Der Weg in der Medizin wird digitaler, sei es durch KI-Anwendungen oder Videosprechstunden. Und das sei eine spannende Entwicklung, beschrieb Dr. Falk Stirkat, Allgemeinmediziner und bekannter Autor, die Situation. „Wir haben in der Medizin im Vergleich zu anderen Berufsfeldern den Vorteil, dass wir nicht gleich wegrationalisiert werden“, sagte der Mediziner. Bevor in Deutschland Patientinnen und Patienten von einer KI behandelt würden, werde noch viel Zeit aufgrund bürokratischer Hürden vergehen. In manchen Altenheimen gebe es beispielsweise nicht einmal einen Computer.
In der ambulanten Medizin, besonders der hausärztlichen Tätigkeit, laufe die Patientenkommunikation nicht so, wie man es in der Universität lerne. „Um einigermaßen wirtschaftlich zu arbeiten, hat man in der Allgemeinmedizin durchschnittlich nur sechs Minuten Zeit pro Patient“, erklärte Stirkat. Bei ihm in der Praxis seien es aufgrund der Fülle an Patientinnen und Patienten nur zweieinhalb Minuten. Da habe man nicht die Zeit, sehr viel mit ihnen zu bereden. Deswegen sei es wichtig, in der Patientenkommunikation zu unterscheiden und zu erkennen: Wann muss ich wirklich mehr kommunizieren?
Den richtigen Gesprächsbedarf erkennen
Grundsätzlich gebe es in seinem Arbeitsalltag zwei Patientengruppen. 95 Prozent seiner Patientinnen und Patienten haben einen Migrationshintergrund, oft in erster Generation, einige von ihnen können auch nicht lesen. „Die wollen gar nicht mit ihnen reden“, meinte Stirkat. Diese Personen hätten durch ihre Herkunft ein anderes Ärzteverständnis. Sie möchten nur vom Arzt hören, was sie tun sollen. Längere Erklärungen zur Behandlung oder Medikation sehen sie eher als Zeichen der Unsicherheit des Arztes oder der Ärztin. Diese Einstellung ändere sich jedoch bei den jüngeren Generationen, die auch in Deutschland geboren sind. Die andere Patientengruppe ist die, die einen hohen Gesprächsbedarf habe und beispielsweise einen großen Ordner mit Befunden zur Sprechstunde mitbringe.
„Die Kunst ist herauszufinden, was wollen die Patienten von Ihnen? Welcher Patient hat wie viel Gesprächsbedarf? Hat der Patient ein akutes Problem? Und wann ist es mal genug?“, erklärte der Mediziner. Eine Anamnese sei natürlich immer wichtig, müsse aber auch dahin führen, wo man hinwolle. Gerade in der ambulanten Medizin gehe es immer um eine konkrete Frage, die der Patient oder die Patientin beantwortet haben möchte. Die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin sei es also, diese Frage zu beantworten und nicht festzustellen, was medizinisch in der Vergangenheit liegt. „Zeit ist Geld. Klingt blöd, aber unser System unterliegt dem Wirtschaftlichkeitsgebot“, sagte Stirkat. Das Ziel einer Anamnese sei nie, einfach nur mit dem Patienten oder der Patientin zu sprechen.
Im stationären Bereich sei das natürlich anders. Dort lerne man, erst alles zu machen und dann entsprechend einzuengen. Allerdings gebe es auch hier den Zeitdruck. In den stationären Bereich kommen laut Stirkat die Patientinnen und Patienten, die ein echtes Problem haben, das teilweise einer komplexen Lösung bedarf. Im ambulanten Bereich dagegen kämen die Leute, weil sie eine Frage haben oder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wollen. „Da muss man das auf deutlich weniger runterbrechen,“ so Stirkat. Gleichzeitig gebe es immer mal wieder Ausnahmen mit einem sehr ernsten Problem. Die Kunst eines ambulant tätigen Arztes oder Ärztin sei es, diese Ausnahmen zu erkennen.
Psychiatrie auch in der Allgemeinmedizin notwendig
„Beschäftigen Sie sich mit Psychiatrie“, riet der Mediziner. Denn Patientinnen und Patienten mit psychischen Problemen kommen häufig zuerst in die Allgemeinmedizin und wollen eine AU. Man bekomme mit der Zeit ein Gefühl dafür, wann man genauer nachhaken müsse. Dabei sollte man die Kriterien einer Depression abfragen und gleichzeitig wissen, wie man eine Depression oder Angststörung behandelt. „Man muss diejenigen erkennen, mit denen man reden muss“, sagte Stirkat bestimmt.
Darüber hinaus gebe es besondere Patientengruppen, bei denen die Kommunikation schwierig sein könne. Dazu gehören Patientinnen und Patienten, die Verständigungsprobleme haben, weil sie zum Beispiel nicht Deutsch sprechen können. Hier bietet es sich an, einen Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn es mehr Gesprächsbedarf gebe. Andere Gruppen könnten Personen mit Anpassungsstörungen oder Minderintelligenz sein. „Die allerschlimmste Patientengruppe sind Privatpatienten“, meinte Stirkat mit einem Schmunzeln. Er selbst stelle keine Rezepte für Privatversicherte aus, die sich weigern, medizinisch sinnvolle, regelmäßige Checkups bei chronischer Krankheit zu machen. In der ambulanten Medizin sei diese Gruppe kein sonderlich attraktiver Wirtschaftsfaktor.
KI auf dem Vormarsch
Außerdem gab Stirkat den Tipp, sich unbedingt mit KI zu beschäftigen. Denn sie revolutioniere gerade unbemerkt alle Arbeitsbereiche. Diejenigen, die mit KI umgehen könnten, hätten einen relevanten Vorteil. „Ich schreibe keine Gutachten mehr selber“, gestand der Mediziner. Dadurch spare er enorm Zeit. Wer KI ignoriere, werde einen Nachteil haben.
Quelle: Vortrag „Der aufgeklärte Patient“, Dr. Falk Stirkat, Notfallmediziner, Autor, Inhaber und Ärztlicher Leiter Medizinisches Zentrum Erlangen, Operation Karriere München 2024