Seit meiner Kindheit wollte ich Ärztin werden. Ich hatte den tiefen Wunsch, Menschen zu helfen und ihr Leid zu lindern. Doch damals war ich nur ein Kind und wusste, dass ich hart arbeiten müsste, um diesen Traum in der Zukunft zu verwirklichen. Es war ein großer Traum, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie.
In dem Land, aus dem ich stamme – einem kleinen, aber wunderschönen Land – gibt es nicht viele Fachärzte. Ich erinnere mich daran, dass man, wenn man schwer krank war und genug Geld hatte, ins Ausland reisen musste, um eine spezialisierte Behandlung zu bekommen. Diese Erfahrungen haben meinen Willen nur gestärkt, mein Ziel zu erreichen und die sogenannte Muganga (Ärztin) zu werden.
Nach meinem Abitur flog ich nach China und habe nach vielen Jahren harter Arbeit meinen Kindheitstraum verwirklicht: Ich wurde Ärztin.
Als ich meine erste Stelle in einem Krankenhaus antrat, war ich nicht nur begeistert, Menschen zu helfen, sondern auch die Wissenschaft der Medizin zu praktizieren.
Wenn die Routine nicht greift
Mit zwei oder mehr Symptomen können wir mithilfe der Labormedizin sowie der apparativen Diagnostik oft eine Diagnose stellen und den Patienten eine passende Behandlung bieten. Das war unsere Routine. Natürlich bekommen wir auch Patienten, die leider nur konservativ oder palliativ behandelt werden können. Wenn das der Fall war, wurde die Familie immer darüber informiert.
Diese Routine war für mich bisher normal – bis zu dem Tag, an dem wir in unserer Notaufnahme einen 90-jährigen Patienten aufnahmen, der mit Thoraxbeschwerden und Schluckproblemen zu uns kam. Der Patient befand sich zuvor in einer geriatrischen Anschlussbehandlung. Dort hatte er bereits Probleme beim Schlucken, weshalb der behandelnde Arzt eine CT des Halses durchführen ließ. Diese zeigte einen Knoten im Bereich des Ösophagus. Daraufhin wurde eine Magenspiegelung mit Biopsie durchgeführt, doch das Ergebnis stand noch aus. Einige Tage später entwickelte der Patient Brustbeschwerden, die von Tag zu Tag stärker wurden. Deshalb wurde er notfallmäßig zu uns geschickt.
In der Notaufnahme wurde ein EKG geschrieben, das ST-Hebungen in allen Ableitungen zeigte. Der Laborbefund ergab ein hochpositives Troponin. Der Patient wurde direkt ins Herzkatheterlabor geschickt.
Es wurde eine Koronarangiographie durchgeführt. Dabei zeigte sich in der Herzkatheteruntersuchung eine Dreigefäßerkrankung der Koronararterien mit starker thrombotischer Stenose. Aufgrund des Zustands des Patienten sowie des bekannten Ösophagus-Knotens, dessen Biopsiebefund noch ausstand, wurde eine konservative Behandlung mit ASS und Clopidogrel für zwei Wochen beschlossen, dann lebenslang ASS und Eliquis (aufgrund von Vorhofflimmern).
Der Patient wurde auf die Normalstation verlegt. Seine Situation verschlechterte sich jedoch täglich, und der Patient hatte Blutungen. Aus diesem Grund reduzierten wir die Blutverdünnung und informierten die Familie über die aktuelle Situation.
Am Donnerstag war der Patient sehr schwach. Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir der Familie mitteilten, dass ihr Angehöriger vermutlich nur noch bis Samstag zu leben hätte.
Als Samstag kam, war der Patient jedoch nicht gestorben. Stattdessen verbesserte sich sein Zustand jeden Tag – es war einfach unglaublich. Ich erinnere mich noch daran, wie die Familie täglich in mein Büro kam und sagte, wir hätten doch gesagt, dass er sterben würde. Medizinisch konnte ich es nicht erklären, aber es war trotzdem eine wunderbare Nachricht. Nach zwei Wochen wurde der Patient entlassen und blieb in Kontakt mit der Palliativmedizin.
Ein Wunder der Medizin
Einen Monat später sah mich die Familie des Patienten auf der Straße und begrüßte mich sehr fröhlich. Sie fragten mich lachend erneut, wie das möglich gewesen sei!
Das geschah im August 2024 – nicht im Dezember, aber wie die Amerikaner sagen würden, war es ein „Weihnachtswunder“. Der Patient erhielt sein Weihnachtswunder im August. Nach dieser Erfahrung mit einem solchen Fall stellte ich mir zwei Fragen, auf die ich bis heute keine klaren Antworten habe:
Gibt es eine andere Seite der Medizin, die wir nicht kennen?
Ist die Wissenschaft wirklich immer exakt?