprache mit dem Chef wollte der Dienstarzt mich noch einmal anrufen.

Ich war hin und hergerissen, zwischen der Hoffnung, dass ich zu Hause bleiben “musste”, denn ehrlich gesagt musste ich das sowieso, um meine Kinder zu betreuen und der Hoffnung, dass ich in die Arbeit kommen “durfte”, um meine beiden PJ-Kollegen nicht mit all den Blutabnahmen und anderen unserer Aufgaben auf Station allein lassen zu müssen.

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Der Rückruf kam am Vormittag und war verwirrend: Ich solle zuhause bleiben und eigentlich 5 Tage nach dem letzten Kontakt mit der “Indexperson” einen Test machen. Die “Indexperson” war jedoch mein Sohn, mit dem ich verständlicherweise laufend Kontakt habe. Lösung: Einfach trotzdem nach 5 Tagen einen Test machen. Mir kam das etwas spanisch vor, zumal mein Sohn Kontaktperson 1 war, ich somit K2 und laut Gesundheitsamt arbeiten gehen durfte. Doch wahrscheinlich gelten im Krankenhaus spezielle Regeln – oder es hat sich in der Flüsterpost ein Fehler eingeschlichen und der Chef geht davon aus, dass ich K1 bin. Wie gesagt, es war mir sowohl schlecht als auch recht, zuhause zu bleiben, also gehorchte ich einfach.

Das wäre also geklärt – die nächste Frage war, wie lange mein Sohn in Quarantäne bleiben musste und wann der Unterricht wieder losging.

Dann, nach gefühlt ewigem Warten in Unwissenheit, kam die Mail vom Gesundheitsamt, die sehr kryptisch formuliert war und viele sich widersprechende, fett gedruckte Daten enthielt. Unser Lehrer tat mir sofort leid, er musste bestimmt vielen verwirrten Eltern Rede und Antwort stehen, ohne selbst mehr zu wissen.
Wieder ohne durchzublicken, gehorchte ich einfach: Mein Sohn durfte Mitte der Woche einen Test machen und wenn der negativ ist, dürfe er raus aus der Quarantäne. Aber wann der normale Unterricht losging, das konnte mir keiner sagen. Diese Woche war klar, ich blieb zuhause und konnte homeschooling machen, aber was würden wir nächste Woche machen? Bisher ging die Quarantäne doch immer zwei Wochen… Der laute, gewissenhafte Teil meiner Gedankenwelt konnte sich nicht vorstellen, auch noch nächste Woche zu Hause zu bleiben. Wir sind drei PJler und müssen einerseits alle Blutentnahmen machen und andererseits im OP aushelfen – das wird zu dritt schon oft stressig.

…Und viele Fragen…

Ich saß also in quasi-Quarantäne, machte Homeschooling, schlichtete Streit zwischen unausgeglichenen Kindern, entzifferte Nachrichten vom Gesundheitsamt, spielte nonstop UNO nach Kleinkindregeln (wie man sich denken kann: ich hatte im Gegensatz zu meinem Gegenüber nie die “4-ziehen-Karte” und musste immer verlieren…). Und machte mir auch noch Sorgen um meine PJ-Kollegen, die hoffentlich nicht zu viel arbeiten mussten in der Abwesenheit meiner Wenigkeit…  Außerdem beschlich mich die Angst, dass währenddessen meine Fehltage unbemerkt davon flossen.

Aber zur Arbeit zu gehen und meinen Mann mit homeoffice, homeschooling, Kinderbespaßung, Kinderbekochung und allem anderen alleine zu lassen? Auch unvorstellbar. Also, wann kam endlich die Nachricht, die mir Gewissheit schaffen würde? Ich wollte doch nur Gewissheit…

Schon am nächsten Tag kam sie, die Nachricht, dass die Schule am Freitag wieder losging, allerdings nur für die Kinder, die ein negatives Testergebnis vorweisen konnten. Also ein Fünkchen mehr Planungssicherheit. Ein Fünkchen. (Ich konnte ja noch nicht ahnen, dass der Lockdown und mit ihm die nächste Ungewissheit über uns schwebte!)

Im Rückblick scheint es kein langes Warten, es waren insgesamt nur vier Tage Quarantäne, eigentlich doch lachhaft. Aber wenn man mittendrin steckt und einfach nicht weiß, wie der nächste Tag aussehen wird, scheinen einem auch nur 24 Stunden eine ewige Zeit.

Nicht zu wissen, wie der nächste Tag aussieht, ich glaube das ist fast das Motto von 2020…

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