Forensische Psychiatrie: Wie herausfordernd ist das Fach?

Dr. David Strahl, Chefarzt Forensik an der LVR-Klinik Viersen
Dr. David Strahl, Chefarzt Forensik an der LVR-Klinik Viersen © Bianca Freitag
Radikale Brutalität, spektakuläre Verbrechen und menschliche Abgründe – True Crime-Stories sind ein beliebtes Genre. Und Fachärztinnen und -ärzte für forensische Psychiatrie sind mittendrin. Was verbirgt sich hinter dem spannenden Fachgebiet? Und auf welche Herausforderungen musst du dich dabei einstellen?

Die Psychiatrie ist ein großes medizinische Fachgebiet, die forensische Psychiatrie macht nur einen kleinen Teil davon aus. „Aber es ist nicht minder spannend“, sagte Dr. David Strahl, Chefarzt der Forensik an der LVR-Klinik Viersen, auf dem Operation Karriere-Event in Köln. Als Schwerpunkt baue die forensische Psychiatrie auf der Facharzt-Weiterbildung Psychiatrie und Psychotherapie auf. Fachärztinnen und -ärzte mit diesem Schwerpunkt beurteilen, betreuen und behandeln psychisch kranke Rechtsbrecher und Personen, die vergleichbarer Dienst bedürfen.

Die wichtigsten Fragen

Bei schweren Verbrechen stellen sich Menschen oft die Frage, ob es das Böse gibt. Plötzlich, radikal und brutal bricht das Böse in unsere vermeintlich friedliche Welt ein – und zieht unsere gebannte Aufmerksamkeit auf sich. „Das Böse ist das Rätselhafte, Verstörende und zugleich das Unheimlich-Faszinierende, mit dem wir uns trotz allem beschäftigen“, erklärte Strahl. Aber wie ist das Böse möglich und wie gerät ein Mensch in seinen Bann?

Antworten auf diese Fragen erwartet man von forensischen Psychiaterinnen und Psychiatern. Jeder könne laut Strahl psychisch erkranken. Dementsprechend sei es auch möglich, dass jeder mit solch einer Erkrankung eine Straftat begehe. Kurz zusammengefasst gehöre zu den Aufgaben eines forensischen Psychiaters oder Psychiaterin, Folgendes herauszufinden:

  • Hat eine straffällig gewordene Person eine Erkrankung?
  • Hat die Erkrankung etwas mit der Straftat zu tun?
  • Muss die Person behandelt werden, um die Erkrankung zu heilen, und damit die Person nicht mehr straffällig wird?

Außerdem werde von ihnen eine Risikoeinschätzung und Risikomanagement erwartet. „Jeder, der Medizin studiert, weiß, dass Prognosen äußerst schwierig sind“, gestand Strahl. Gerade bei menschlichem Verhalten seien solche Prognosen noch schwieriger. Zu den Patientinnen und Patienten der forensischen Psychiatrie gehören beispielsweise auch pädophile Personen. Von denen werden laut Strahl etwa acht Prozent trotz einer zeitintensiven Behandlung und eines umfangreichen Risikomanagements wieder straffällig.

Vielseitige ärztliche Tätigkeit

Doch wie sieht der Arbeitsalltag aus? Die meisten Patientinnen und Patienten, die in der forensischen Psychiatrie behandelt werden, sind nach § 63 StGB untergebracht. „Das ist jemand, der aufgrund einer psychischen Erkrankung Straftaten begeht“, erklärte der Mediziner. Sei so eine Person weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich, werde sie in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Dies sei zeitlich unbefristet. „Das ist das echte lebenslänglich“, so Strahl weiter. „Es gibt Menschen, die teilweise über 50 Jahre untergebracht sind.“ Denn sie seien immer noch gefährlich und man könne nicht verantworten, sie zu entlassen. Jährlich gebe es hierzu eine gerichtliche Überprüfung mit Stellungnahmen und Gutachten zu den Patientinnen und Patienten.

Darüber hinaus gehöre zum Arbeitsalltag, dass man zweimal jährlich in einem multiprofessionellen Team eine umfassende Behandlungsplanung erstelle. Die Teamarbeit sei ein großer Vorteil in der forensischen Psychiatrie. Als Arzt oder Ärztin habe man aber nicht nur die Verantwortung für die psychische Behandlung. Weiter Aufgaben sind:

  • hausärztliche Versorgung, ggf. Überweisung
  • psychopharmakologische Behandlung
  • Kontakte mit Rechtsanwälten, Gerichten, Staatsanwaltschaften, Angehörigen etc.
  • teilweise lebenslange Behandlung und Betreuung

Genau diese langjährige Behandlung sei ein Profit dieses Schwerpunktgebietes. Darüber hinaus sei es eine sehr kollegiale und gemeinsame Arbeit, die das Wohl des oder der Untergebrachten sowie die Sicherheit der Allgemeinheit in den Fokus rücke. Die individuelle Behandlung stehe im Vordergrund, ganz ohne Zeit- und Kostendruck. Ein Aspekt sei enorm wichtig: Die Reflexion der eigenen Werte und Handlungen, im Hinblick auf Macht, Kontrolle, Fürsorge oder Autonomie, sei unabdingbar.

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„Natürlich gibt es auch Belastungen“, sagte Strahl. Man bekomme aufgrund der zum Teil schrecklichen Delikte Dinge zu lesen und zu sehen, mit denen man lernen müsse umzugehen. „Es ist nicht im Fernsehen. Man weiß genau, diese Person hat das begangen.“ In Zeiten von Social Media würden sich viele auch bei ihren Taten filmen, sodass man diese Video- und Tonaufnahmen sehe und höre. Eine weitere Belastung können Fehleinschätzungen sein. Werde eine Person aufgrund der Einschätzung des forensischen Psychiaters oder der Psychiaterin entlassen und anschließend wieder straffällig, müsse man auch den Umgang damit lernen. Ebenso könne es aussichtslose Fälle geben, die niemals entlassen werden können. Gleichzeitig könne eine andere Idee eines Kollegen schon helfen – und noch nach 20 Jahren Stillstand komme der Durchbruch.

 

Quelle: Vortrag „Jenseits des Unheimlichen: Forensische Psychiatrie als medizinische Herausforderung“, Dr. David Strahl, Chefarzt Forensik an der LVR-Klinik Viersen, Operation Karriere Köln 2024

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