Ecuador: Zwischen Medizin und Schamanismus

Neben vielen Pflanzen benutzen die Schamanen verschiedenen Öle und Salben. Maria Yuquilema, eine der sechs Schamanen des Hauses „Jambi Huasi“ (rechts) gießt Öle während der Konsultation über Kopf, Hals und Nacken des Patienten und verschmiert sie. So reinigt sie Körper und Geist des Patienten. | Tim Vogel
Schamanismus in Ecuador hat viele Gesichter und wird oft mit westlichen, chinesischen und indigenen Heilprinzipien vermengt. Tim Vogel hat während des Praktischen Jahres in die Gesichter des Schamanismus geblickt und herausgefunden, wofür man dabei beispielsweise rohe Eier braucht.

Wie ein großes Spinnennetz spannen sich Drahtseile der Brücke von Coca über den Rio Napo. Als das Schnellboot mit 400 PS donnernd unter ihr hindurch fährt, haben die etwa 20 Insassen noch fünf Stunden Fahrt durch endloses Grün vor sich, dass nur manchmal von Bohrtürmen, Autofähren mit Tanklastern und kleinen Siedlungen durchbrochen wird. Das endgültige Ziel des Bootes liegt etwa 500 Meter von der peruanisch-ecuadorianischen Grenze entfernt mitten im Amazonasbecken: Nuevo Rocafuerte.

In Nueva Rocafuerte gibt es das einzige Krankenhaus im Umkreis von 250 Kilometern. Dr. Guzmán Bernabéu ist Direktor des „Hospital Franklin Tello“ und bietet für viele indigene Gemeinschaften im Umkreis den einzigen Zugang zu westlichen Therapiemethoden. Ein Zugang, der sehr unterschiedlich stark in Anspruch genommen wird: „Bei akuten Verletzungen, wie einer Fraktur, kommen viele Menschen eher zu uns ins Krankenhaus – selbst wenn sie dafür tagelang durch den Dschungel müssen“, erklärt der Franziskanerbruder. „Bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes hingegen, gehen sie zum Schamanen oder zum Heiler ihres Dorfes.“

Behandlung mit Drachenblut

Heiler nutzen vor allem Pflanzen des Amazonasbeckens, wie das Sangre de dragon, das Drachenblut, gewonnen aus dem Harz eines Baumens, zur Behandlung. Schamanen hingegen sind in Ecuador nicht vornehmlich für die medizinische Versorgung verantwortlich. Meist sind es weise Männer, selten auch Frauen, die in allen möglichen Lebenssituationen um Rat gefragt werden: bei der Ernte, der Familienplanung, aber auch bei Krankheiten. Der Yachak behandelt vor allem psychiatrische Erkrankungen, die nach der Vorstellung vieler Menschen hier durch böse Geister anderer Schamanen entstehen. Diese vertreiben die Yachaks durch tagelange Rieten, in denen der Patient ständig in Tabakrauch eingehüllt wird.

In Nuevo Rocafuerte gibt es eine meist friedliche Koexistenz zwischen Schamanismus und den westlichen Therapieprinzipien. Um ganz sicherzugehen, nehmen manche Patienten auch beides in Anspruch: Einmal, so Bernabéu, sei ein Patient mit Flankenschmerzen und Algurie gekommen. Er habe eine Pyelonephritis vermutet und diese antibiotisch behandelt. „Zusätzlich ging der Patient zu einem Schamanen, um die Schmerzen zu stillen. Dieser ließ ihn eine Zigarre rauchen, spie ihm eine Flüssigkeit und Rauch auf den Bauch. Die Farbe der Flüssigkeit veränderte sich. Danach war Patient schmerzfrei. Das kann ich mir bis heute nicht erklären.“

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Doch manchmal entstehen auch Konflikte mit tragischem Ausgang: Einmal, so erzählt Bernabéu, wurde ein Kind von einer Schlange gebissen. Die Eltern brachten es zum Schamanen und das Kind überlebte ohne Schaden – vermutlich, weil die Schlange es nur oberflächlich verletzt hatte. Als das Kind ein weiteres Mal gebissen wurde und der Arzt ein Gegengift verabreichen wollte, machten die Eltern sich lieber erneut auf den Weg zum Schamanen. Der Junge verstarb binnen weniger Stunden.

Schamanismus als Teil einer ganzheitlichen Therapie

340 Kilometer Luftlinie, neun Stunden Bootsfahrt flussaufwärts und weitere sechzehn Stunden Busfahrt entfernt ist das Verhältnis von Schamanismus und der Medizin des Westens ein völlig anderes: In Otavalo, im Zentrum für alternative Medizin „Jambi Huasi“, versucht der Arzt Patricio Schamanismus mit indigenen, chinesischen und westlichen Heilprinzipien zu kombinieren. Er sehe darin eine wirklich ganzheitliche Behandlung seiner Patienten, erklärt er. Außerdem gebe es viele Parallelen: „Im Schamanismus gibt es das Konzept der Mal Ayre, der schlechten Luft, über die sich Krankheiten verbreiten. Dies ist gut mit der Vorstellung von Infektionskrankheiten vereinbar.“

Patricio hat zwar Medizin studiert sowie eine Ausbildung in traditioneller chinesischer Medizin und in traditioneller andiner Medizin durchlaufen, dennoch wünschen sich manche seiner Patienten einen richtigen Schamanen. Deshalb ist ein solcher Yachak ebenfalls Teil des „Jambi Huasi“.

Gegen 15 US-Dollar führt der wortkarge Mann eine Konsultation durch. In seinem stark abgedunkelten und nur mit einer einzelnen Kerze beleuchteten Raum, hängen zahlreiche getrocknete Pflanzen, unter anderem eine Engelstrompete. Angesprochen auf die Giftigkeit der Engelstrompete, die unter anderem große Mengen an Atropin und Scopolamin enthält, entgegnet der Schamane: „Die Pflanze ist nicht giftig, sie ist dazu da, um in die Zukunft zu schauen.“

Neben den vielen Pflanzen stehen ein gutes Dutzend Flaschen mit verschiedenen Ölen auf einem wackligen Holztisch. Die Öle werden gemischt und während der Konsultation über Kopf, Hals und Nacken des Patienten gegossen und verschmiert. So reinigt der Schamane den Körper und Geist des Patienten. Neben den Flaschen steht dann noch eine Packung mit rohen Eiern. Die Eier werden über die erkrankten Körperteile gerieben, da sie besonders gut negative Energie aufnehmen, durch die die Krankheit verursacht wird.

Alternative Behandlung zwischen Homöopathie und andiner Medizin

Ganz ohne Eier kommt man am Fuße des höchsten Berges Ecuadors, Chimborazo, in Riobamba aus: Das Hospital Andino Alternativo de Chimborazo wirkt zunächst wie ein ganz normales Krankenhaus. Nur die grelle rot-weiße Fassade sticht aus der grauen Häuserfront hervor. Tatsächlich werden hier die meisten Patienten im Haupthaus nach westlichen Therapievorstellungen behandelt. Doch in einem zweiten Gebäude, umgeben von einem äußerst gepflegten Garten mit Springbrunnen, sind alle möglichen alternativmedizinischen Strömungen untergebracht: Von Homöopathie, Biomagnetismus und Iridologie, über Reiki, Bachblütentherapie und ionische Detoxifikation bis hin zu Akupunktur, Lymphdrainagen und Chiropraxis wird ein in Evidenzgraden kaum überschaubares Potpourri angeboten. Das in mehreren Hochglanzflyern dargestellte Angebot für zehn bis zwanzig US-Dollar richtet sich vor allem an Touristen und Großstädter. Natürlich findet sich in der „area complementaria“ auch ein Bereich für andine Medizin und Schamanismus.

Maria Yuquilema ist eine der sechs Schamanen des Hauses, von denen stets zwei oder drei Dienst haben. Sie ist eine kleine Frau, die die typische Quechua-Kleidung mit Hut und wollenem Poncho trägt. Die Patienten würden bei ihr vornehmlich mit Aufgüssen und Salben behandelt werden, Rituale führe sie äußerst selten durch, erklärt sie und zupft dabei Kräuter für ein Dampfbad. „Im Durchschnitt kommen etwa 17 Patienten pro Woche. Die meisten kommen aus Quito.“

13 Dollar für eine Behandlung

Maria hat ihr Handwerk in einem Dorf gelernt, ist dann aber an das Hospital Andina in der 150.000-Einwohnerstadt Riobamba gekommen. Als in ihr Behandlungszimmer ein älterer Mann in Begleitung seiner Schwiegertochter kommt, sucht sie routiniert Blütenblätter und Kräuter in verschiedenen Schalen zusammen. Der Mann, Manuel, leidet an Gelenkbeschwerden und Schmerzen in den Extremitäten. So beginnt die Schamanin eine Salbe in Manuels Extremitäten einzumassieren. Dabei muss der Patient immer wieder Atemanweisungen befolgen. Nach etwa 30 Minuten ist die Behandlung vorbei und Maria kassiert 13 Dollar.

In Riobamba ist das indigene Erbe von Schamanismus und andiner Medizin vor allem ein Wellnessprodukt neben vielen anderen alternativmedizinischen Behandlungen geworden. In Otavalo wird versucht, zum Wohle des Patienten so viele medizinische Strömungen wie möglich miteinander zu kombinieren. In Nuevo Rocafuerte tief im Amazonas hingegen existieren diese Strömungen nur nebeneinander.

Zum Abschied aus dem kleinen Dorf im Urwald erzählte Bernabéu einen Witz, der die Entwicklung von Schamanismus und westlicher Medizin in Ecuador gut zusammenfasst: Auf dem Fluss begegnen sich ein Boot voll mit Touristen und ein Boot voll mit Indigenen. „Wohin fahrt ihr?“, fragen die Indigenen die Touristen. „Wir sind krank, wir fahren zum Schamanen. Und ihr?“ „Wir sind krank. Wir fahren ins Krankenhaus.“

Autor:
Tim Vogel

hat einen Teil seines Praktischen Jahres in Ecuador an der Universitätsklinik Cuenca absolviert. Nebenbei erhielt er auch Einblicke in die Arbeit der Schamanen.

Foto: Tim Vogel

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