Monate sind vergangen, mittlerweile bin ich voll in die Materie des Rettungsdiensts eingestiegen und kenne jeden Ablauf auf der Rettungswache. Montags werden die Messgeräte zur Blutzuckermessung genormt, dienstags kommt die wöchentliche Materialbestellung an, donnerstags steht eine obligatorische Wochenaufgabe an und freitags ist Waschtag für die Fahrzeuge. Die Abläufe werden eben auch zur Routine, wie es die Notfalleinsätze werden. Inzwischen ist es April und die Zeit meines Bundesfreiwilligendienst ist schon über die Hälfte vorbei. Parallel zum Schichtdienst bereite ich mich auf die Medizinertests in Deutschland (TMS) und Österreich (MedAT) vor. Mit den vielen unregelmäßigen Schichten ist eine routinierte Vorbereitung gar nicht so einfach, aber ich weiche nicht von meinem Lernplan ab und übe häufig auch abends noch auf der Wache. So auch im April, zu Beginn einer Nachtschicht. Mitten während einer Konzentrationsübung für den TMS klingelt erneut der Melder und gemeinsam mit einer jungen Kollegin fahren wir zum Meldebild „Bewusstlose Person, Einfamilienhaus“.
Neugierige Beobachter
Kurze Zeit und einige Telefonminuten später schaffen wir es, den Patienten in einen sogenannten Spontankreislauf zurückzuversetzen. Ein erstes, positives Zeichen! Gemeinsam entscheiden wir uns, das nächstgelegene Klinikum anzufahren, woraufhin ich mich zum Rettungswagen begebe, um dort alles für den anschließenden Transport vorzubereiten. Am unteren Ende der Treppe angekommen, treffe ich auf einen älteren Herren, der auf dem Gehweg auffällig nahe neben unserem Rettungswagen steht. Sofort spricht er mich an „Was ist dort oben los? Ist es was Schlimmeres?“, ich ignoriere ihn und erledige meine Vorbereitungen. „Dafür habe ich nun wirklich keine Zeit“ denke ich. Mit einem Tragetuch, das zum erleichterten Transport von Patientinnen und Patienten z.B. bei Treppenhäusern oder in unwegsamen Geländen verwendet wird, eile ich zurück ins Haus. Wir bereiten alles für den Transport vor und erfreulicherweise befindet sich unser Patient in einem verhältnismäßig gutem Zustand. Kurz bevor wir mit dem Transport zum Rettungswagen aufbrechen wollen, erblicke ich den Herrn von der Straße im Wohnzimmer des Hauses – die Ehefrau muss ihm wohl die Haustüre geöffnet haben. „Das kann nicht wahr sein“, ärgere ich mich. Es stellt sich heraus, dass es sich bei dem älteren Herren um einen „Freund der Familie“ handelt, der mittlerweile auf dem Sofa des Wohnzimmers Platz genommen hat. Eine Dreistigkeit, die man fast nicht mehr überbieten kann, doch es kommt noch schlimmer. Der Fremde beginnt Fragen zum Verlauf und zum Zustand des Patienten zu stellen. Es stellt sich heraus, dass der Unbekannte durch die Rettungsfahrzeuge auf der Straße neugierig geworden ist und mir danach Richtung Haus gefolgt sein muss. Der Notarzt bittet den Herren, das Wohnzimmer zu verlassen, doch dieser bleibt standhaft und verharrt an Ort und Stelle.
Keine Seltenheit
Obwohl der Transport vom Haus zum Rettungswagen und die anschließende Fahrt ins Klinikum komplikationslos verlaufen, ist das gesamte Team verärgert über den Auftritt des „Familienfreundes“. Zwar wurde unsere Arbeit durch die Anwesenheit des unerwünschten Gastes nicht direkt behindert, jedoch stört ein solches Verhalten ungemein. Leider sind solche Vorfälle keine Seltenheit, die in extremer Form auch das Outcome eines Einsatzes beeinflussen oder sogar behindern können. Oft fehlen dem Rettungspersonal schlichtweg die Nerven und die Zeit, sich neben der Versorgung eines lebensbedrohlichen Notfalls noch um solche Nebensächlichkeiten zu kümmern. Vor allem im Hinblick auf die organisatorischen Aufgaben, zum Beispiel die Klärung der Vollmacht oder die Logistik für den Patiententransport, bleibt für Gaffer oder besonders Neugierige keine Kapazität mehr übrig. Mein Appell lautet deshalb abschließend: Lasst Rettungspersonal ungehindert arbeiten und respektiert die Privatsphäre eurer Mitmenschen, insbesondere in solchen, lebensbedrohlichen Situationen!