Zuckerwasser – Die Zauberei der Kindermedizin

privat/DÄV
Pädiatrie ja oder nein? Für unsere Bloggerin Kimberley hat die Arbeit mit Kindern einen ganz eigenen Zauber. Doch es ist auch nicht immer so, wie man es sich vielleicht vorstellt. In ihrem aktuellen Beitrag beschreibt sie, wie sie zwischen Zauber und Realität schwankt.

Vielleicht war es Glück, vielleicht auch das Werk des Schicksals – doch als ich mich dazu entschied, meine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester anzunehmen, fühlte ich mich in eine Welt voller Unbekanntem und Faszination hineingezogen. Als jüngstes Kind in meiner Familie hatte ich nie direkten Kontakt mit der Pflege von Kleinkindern. Genauso war der Gedanke daran, dass Krankheiten auch Kinder betreffen, in meinem 18-jährigen Universum nicht vorhanden. Doch dann, wie aus dem Nichts, öffnete sich vor mir eine Tür zu einer Welt voller Herausforderungen, aber auch unendlicher Möglichkeit – und ich trat ein, ohne zu wissen, was mich erwarten würde.

Plötzlich fand ich mich vor diesem riesigen Raumschiff-artigen Plexiglaskasten wieder. Darin lag ein winziges Wesen, eingebettet in ein kuscheligen Nest aus bunten Stoffen und medizinischer Watte. Es schrie verzweifelt. Die Stille des Raumes der Intensivstation wurde durchdrungen von der zarten, aber doch kraftvollen Stimme dieses neugeborenen Frühchens.  Mit zittrigen Händen öffnete ich die kleinen Türchen des Inkubators zum ersten Mal, um den zarten Minimenschen zu beruhigen. Ein Schnuller, kaum größer als die Spitze meines kleinen Fingers, beträufelt mit ein wenig Zuckerwasser – ein schwacher Versuch, die Tränen zu trocknen und die Angst zu mildern, bis die Eltern wieder eintrafen.

Am Bettplatz daneben saß ein Junge in einem großen Krankenhausbett und fragte mich nach einem Schluck Wasser. Er hatte erst gestern eine umfangreiche Operation hinter sich. Die Pflegekraft erklärte mir, dass sie seinen Brustkorb geöffnet, das Brustbein durchtrennt und einen schwerwiegenden Herzfehler korrigiert hatten. „Und heute kann er schon sitzen?”, entgegnete ich erstaunt, während der Junge das Glas Wasser aus meiner Hand nahm und freudig schlürfend trank.

Was ein Mut und welch kämpferischer Wille liegt hier in der Luft – Ich war verzaubert

Natürlich besuchte ich auch Stationen mit Erwachsenen. Die Kommunikation war einfacher. Die Patienten selbstständiger und nicht jeder benötigte ständig meine Hilfe. Jedoch fiel es mir schwerer, die Wunden eines jeden Lebensstils und das Aufgeben von sich selbst und der Welt nachzuvollziehen. Es gab so viel weniger Mut, endlose Selbstzweifel, größere Ängste und komplexere Emotionen.

Meine Arbeit nach dem Staatsexamen begann auf einer Intensivstation für Kinder. Wir hatten Frühchen, Kinder nach Operationen und mit seltenen Erkrankungen. Jeder dieser kleinen Menschen war so einzigartig und inspirierend, obwohl jeder Tag vom Kampf um Leben und Tod geprägt war. Ich lernte die kritischen Minuten nach der Geburt kennen, lernte zu reanimieren, zu beatmen und wie ich professionell mit dem Tod umgehe.

Der Zauber wurde bittere Realität

Drumherum drehte sich alles um Geld, Kosten, Wirtschaftlichkeit und darum, dass die Pädiatrie kein Geld für die Krankenhäuser einbrachte. Ausgelaugtes Personal bedeutete ausgelaugte und genervte Kollegen, am Rande der körperlichen und mentalen Verzweiflung und des Frusts.

Ich probierte mein Glück in einer neuen Umgebung, einer herzchirurgischen Kinderintensivstation. Hier war vieles standardisiert und Abläufe waren vereinfacht, dafür waren die Fälle umso komplexer. Man durfte nichts übersehen, stets alles im Blick haben und jede Veränderung wahrnehmen. Die Zeit und Empathie für den Patienten und seine Familie irgendwie parallel zu meistern, war die alltägliche Akrobatik. Man rotierte physisch und innerlich. Ein Abschalten zu Hause war kaum mehr möglich.

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Der Zauber war nun endgültig verflogen

Aufgeben war nie eine Option.

Die Pflege ist ein wundervoller Beruf, doch jede Weiterbildung hätte mich von dem, was mir wichtig ist, weggetrieben – dem Patienten. Eine harte Einsicht.

Zunächst war ich fest überzeugt, dass ich den Zauber verloren hatte. „Nie wieder Pädiatrie!”, dachte ich in den ersten Semestern meines Medizinstudiums, doch dann kam alles anders, als ich dachte.

Ich begann nach dem Physikum wieder mit einer Halbtagsstelle auf meiner ehemaligen Station. Viel schneller als ich gucken konnte, merkte ich in Famulaturen und Blockpraktika, wie sehr mir die Pädiatrie fehlte. Der Umgang mit den Patienten, die Wertschätzung der Familien, die Farben und die ganze bunte Welt, die noch nicht ganz wie ein Fließband der Erwachsenenmedizin vonstattengehen muss.

Der Zauber kommt zurück

Es ist vielleicht ein neuer Blickwinkel, doch der Patient ist weiterhin im Mittelpunkt. Ich habe verstanden, dass man Altes neuentdecken kann und bin unendlich dankbar für die lehrreiche Zeit in meinen Famulaturen in der Kinderchirurgie und Kinderanästhesie. Trotz Rückschlägen und Zweifeln ist der Zauber zurück und mein Weg wird sicher weiterhin in der Arbeit mit Kindern bleiben. Es lohnt sich, sich zu öffnen und bereit zu sein, aus neuen Perspektiven zu lernen.

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