Mehr Wissenschaft während Studium und Weiterbildung

Forschung im Medizinstudium und in der Weiterbildung
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Neueste Studien lesen und interpretieren können, medizinische Leitlinien anwenden, Registerdaten erfassen, Statistiken verstehen – die Anforderungen an die Ärzteschaft werden immer komplexer. Dank Internet und künstlicher Intelligenz kann heute zwar jeder schnell und gründlich recherchieren. Doch um das geballte und sich rasant ändernde Wissen ständig neu einordnen, bewerten und Quellen nachprüfen zu können, brauchen Medizinerinnen und Mediziner eine hohe Wissenschaftskompetenz. Diese müssten sie eigentlich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung erwerben. Doch daran hapert es. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft¬lichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) fordert deshalb, die Vermittlung der Wissenschaftskompetenz im Studium und in der Fort- und Weiterbildung zu stärken und einheitlichen Vorgaben zu machen.

Eine wissenschaftliche Grundausbildung ist für alle klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte essenziell, um aus der Informationsflut in der medizinischen Fachliteratur neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie identifizieren und einordnen zu können. «Metho­disch-wissenschaftliche Grundkenntnisse stellen eine Bedingung für die Anwendung Evidenzbasierter Medizin dar», sagt Professor Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF.

Wissenschaftliche Kompetenz bereits im Medizinstudium fördern

Aber Befragungen von Studierenden zeigen, dass sie die wissen­schaftliche Kompetenz im Studium noch nicht ausreichend geför­dert sehen. Ebenso wird berichtet, dass Ärzte in der Versorgung oft Probleme haben, Forschungsbefunde richtig zu lesen. Christian Baxmann, Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung; Bun­desvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) fordert: «Im Hinblick auf die Sicherheit der Patienten wünsche ich mir, dass evidenzbasierte Medizin auch umgesetzt wird, und wir nicht nur theoretisch darüber reden.» Der fachliche Austausch über das Handeln in Kleingruppen sei dafür essentiell, auch Journal Clubs würden sinnvoll zum Verständnis beitragen. Um den Weg des evidenzbasierten Wissens an das Patientenbett zu ebnen, überführt die AWMF ihre Leitlinien in ein digitales Format. Derzeit stehe man in Vertragsverhandlung. «Eine finale Version wird wohl in 3 Jahren einsatzfähig sein», stellt Prof. Treede in Aussicht.

Wie die Stärkung der Wissenschaftskompetenz im Medizinstudi­um gelingen kann, zeigt die Medizinische Fakultät Mannheim (UMM) der Universität Heidelberg bereits heute: In einem Modell­studiengang werden dort wissenschaftliche Kompetenzen der Medizinstudierenden gefördert. Wissenschaftliche Bezüge wer­den standardmäßig in der Lehre eingebunden. Evaluationen des Leistungsnachweises «Wissenschaftliches Arbeiten» zeigen, dass dieser Weg auch wirksam ist, um dem Nachwuchsmangel in der Forschung zu begegnen: Fast zwei Drittel der Studierenden sind motiviert, ihre wissenschaftliche Arbeit im Rahmen einer Doktor­arbeit zu vertiefen.

Derzeit wird die Wissenschaftskompetenz auch in den Weiterbil­dungsordnungen nicht adäquat abgebildet. «Als Wissens- aber nicht Handlungskompetenz werden allgemein nur ethische, wis­senschaftliche und rechtliche Grundlagen ärztlichen Handelns ge­nannt», betont Professor Dr. Erika Baum, Vorsitzende der Ständigen Kommission Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre der AWMF. Aus Sicht der Expertin reicht dies nicht aus. «Ärztinnen und Ärzte müssen fähig sein, Daten aus dem Versorgungsalltag wissen­schaftlich aufbereiten zu können, damit sie für die Forschung nutz­bar werden – nicht nur an Universitätsklinika sondern flächende­ckend», so Baum. Das sei wichtig, da Registerstudien oder For­schungspraxisnetze helfen, Innovationen zu generieren und die Qualität von Behandlungen zu prüfen, die dann wiederum die Pa­tientenversorgung verbessern. Dafür müssen jedoch Forschungs­zeiten für die ärztliche Weiterbildung, beispielsweise Clinician Sci­entist-Programme (CSP) durch alle Landesärztekammern gleicher­maßen einheitlich anerkannt werden. In der Praxis sieht das anders aus. Es gibt kein einheitliches Vorgehen, ob und wie wissenschaft­liche Tätigkeit anerkannt wird. Einige Ärztekammern sind großzü­gig, wenn der Gesamtrahmen eine sinnvolle Strukturierung der Weiterbildung zeigt, andere schließen Zeiten wissenschaftlicher Tätigkeit ohne direkten Patientenkontakt kategorisch aus. «Kurz­fristig fordern wir, dass generell 6 Monate im Bereich klinischer For­schung oder Versorgungsforschung auf die Weiterbildungszeit an­gerechnet werden. Zusätzlich sind Zeiten anzusetzen, die spezifi­sche Kompetenzen der jeweiligen Weiterbildungsordnung im Rahmen des CSP berücksichtigen, beispielsweise Forschung zu allergischen Erkrankungen, welche die Kompetenzen der Allergo­logie stärken und fördern», so Baum. Je nach Programm können dies bis zu 24 Monate mit überwiegend forschungsorientierter Tä­tigkeit sein. Nur wenn die Verbindung von Forschung, Lehre und Versorgung gelinge, können die Patientinnen und Patienten best­möglich und wissenschaftlich fundiert behandelt werden, sind sich die Experten einig.

Pressekonferenz des Berliner Forums der AWMF, 16.11.2023

Erstveröffentlichung des Beitrags von Christine Schiller im Februar 2024 in Kompass Autoimmun 1/24, CampusAutoimmun

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