Am Ende des Lebens: Abschied von der Oma

In der griechischen Mythologie ist Eileithyia die Göttin der Geburt und Beschützerin gebärender Frauen. Unsere Autorin möchte Gynäkologin werden. Da es in ihrem Blog um sehr persönliche Themen geht, schreibt sie unter einem Pseudonym. | privat / DÄV
Operation Karriere-Bloggerin Eileithyia muss von ihrer krebskranken Oma Abschied nehmen. Dabei denkt sie auch über die Frage nach, wieviel Selbstbestimmung Ärztinnen und Ärzte älteren Menschen am Ende ihres Lebens noch zugestehen – und warum es wichtig ist, dass auch Sterbende ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen.

Ihre Atemzüge sind tief und gleichen eher einem Stöhnen – als ob sie da, wo sie nun ist, viel verarbeitet – vermutlich ihr gesamtes Leben. Und gleichzeitig oder vielleicht auch dadurch wirkt ihr Zustand unendlich friedlich. Sie ist so ruhig. Ganz bei sich. Und dennoch: Der Krebs hat seine Spuren hinterlassen. Ihr Atem geht schwer und jedes Mail, da der nächste Atemzug einen Moment länger auf sich warten lässt, setzt mein Herz für einen Schlag aus.

Ich möchte das Hospiz gar nicht verlassen – aus Angst sie niemals wiederzusehen – und gleichzeitig ganz weit weglaufen, weil ich es kaum aushalte, sie so zu sehen.

Im Juni letzten Jahres wurden bei meiner Oma Raumforderungen in Leber und Pankreas gefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gerade Gastroenterologie für das zweite Staatsexamen gelernt. Ausgerechnet.

Gleichzeitig Medizinerin und Angehörige

Was sagst du deiner Familie, wenn sie dich fragt, ob Raumforderungen in zwei Organen bei einer 80-jährigen Frau nicht auch gutartig sein können? Was sagst du dir selbst?

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Durch das Wissen, das man nun einmal zwangsläufig hat, versucht man sich eine Art Kontrolle zu erkaufen. Man versucht, das Unvermeidbare zu verhindern, indem man mit den Ärzten spricht, die Befunde studiert, bis man sie fast auswendig kann, und nach einzigartigen Heilmethoden sucht.

Es ist surreal, auf der anderen Seite zu sitzen, statt in weiß gekleidet am Fußende zu stehen. Nicht derjenige mit den vermeintlich lebensrettenden Informationen zu sein, sondern derjenige, der all das in sich aufsaugt, um ja nichts zu verpassen.

Mit dem Schicksal im Reinen

Was mich in dieser Zeit zwischen Diagnose und Hospiz so unendlich beeindruckt hat, war die Art meiner Oma, mit dem Wissen um ihr Schicksal umzugehen. Sie strahlte eine Bestimmtheit und fast schon Ruhe aus, wie ich sie bei ihr sonst selten erlebt habe. Ich habe sie einmal gefragt, ob denn jemand mit ihr über Therapiemöglichkeiten geredet hatte – das hat übrigens niemand für notwendig erachtet, nachdem sie eine Leberpunktion abgelehnt hatte. Sie hat mir geduldig zugehört, wäre sogar bereit gewesen, sich das von einem Arzt noch einmal erzählen zu lassen, aber ihre Antwort war schon klar: Keine Therapien.

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text schreiben soll – letztendlich war es wieder einmal die Begegnung mit einem Patienten, die mich dazu gebracht hat: ein 89-jähriger Mann mit einem riesigen Abszess im Arm, der ohnehin seine Dialyse abrechen wollte, um im Kreis seiner Familie zu Hause einschlafen zu können. Vier Tage vor seiner Einlieferung bei uns starb dann seine Frau – nach 70 Jahren Ehe. Die Töchter waren bei ihm, es gab lange Gespräche mit der Ärztin. Wir haben seine Verbände gewechselt. Eine Qual. Jede Bewegung des Armes hat ihn das Gesicht vor Schmerz zu einer Grimasse verziehen lassen. Ist das noch helfen? Woher weiß ich, ob ich gerade dementen Patienten gerade etwas Gutes tue oder ob ich sie unnötig leiden lasse?

Eigene Entscheidungen treffen – auch am Ende des Lebens

Umso erleichterter und auch dankbarer bin ich, dass meine Oma ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen konnte – und damit voll und ganz im Reinen war. Es ist ein anderer Ansatz als derjenige, welchen wir im Studium zumeist vermittelt bekommen.

Ältere Menschen werden im Krankenhaus oft übergangen und nicht nach ihrer Meinung gefragt – und sind es vielleicht aus früheren Zeiten gewohnt, dass der Arzt die Entscheidungsgewalt innehat. Das merkt man auch oft schon an der Art, wie man mit den älteren Patientinnen und Patienten spricht – langsam und laut. Dabei sollte man sich vielleicht gelegentlich vor Augen führen, was diese Menschen an Lebenszeit und Erfahrung mitbringen und dass sie durch diese sehr wohl in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, insbesondere, da sie doch im Mittelpunkt stehen sollten.

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