Wo möchtest du in zehn Jahren sein? Was möchtest du in zehn Jahren machen? Das sei die wichtigste Frage, die man sich im Leben stellen sollte, sagte Dr. Umes, Herzchirurg und Bestsellerautor, gleich zu Beginn seines Vortrags. Dass er seinen Weg zum Herzchirurgen so beschreiten würde, hatte er als Kind nicht erwartet.
Seine Kindheit auf Sri Lanka
Dr. Umes ist auf Sri Lanka geboren und lebte dort mit seinen Eltern, Großeltern und vier Geschwistern. „Ich habe wundervolle Erinnerungen an meine Kindheit“, schwärmte der Mediziner. Dazu gehören selbstgekochtes Essen der Großmutter, Tempelbesuche oder auch kleine Streitigkeiten mit Mitschülern. Doch diese Idylle wurde durch den Bürgerkrieg zerstört. Dieser führte außerdem zu einer dramatischen Verschlechterung der medizinischen Versorgung. Und genau diese hätte seine ältere Schwester gebraucht. Sie starb, als sie zwölf Jahre alt war. Damals wussten sie nicht, dass sie an einer Nierenerkrankung litt. Er könne sich noch genau an die Worte seiner Mutter erinnern, wenn sie stundenlang im Krankenhaus darauf gewartet haben, dass ein Arzt seine Schwester untersucht. Wie schön es wäre, irgendwann selbst einen Arzt in der Familie zu haben. „Das war für mich unglaublich inspirierend“, sagte Umes. Diese Worte seien die treibende Kraft für ihn gewesen, sein Medizinstudium überhaupt zu bestehen.
Bis zur sechsten Klasse konnte er auf Sri Lanka noch zur Schule gehen. Wegen des Bürgerkriegs wurde es danach zu gefährlich. Um ein wenig Geld zu verdienen, verkaufte er am Straßenrand erst Benzin und später Obst und Gemüse. Das Geschäft lief so gut, dass er mit dem eingenommenen Geld seine ganze Familie versorgen konnte. Als Umes jedoch zwölf Jahre alt wurde, verkomplizierte sich die Situation. Denn Jungen in diesem Alter gingen oft zu den Kämpfern im Bürgerkrieg. Das wollten weder er noch seine Eltern.
Eine bessere Zukunft
Eines Tages fragte ihn seine Mutter, ob er nach Deutschland gehen würde. Er sollte eine bessere Zukunft haben und könnte dadurch später die Familie versorgen, was in der Kultur auf Sri Lanka üblich ist. Aber warum gerade Deutschland? Seit 1979 lebt dort sein Onkel, der Bruder seiner Mutter. Umes stellte nur die Frage, ob er in Deutschland zur Schule gehen könnte. Denn diese und das ganze soziale Leben mit seinen Freunden vermisste er. „Mama sagte ja, und ich sagte ja, ohne dabei nachzudenken“, erzählte Umes.
Also besorgte seine Mutter einen Schlepper, der ihn illegal von Colombo innerhalb einer Woche nach Deutschland bringen sollte. Dafür mussten sie damals 15.000 Deutsche Mark (DM) aufbringen. Nur weil sein Onkel ihnen Geld geliehen habe und seine Mutter ein Grundstück verkaufen konnte – dessen Erlös eigentlich für die Behandlung seiner Schwester im Ausland gedacht war – , hatten sie diese Summe beisammen.
Der lange Weg nach Deutschland
Am 6. Januar 1991 war es so weit: Ein Schlepper sollte ihn abholen. Erst in diesem Moment begriff Umes, dass er allein ohne seine Mutter reisen sollte – und brach in Tränen aus. Im ersten Moment wollten die Schlepper ihn dann zurücklassen, denn ein weinendes Kind sorge am Flughafen nur für Fragen, die niemand beantworten möchte. „Das ist für mich rückwirkend der Moment, wo ich zum ersten Mal im Leben bewusst Verantwortung übernommen habe. Und zwar Verantwortung für meine Familie“, erklärte Umes. Denn seine Mutter habe ihn auf Knien angefleht, aufzuhören zu weinen und an die Familie zu denken. Und genau das habe er getan.
Anstatt der versprochenen Woche dauert seine Reise insgesamt mehr als acht Monate und ging über Singapur, Dubai, Togo, Ghana, zurück nach Togo, über Benin nach Nigeria und schließlich über Spanien nach Frankfurt. „Ich war erleichtert. Ich war dankbar. Ich war glücklich. Ich war müde. Ich hatte Hunger. Ich hatte Angst“, gestand der Mediziner. Denn er wusste nicht, was in diesem fremden Land mit all den fremden Menschen und einer Sprache, die er nicht verstand, mit ihm geschehen würde. Ein Schlüsselmoment war der, als ihm ein uniformierter Bundesgrenzschutzbeamter ein Stück Schokolade angeboten hat. Aufgrund seiner Bürgerkriegserfahrung hätte er Angst und Vorurteile gegenüber uniformierten Personen gehabt, doch diese Geste habe ihn sehr glücklich gemacht.
Einen Tag später habe ihn sein Onkel abgeholt und ihn in seine neue Heimatstadt Hamburg gebracht. Eine Schule zu finden, war ein Problem, denn damals habe es nur drei Schulen gegeben, an denen man die deutsche Sprache lernen konnte. Sechs Monate später habe er einen Platz bekommen und dank großartiger Lehrerinnen und Lehrer schließlich sein Abitur machen können. Dann kam jedoch der Schock: Umes sollte abgeschoben werden. Damals übernahm sein Lehrer und Vaterfigur Lorenz Köhler für ihn die Bürgschaft – er durfte unter Auflagen bleiben und konnte sein Medizinstudium in Lübeck beginnen.
Sein Herz schlägt für die Herzchirurgie
Seine früheren Lehrkräfte sammelten Geld, von denen Umes seine benötigten Bücher kaufen konnte. Zusätzlich arbeitete er am Wochenende als Tellerwäscher in Hamburg. Diese Zeit und das Pendeln sei natürlich stressig gewesen. Schließlich habe er einen Job als Pflegehelfer beim Deutschen Roten Kreuz in der Herzchirurgie bekommen. Der erste Eindruck wäre so schlimm für ihn gewesen, dass er dort niemals wieder arbeiten wollte – und dies auch einige Zeit nicht getan hat. Durch einen Zufall wurde ihm später eine Festanstellung als studentische Aushilfe genau dort angeboten. Und dieses Angebot nahm Umes an. „Ich habe es geliebt“, schwärmte Umes. „Ich fand die Herzchirurgen so cool. Und ich wollte auch so cool sein.“
Das ganze Fach habe ihn unglaublich fasziniert. Seine Zeit als Arzt in Weiterbildung verbrachte er zunächst sieben Jahre am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dort durfte er jedoch keine Operationen machen, das sei die Entscheidung seines Chefarztes gewesen. Also habe er Hamburg verlassen und seine Facharzt-Weiterbildung sowie die Zusatzweiterbildung Notfallmedizin in Bad Neustadt absolviert. Sein dortiger Chefarzt habe ihm anschließend eine Stelle an der Charité in Berlin organisiert, denn Umes wollte zurück in eine Großstadt. Schließlich erhielt er jedoch ein Angebot als Funktionsoberarzt in Bremen, was er annahm, da dies noch näher an seiner Heimat Hamburg liegt. Die Stelle als Oberarzt blieb ihm jedoch verwehrt, weswegen er für ein Jahr an die Universitätsklinik Halle wechselte. Im Moment (Stand Dez. 2024) ist Umes auf der Suche nach einer neuen Anstellung.
„Rückblickend betrachtet hätte ich ein anderes Fach ausgesucht“, erklärte der Mediziner. Besser sei es gewesen, ein Fach zu wählen, bei dem er auch in der Praxis arbeiten könne und nicht an eine Klinik gebunden sei. Allein im Hinblick auf die Familienplanung biete das viel mehr Möglichkeiten.
„Aber man kann in Deutschland so viel schaffen“, betonte Umes. Das, was er geschafft habe, könnten alle schaffen, und noch mehr. Er rät den Medizinstudierenden, sich immer zu fragen, wo sie in zehn Jahren sein wollen, was sie machen wollen. „Und dann seid ihr glücklich.“
Quelle: Vortrag „Odyssee, mein ganz persönlicher Weg zum Herzchirurgen“, Dr. Umes Arunagirinathan, Herzchirurg und Buchautor, Operation Karriere Köln 2024
