Lillian Care – Ein innovativer Ansatz gegen den Ärzt:innenmangel in ländlichen Regionen – Teil 02

Meine bisherigen Blogartikel haben meinen nicht ganz konventionellen Weg ins Medizinstudium beleuchtet. In einer gemeinsamen Kooperation entstand dadurch auch der Kontakt zu Linus Drop, der als Gründer und CEO von Lillian Care sich dem Problem des drastischen Hausärztemangels auf dem Land annimmt und mit einem revolutionären Ansatz versucht, qualifizierte medizinische Fachkräfte für ländliche Regionen zu begeistern. Zusammen mit Laurin Gerdes, der auch für Operation Karriere bloggt, durfte ich mit Linus über seine Ideen und Erfahrungen sprechen.

Der erste Teil des Interviews ist auf Laurins Blog zu lesen. Die beiden haben über die Besonderheit des multiprofessionellen Behandlungs-Teams, die Integration digitaler Technologien und das finnische Vorbild gesprochen. Das Besondere dabei ist, dass Physician Assistants und Nurses einfache Fälle unter ärztlicher Supervision übernehmen können und sich die Ärztinnen und Ärzte so auf komplexe Fälle konzentrieren.

Blicken wir nun in die Zukunft: Wo und wann werden die ersten Praxen nach eurem Konzept in Betrieb genommen?

Linus Drop: Die ersten Praxen entstehen ab 1. März 2024 in Nastätten und Neuerburg in Rheinland-Pfalz. Weitere Standorte folgen dann in den Ortschaften Speicher und Sankt Goarshausen, und perspektivisch planen wir auch im Großraum Osnabrück.

Gibt es bereits Pilotprojekte und erste Erfahrungen?

Linus Drop: Ja, seit Juli 2023 testen wir unser Konzept in einer Pilotpraxis in Heek, Nordrhein-Westfalen. Aus dieser ziehen wir wichtige Erkenntnisse, insbesondere bei der Handhabung der Behandlungspfade. Es zeigt sich, dass wir hier noch Optimierungen vornehmen können, um die PAs besser zu unterstützen und gleichzeitig den Dialog mit den Patient:innen zu erleichtern.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung und Telemedizin im Lillian Care-Konzept?

Linus Drop: Digitalisierung und Telemedizin sind zentrale Säulen unseres Konzepts. Die Terminbuchung erfolgt über intelligente Telefon-Systeme, die eine Art Mini-Triage durchführen, um die richtige Terminart zuzuordnen. Unsere Patient:innenapp ermöglicht es, Folgerezepte zu beantragen und Einblick in die eigene Patient:innenakte zu erhalten. Diese Technologien sind nicht nur ein Werkzeug, sondern ein integraler Bestandteil unserer Vision, eine dynamische und Patient:innenorientierte Behandlung zu gewährleisten.

Werbung


Wie wird in Notfallsituationen verfahren, wenn kein Arzt oder Ärztin vor Ort ist?

Linus Drop: In Notfallsituationen wird sofort ein Arzt oder eine Ärztin zugeschaltet, der oder die dann die nächsten Schritte entscheidet. Bei ernsten Notfällen wird der Rettungsdienst hinzugezogen. Unser Konzept eignet sich besonders für die Allgemeinmedizin, wobei wir die Delegation von Aufgaben immer vom Risiko der Behandlung abhängig machen. Es ist uns wichtig, dass in jedem Fall eine angemessene medizinische Versorgung sichergestellt ist.

Eine abschließende Frage: Welche Rolle spielt der medizinische Nachwuchs für die Umsetzung eurer Vision?

Linus Drop: Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass sich junge Ärztinnen und Ärzte und PAs mit der digitalen Medizin vertraut machen und sich durch kontinuierliche Weiterbildung gut für einen schnellen Wandel im Gesundheitswesen vorbereiten. Ich erhoffe mir zudem, dass wir durch unser Konzept einen Push bei jungen Menschen im Hinblick auf die Aufnahme medizinischer Berufe auslösen – die Bedingungen werden wirklich immer besser!

Kommentar von Peter Schreiber, Hartmannbund

Nach dem Interview konnte ich auch mit dem Bundesvorsitzenden der Medizinstudierenden im Hartmannbund, Peter Schreiber, über das Lillian Care-Konzept sprechen, der dazu einen Kommentar verfasst hat:

Peter Schreiber, Bundesvorsitzender der Medizinstudierenden im Hartmannbund © privat
Peter Schreiber, Bundesvorsitzender der Medizinstudierenden im Hartmannbund © privat

Das innovative Konzept von Lillian Care könnte einen Wendepunkt in der besorgniserregenden Entwicklung der allgemeinmedizinischen Versorgung markieren, besonders in schon jetzt unterversorgten ländlichen Gebieten. Die Schlüsselelemente – Einbindung von Physician Assistants (PAs), Nutzung der Telemedizin und digitale, KI-gestützte Anwendungen – bieten einen vielversprechenden Lösungsansatz für die fortschreitend-prekäre Versorgungslage und deren tiefgreifende Wurzeln. Ich sehe in diesem Ansatz eine Chance, die medizinische Praxis, auch über die Allgemeinmedizin hinaus, zu revolutionieren.

Die aktive Rolle der PAs, unter der Supervision von Ärztinnen und Ärzten, kann in Zukunft die Behandlungskapazität signifikant erhöhen und Ärztinnen und Ärzte entlasten. Diese Delegation von Teilen des Alltagsgeschäfts verlangt den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen jedoch eine essenzielle Offenheit gegenüber neuen Berufsgruppen und Arbeitsmodellen ab, die sich meiner Überzeugung nach allerdings reich auszahlen wird. Weitverbreitete und reflexartig angeführte Bedenken hinsichtlich der Qualitätssicherung sind legitim, können aber durch sorgfältige Implementierung und Supervision adressiert werden.

Für die medizinische Ausbildung bedeutet dies ebenso eine Anpassung: Der Fokus sollte auf digitaler Kompetenz und interprofessioneller Zusammenarbeit liegen. So wird nicht nur der medizinische Nachwuchs gestärkt, sondern auch die Arzt-Patienten-Beziehung in einer zunehmend digitalisierten Welt auf ein neues Level gehoben.

Es ist eine offenkundige Aufforderung an uns, traditionelle Ansätze zu hinterfragen und innovative Lösungen differenziert und zugleich zukunftsorientiert zu betrachten. Letztlich geht es darum, die bestmögliche Patientenversorgung für jetzt und die Zukunft zu gewährleisten – ein Ziel, das uns alle vereint.

Linus Drop, Gründer und CEO von Lillian Care
Der Interviewpartner
Linus Drop

Gründer und CEO von Lillian Care
© Lillian Care GmbH

Artikel teilen

DAS KÖNNTE DICH AUCH INTERESSIEREN

THEMA: Eine emotionale Herausforderung
THEMA: Wahre Hilfe oder mehr Stress?
THEMA: Eine unschlagbare Kombination
THEMA: Karriere neu gedacht
THEMA: Karriere neu gedacht