Frau Dr. Gleichmann, Mozambik war ihr erster Hilfseinsatz – wie kam es dazu?
Dr. Ute Gleichmann: Ich bin im E-Mail-Verteiler einer spanischen Firma, die sehr guten UV-Schutz herstellt. Mehr durch Zufall las ich dort einen Aufruf, dass Dermatologinnen und Dermatologen gesucht werden, um Menschen mit Albinismus in Mosambik zu unterstützen. Ich bin zwar schon mehr als 25 Jahre Hautärztin, kannte Albinismus bislang aber nur aus dem Lehrbuch. Neugierig geworden, recherchierte ich ein bisschen – doch das, was ich erfuhr, hat mich sehr aufgewühlt.
Was ist die Problemlage?
Dr. Ute Gleichmann: Die Betroffenen bekommen sehr schnell weißen Hautkrebs, da die helle Haut wahnsinnig schnell verbrennt. Vor allem die Eltern solcher Kinder wissen nicht, dass die Sonne das Problem ist. In vielen afrikanischen Ländern ist generell keinerlei Wissen vorhanden, dass es sich um eine genetische Erkrankung handelt. Stattdessen ist Aberglauben weit verbreitet. Es heißt, diese Menschen würden Unglück bringen. In der Folge werden sie sozial geächtet. Manche vergewaltigen sie, weil sie glauben, das könnte Aids heilen. Es gibt sogar Fälle von Organhandel. Es handelt sich wirklich um eine Gruppe am Rande der Gesellschaft.
Gab es einen Auswahlprozess für Ihren Einsatz?
Dr. Ute Gleichmann: Ich musste mich richtig bewerben, mit englischem Lebenslauf etc. Das war im November 2022. Drei Monate später – ich hatte es inzwischen fast vergessen – erhielt ich auf einmal einen Anruf, dass ich ausgewählt wurde. Im April 2023 ging es dann für zwei Wochen auf die Reise. Wir waren insgesamt elf Dermatologinnen und Dermatologen. Die anderen kamen aus Spanien, Italien, Portugal, Argentinien, Chile, Mexico, Kolumbien und Peru. Ich war die erste und einzige aus Deutschland.
Wie haben Sie vor Ort geholfen?
Dr. Ute Gleichmann: Die Mission umfasst drei Standorte, auf die man aufgeteilt wird. Einer befindet sich in der Hauptstadt Maputo. Zudem gibt es zwei Außenstellen im Süden, um die ländlicheren Regionen zu erreichen. Der Norden ist momentan zu unsicher. „Meine“ Sprechstunde fand etwas außerhalb der Hauptstadt statt, in einer Art Gemeindezentrum. Das war ein Minihäuschen mit drei Behandlungszimmern, dazu ein kleiner Aufenthaltsraum und eine Küche, ohne Klimaanlage. Wir mussten Stirnlampen mitnehmen, um die Untersuchungen durchführen zu können, weil es drinnen so dunkel war. Mozambik hat ein sehr warmes, feuchtes Klima, deswegen haben die Gebäude eher kleine Fenster. Das waren schon sehr einfache Arbeitsbedingungen. Das Wartezimmer war draußen, in freier Natur. Darüber hinaus hatten wir im Krankenhaus einen OP zur Verfügung, haben aber alle Materialien selbst mitgebracht.
Wie ist das Krankenhaus dort aufgestellt? Wie die Dermatologie?
Dr. Ute Gleichmann: Dort ist die Zeit stehengeblieben. Ich habe als ganz junge Ärztin vor 25 Jahren schon mal in Simbabwe in einem Hospital gearbeitet. Eigentlich hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert, außer, dass jetzt alle Handys haben und immer erreichbar sind. Zur Dermatologie: Im Krankenhaus in der Hauptstadt arbeiten sage und schreibe 15 Dermatologen für 30 Millionen Menschen in ganz Mozambik. Wir waren auch jeden Tag dort und führten für die Kolleginnen und Kollegen Schulungen durch. Denn das Thema Albinismus ist ihnen gar nicht bekannt. Die Fachärzte dort haben überhaupt noch nie Hautkrebs gesehen. Ihre Patientinnen und Patienten sind Menschen mit Tropenkrankheiten. Daher haben wir die einheimischen Dermatologen geschult, damit sie das überhaupt erkennen können, mit dem Auge oder dem Auflichtmikroskop.
Wer ist zu Ihnen gekommen?
Dr. Ute Gleichmann: Das war bunt gemischt. Das ging vom Säugling bis zum Erwachsenen. Teilweise kamen Mütter mit einem weißen und schwarzen Kind. Denn der Gen-Defekt, der zur Folge hat, dass kein Melanin produziert wird, ist autosomal-rezessiv. Manche der kleinen Patienten wurden auch von ihren Onkeln und Tanten gebracht. Viele reisten dafür mehrere Tage an. Leider werden Menschen mit Albinismus nicht alt, durchschnittlich 30 bis 35 Jahre. 40 ist schon ein hohes Alter. Die Jüngsten, die bereits Hautkrebs oder Vorstufen hatten, waren vier, fünf Jahre alt. Dies zeigt sich vor allem im Nacken, weil alle Babys in Tragetüchern transportiert werden. Da brennt die Sonne dann drauf, auch auf den Unterschenkel und die Kopfhaut. Da tut frühzeitig Aufklärung Not.
Was haben Sie für Stadien gesehen?
Dr. Ute Gleichmann: Vom Sonnenbrand bis zu Menschen, die kurz vor dem Tod standen, weil sie nicht behandelt worden sind. Bei nicht wenigen war der Hautkrebs war schon zu weit fortgeschritten und nicht mehr operabel. Meistens betrifft es das Gesicht. Einmal kam eine Frau mit einem riesigen Hut. Sie hatte ihr ganzes zerfressenes Gesicht darunter versteckt.
Wie sah Ihre Hilfe konkret aus?
Dr. Ute Gleichmann: Insgesamt untersuchten wir in der Zeit 650 Menschen mit Albinismus in ungefähr 1.000 Arbeitsstunden. Insgesamt führten wir zudem 250 Operationen durch. Meist waren dies kleine Eingriffe in örtlicher Betäubung, ein bis zwei vielleicht in Narkose. Gewebeproben wurden nicht genommen. Man muss da pragmatisch vorgehen und kann keine Woche abwarten, bis ein Ergebnis vorliegt. Auffälligkeiten wurden rausgeschnitten. Relativ häufig haben wir zudem Kryotherapie angewendet, also Vorstufen vereist. Hinzu kam viel Präventionsarbeit. Die Information darüber, wie gehe ich mit der Sonne um und vor allem, dass es eine Kopfbedeckung braucht, zählte zu unseren Hauptaufgaben.
Was war für Sie schwierig oder gewöhnungsbedürftig?
Dr. Ute Gleichmann: In Mozambik gibt es mehr als 40 Sprachen. Ich war sehr traurig, dass ich die Amtssprache Portugiesisch nicht beherrsche. Teilweise wird auch spanisch gesprochen, was ich immerhin ein bisschen verstehe. Da die meisten meiner Kollegen aus Südamerika kamen und wir teilweise auch Übersetzer dabeihatten, war das jedoch kein allzu großes Problem. Ich war ja auch nie alleine tätig. Und man muss sich umstellen: In Afrika läuft die Zeit anders als bei uns. Da gibt es kein „morgen um 8 Uhr“ – dann wird es vielleicht 10 Uhr. Man wartet viel und kann nicht so gut planen.
Wie ist das das Hilfsprojekt organisiert?
Dr. Ute Gleichmann: Seit einigen Jahren kommen zweimal im Jahr international zusammengesetzte Ärzteteams für je zwei Wochen dorthin. Das Projekt ist fortlaufend. Deswegen fand ich das auch so sinnvoll. Sponsor ist die Firma ISDIN aus Barcelona. Sie organisieren das in Zusammenarbeit mit der NGO Afrika Direkto, die viele Länder auf dem Kontinent betreut. ISDIN finanziert auch den Sonnenschutz, den wir da gratis weggeben konnten. So etwas gibt es dort gar nicht zu kaufen, geschweige denn, dass sich das irgendjemand leisten könnte. Mit uns waren auch Augenärztinnen und -ärzte vor Ort. Die betroffenen Menschen können alle schlecht sehen, trotzdem bekommt man dort erst ab zehn Jahren eine Brille, wodurch sie die ersten Schuljahre schon benachteiligt werden. Fast niemand von ihnen hat einen Beruf.
Wie viele Menschen sind überhaupt von Albinismus betroffen?
Dr. Ute Gleichmann: Genaue Zahlen kennt man nicht. Allein in der Kartei in Mosambik von ISDIN sind mindestens 1.500 Personen registriert. Das ist eine relativ große Zahl dafür, dass man sie im Alltag gar nicht sieht. Sie kommen immer wieder zur Vor- und Nachsorge. Das wird dokumentiert und nachverfolgt. Dadurch wird auch deutlich, dass die Haut der Kinder, die schon seit einigen Jahren kommen, erheblich besser ist und nicht so verbrannt wie bei der ersten Begutachtung.
Was würden Sie interessierten Kolleginnen und Kollegen raten?
Dr. Ute Gleichmann: Es war mein erster Hilfseinsatz und eine überaus wertvolle Erfahrung. In diesem bitterarmen Land mit der wahnsinnig schlechten Infrastruktur sind die Menschen trotzdem so fröhlich und entspannt. Das ist schon beeindruckend. Ich habe meine Patientinnen und Patienten als unglaublich dankbar empfunden. Die sind so glücklich, dass sie Hilfe bekommen und ihnen erklärt wird, wo das Problem liegt. Ich kann jedem und jeder nur ans Herz legen, solche Hilfseinsätze mitzumachen – auch, weil man seinen Fachbereich dann unter einem ganz anderen Aspekt sehen und ausüben kann. Auf diese Weise lässt sich zudem etwas von unserem tollen Leben zurückgeben. Man wird geerdet, was unsere Probleme und die unserer hiesigen Patientinnen und Patienten angeht, die doch sehr hohe Ansprüche haben. Wer Interesse hat, darf sich nur nicht scheuen, mit einem einfachen Umfeld klarzukommen. Es geht alles. Man muss sich selbst halt runterschrauben – und das ist auch mal gut so.