Die „eiserne“ Orthopädin: Ist Extremsport gesund?

Dr. Petra Krause läuft einen Marathon beim Ironman
Die Sportmedizinerin Dr. Petra Krause hat schon in Kopenhagen, auf Hawaii und in Nizza einen Ironman absolviert. © FinisherPix
3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und dann noch einen Marathon: Das ist der Ironman. Was ist der Kick dabei? Wie muss man seinen Körper darauf vorbereiten? Und warum tut man sich das überhaupt an? Das beantwortet Dr. Petra Krause, Sportmedizinerin und dreifache Ironman-Finisherin.

Dr. Krause, bei welchen Wettkämpfen sind Sie am Start?

Dr. Petra Krause: Triathlon als Hobby. Gerne auch die 300-Kilometer-Mecklenburger Seenrunde in einem Tag auf dem Rad und regelmäßig Marathon. 2022 war mein erster Ironman in Kopenhagen. Dort qualifizierte ich mich für die Weltmeisterschaften 2023 auf Hawaii und 2024 in Nizza.

Kommt man beim Ironman in ein Runner’s High oder ist es immer ein Kampf am Ende?

Dr. Petra Krause: Je nachdem, wie es läuft. Nizza war super, die Cote d’Azur toll und ich konnte mich beim Radfahren bergab sogar relativ gut erholen. Mit 3:16 Stunden lief ich einen sehr guten Marathon. Der Erfolg bewirkt ein Glücksgefühl, das sich auch auf den Körper auswirkt. Man bekommt einen positiven Hormonfluss, der noch eine ganze Weile wie ein Rausch anhält. Ich hatte hart gearbeitet, mehr erreicht, als ich wollte und bin noch immer stolz darauf. Nach Hawaii dachte ich allerdings „das mache ich nie wieder“.

Warum, was war da los?

Dr. Petra Krause: Hawaii war eine Extrembelastung. Obwohl ich von allen drei Ironman-Disziplinen am besten Marathon laufen kann, bin ich dort dabei gnadenlos eingegangen. Schon nach fünf Kilometern bekam ich Probleme, bin fast kollabiert. Es war die Hitze in der prallen Sonne mit gefühlten 40 Grad. Man läuft die meiste Zeit in der Wüste, ohne Schatten.

Wie haben Sie es trotzdem geschafft?

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Dr. Petra Krause: Wenn man einmal auf so einen Wettkampf hintrainiert hat, will man nicht aufgeben. Auch weil der Aufwand so hoch ist. Also habe ich mich mit Biegen und Brechen bis zum Ende durchgequält. Ich bin immer einen Kilometer gegangen und dann wieder in meinem Tempo gejoggt. Die Eiswürfel an den Wasserstellen halfen mir, mich runterzukühlen.

Wie vereinbaren Sie den Extremsport mit dem anstrengenden Ärzte-Job? Wie viel trainieren Sie im Alltag?

Dr. Petra Krause: Meist jeden Tag, zehn bis 14 Stunden pro Woche. Mehr schaffe ich oft nicht. Ich versuche es mit den Arbeitszeiten zu verbinden. Laufen steht dreimal die Woche an. Häufig jogge ich morgens die fünf Kilometer zur Praxis, und abends über viele Schleichwege 16 Kilometer nach Hause. Schwimmen habe ich auf zweimal die Woche reduziert, das sollte eigentlich dreimal sein. An meinen drei langen Tagen gehe ich ab 20:30 Uhr entweder schwimmen oder laufen. An den kürzeren Tagen nehme ich das Fahrrad gleich mit.

Müssen Sie vor einem Ironman bei der Arbeit kürzertreten?

Dr. Petra Krause: Ich arbeitete noch nie weniger als 100 Prozent, trainiere nur in meiner Freizeit. Aber ich habe seit meinem ersten Ironman einen Trainer. Mein Motto ist: weniger Trainingseinheiten mit mehr Inhalt. Ich versuche mir zudem gezielt Freiräume zu schaffen, in denen ich meine Freunde sehen kann. Letztes Jahr feierte ich auch mal die ganze Nacht auf einem Festival in Belgien durch und flog mit meiner Freundin zu ihrem Geburtstag zum Ed-Sheeran-Konzert in die Toskana. Das ist mental und physisch besser, als zu viel zu trainieren und sich zu isolieren.

Wie bereiten Sie sich innerlich auf den Ironman vor?

Dr. Petra Krause: Ich sage mir vor jedem Wettkampf: „Du hast jetzt einen Zehn-Stunden-Arbeitstag vor dir“. Wer weiß, wie anstrengend normale Praxis-Arbeitstage sind, nimmt damit schon mal den Wind aus den Segeln. Klar gibt es Athletinnen und Athleten, die sagen, Ironman mache Spaß, aber das betrifft wohl kaum die ganze Strecke. In Nizza hatte ich zeitweise wirklich Spaß, aber als ich dort beim Marathon immer mehr auf die vorderen Plätze lief, war das harte Arbeit. Die letzten zehn Kilometer machen eben keine Freude mehr – zudem hatte ich während der ersten Hälfte Schmerzen im Knie und dachte schon, ich muss aufhören. Aber ich konnte sie ausmassieren und irgendwann ging es wieder. Ich hielt dabei auch das Tempo und lief am Ende sogar schneller.

Kann man die Schmerzen wirklich weglaufen?

Dr. Petra Krause: Ja. Ich würde das aber nicht jedem empfehlen. Man sollte einschätzen können, woran es liegt, ob es zum Beispiel nur ein Krampf oder etwas Schwerwiegenderes ist. Wer über den Schmerz hinausgeht, kann sich Überlastungsbrüche oder andere schwere Schäden einhandeln. Doch das passiert Gott sei Dank nicht so häufig, weil diese Athletinnen und Athleten ein gutes Körpergefühl haben. Aber es gibt Ausnahmen. Ich weiß durch jahrzehntelangen Sport, wo meine Grenzen sind und kann mich selber steuern.

Mal ehrlich: Ist das wirklich noch gesund? Verschleißen die Gelenke nicht?  

Dr. Petra Krause: Manchmal wird Extremsport als ungesund dargestellt, aber es kommt darauf an wie das betrieben wird. Man muss bedenken, wie entsteht Verschleiß? Ich betreue eine über 80-jährige, die mindestens drei- bis viermal im Jahr einen Marathon läuft und kein Anzeichen einer Arthrose im Kniegelenk hat. Natürlich gibt es sportbedingten Verschleiß, aber wer bewusst trainiert und sich über längere Zeit langsam heranführt, sorgt dafür, dass der Körper sich daran gewöhnt. Dann ist das für ihn normal und kein Extremsport. Denken Sie an Jonas Deichmann, der 120 Tage nacheinander eine Ironman-Distanz gemeistert hat. Sein Körper hat sich komplett angepasst. Viel schädlicher ist keine ausreichende Bewegung und viel sitzen. Für mich sind zwölf Stunden Training wenig, ich kann 20 Stunden trainieren, habe nur keine Zeit dafür. Auch ungesunde Ernährung ist schlimmer.

Wie sollte man sich denn bei so einem Sportpensum ernähren?

Dr. Petra Krause: Vor allem ausreichend. Viele Menschen, die ihr Sportpensum steigern, kommen schnell in eine Unterversorgung, womit auch Stressfaktoren und Schäden gefördert werden. Prinzipiell ist bei diesen Trainingsumfängen zu raten: besser mehr essen als zu wenig – und das gesund. Im Grunde geht es um eine ausgewogene Ernährung. Es ist essentiell, auf die Makronährstoffe wie Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate zu achten und nicht die ganze Zeit nur Gels und Zucker zu sich zu nehmen. Wichtig ist auch, sich während des Trainings zu versorgen. Viele denken „ich trainiere jetzt mal drei Stunden nüchtern, damit ich abnehme“. Aber der Körper braucht die Energie, um die Leistung zu bringen.

Haben Sie immer etwas dabei?

Dr. Petra Krause: Ja, auch damit mein Kopf weiß, dass für Nachschub gesorgt ist. Meist braucht man neben Elektrolyten schnelle Kohlenhydrate. Ich habe daher beim Radfahren immer Riegel mit Haferflocken oder Getreide dabei, die relativ schnell aufgenommen werden. Wenn ich längere Strecken laufe, stecke ich meistens auch ein bis zwei „Notgels“ ein. Das ist ein Glukose-Fructose-Mix in hoher Konzentration, die bei sportlicher Aktivität am besten verdaut werden. So bekommt man keine Magen-Darm-Beschwerden, die Zellen werden optimal versorgt, und die Energie ist in 20 Minuten wieder gewährleistet. Die benutze ich aber nicht unbedingt, sie sind eher für den Wettkampf gedacht. Man kann ja auch mal an einer Tankstelle halt machen. Bei längeren lockeren Touren, wie vier Stunden Fahrrad, halte ich auch mal beim Bäcker und esse ein Brötchen oder einen Kuchen.

Sollte man sich ab und zu durchchecken zu lassen?

Dr. Petra Krause: Ja, vor allem am Anfang, um zu schauen, ob es Vorerkrankungen oder Fehlstellungen wie X- oder O-Beine gibt. Dass man sich das einmal bewusst macht, gerade wenn man nicht aus dem orthopädischen Bereich kommt. Allgemein ist eine Leistungsdiagnostik ein- bis zweimal im Jahr sinnvoll, wenn man dieses Körpergefühl noch nicht hat. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt mir schon, dass es Athleten und Athletinnen gibt, die zu schnell zu viel wollen. Ein Blutbild ist ebenfalls gut, um zu schauen, ob Mangelerscheinungen vorliegen und wie man seine Ernährung optimieren kann. Zudem würde ich insbesondere zu Beginn einen Trainer empfehlen, auch um die Verantwortung abzugeben. Man hat ja auch anderes zu tun, ist meist voll berufstätig und da ist es praktisch, einen professionellen Plan zu bekommen. Gerade bei ambitionierten Neueinsteigern ist oft eher Bremsen als Motivieren notwendig.

Was war das schönste Erlebnis?

Dr. Petra Krause: Ich habe zweimal in Nepal einen Multi-Etappen-Berglauf gemacht. Daran zu denken, verursacht mir immer noch Gänsehaut. Das waren sehr extreme Wettkämpfe. Der höchste Punkt war eine Passüberquerung auf 5.100 Höhenmetern. Da ging nur noch wandern. Ab 4.500 wird es schon sehr eng mit Joggen. Man kommt gar nicht auf Tempo, muss wirklich arbeiten. Sie laufen langsam, haben aber einen Puls von 180, weil es so anstrengend ist. Man fühlt sich durch den Sauerstoffmangel wie lungenkrank. Und dass in der atemberaubenden Landschaft des Himalayas mit seinen 8.000ern. Dort zu laufen ist aber auch emotional sehr fordernd.

Wieso?

Dr. Petra Krause: Sie sind für rund zwei Wochen mit 50 bis 70 Menschen zusammen, die alle ihre Geschichte haben. In diesen Tagen wächst man sehr eng zusammen. Es entstehen Freundschaften fürs Leben. Da steht man im Sonnenuntergang vor einem der höchsten Berge der Welt, und es kommt vor, dass dann jemand zu weinen anfängt und seine ganzen Schmerzen aus Kindheit und Jugend rauslässt.

Ist dies der Grund, warum man sich das antut?

Dr. Petra Krause: Vielleicht. Diese Grenzerfahrungen sind wirklich sehr bewegend. Stellen Sie sich vor, Sie stehen beim Start in Hawaii am Meer. Erst wird die amerikanische Nationalhymne gespielt, dann die hawaiianische Landeshymne. Schon dabei kommen viele Gefühle hoch, die man sonst nicht zeigt, weil wir immer stark sein müssen. Der ganze Schmerz aus dem Training, aber auch Verluste, wenn Sie einen lieben Menschen verloren und trotzdem trainiert haben. Und dann weint man, weil man eigentlich glücklich ist. Ich möchte das nicht pauschalisieren, aber wenn ich die anderen frage, habe viele etwas, das sie mit sich rumschleppen. So eine Herausforderung zu bestehen, trotz der Dinge, die man im Gepäck hat, hilft am Ende, die eigenen Baustellen zu verarbeiten. Nach dem achttägigen Transalpinrun 2012 in den Alpen, habe ich gemerkt, wenn ich das schaffe, schaffe ich alles im Leben. Und darum will man so ein Rennen auch unbedingt zu Ende bringen, auch wenn manche dann nur noch ins Ziel krabbeln.

Helfen Ihnen die Erfahrungen in Ihrer Praxis als Sportmedizinerin?

Dr. Petra Krause: Viele kommen zu mir, weil ich sie verstehe. Das spricht sich rum. Gefühlt kennen wir jeden dritten Triathleten in Berlin. Viele möchten nicht immer wieder hören, dass ihr Sport ungesund ist, sie ihn für ein Jahr vergessen oder ganz damit aufhören sollen. Häufig geht es um eine Zweit- oder Drittmeinung. Ich möchte niemanden Illusionen machen, aber oft sollte man das doch differenzierter sehen. Auch mir wurde gesagt, dass meine Hüftfehlstellung zu einem vorzeitigen Verschleiß führen kann und ich das Laufen doch besser einstellen sollte. Nach einer Hüft-OP meisterte ich drei Ironman ohne Probleme. Man muss natürlich aufklären, was die Konsequenzen sein könnten, aber nicht pauschal sagen, nie wieder den Lieblingssport.

Was kommt als nächstes?

Dr. Petra Krause: Einer meiner Patienten ist Mitorganisator beim Norseman. Da geht es nicht so sehr um Zeit, sondern um extreme Kälte. Das machen viele Profis, man kann sich aber auch als Breitensportlerin bewerben, braucht aber einen Sponsor. Das reizt mich schon. Aber für dieses Jahr habe ich andere Pläne. Ich bin in der 13. Woche schwanger.

Herzlichen Glückwunsch! Legen Sie jetzt die Füße hoch?

Dr. Petra Krause: Nein. Ich mache noch regelmäßig Sport, aber etwas weniger. Auch bei Schwangeren spricht nichts dagegen. Es ist eher gut, weiterzumachen, soweit es eben geht. Im Moment fehlt mir allerdings die Motivation, weil ich keine Bestleistungen mehr erreichen kann. Interessanterweise steuert mein Körper zudem anscheinend hormonell dagegen und mindert meinen Bewegungsdrang, den ich sonst sehr extrem habe. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Tatsächlich muss ich mich eher zwingen, zu trainieren, und gehe gerade lieber mit meinem Partner schön Radfahren. Dennoch lief ich vor zehn Tagen noch einen Marathon, entspannt mit Freunden, aber so langsam war ich noch nie.

Dr. Petra Krause
Die Expertin
Dr. Petra Krause

ist Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Sportmedizinerin arbeitet seit 2022 in der Praxis sportsmed.berlin. Sie absolvierte 2022 den Ironman-Qualifikationswettkampf in Kopenhagen, 2023 die Ironman-WM auf Hawaii und 2024 in Nizza. Dort belegte sie den 7. Platz in der Altersklasse F35-39.

Bild: © privat

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