Prof. Dr. Sherko Kümmel über Brustkrebs: “Die Überlebensraten liegen bei 70 bis 98 Prozent”

"Es macht Sinn, dass ein Bewerber vor der Bewerbung weiß, dass er onkologisch tätig werden will." | Eventfotograf.in, Essen
Das Brustzentrum der Kliniken Essen-Mitte ist eines der größten in Deutschland. Ein Interview mit dem Direktor des Brustzentrums Prof. Dr. Sherko Kümmel über Heilungserfolge und Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber.

Was die Zahl an behandelten Brustkrebspatientinnen und -patienten angeht, belegt das Brustzentrum der Kliniken Essen-Mitte eine Spitzenposition in Deutschland. Damit die Qualität der Arbeit trotz der hohen Fallzahlen nicht geringer wird, werden Ärztinnen und Ärzte durch zusätzliches Personal entlastet und bilden sich regelmäßig weiter.

Herr Prof. Dr. Kümmel, diese Frage stellen sich jedes Jahr fast 70.000 Frauen, die neu erkranken: Kann Brustkrebs geheilt werden?

Prof. Dr. Sherko Kümmel: Abhängig von der Tumorbiologie haben wir Überlebensraten zwischen 70 und 98 Prozent. Es gibt Hochrisikofälle, da ist die Prognose schlechter, aber es gibt sehr viele auch weniger aggressive Krankheitsverläufe. Wir behandeln inzwischen schon viele Frauen, die trotz eines Lymphknotenbefalls keine Chemo brauchten. Summa Summarum wirken beim Mammakarzinom Tumortypen, die von den meisten Patientinnen dauerhaft besiegt werden können.

Als Facharzt haben Sie Zugriff auf das dktk-Studienregister. Würden Sie Patientinnen und Patienten grundsätzlich eine Teilnahme empfehlen, wenn es eine passende Studie gibt? 

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Prof. Dr. Sherko Kümmel: Absolut, und zwar aus drei Gründen. Wenn man in einer Studie teilnimmt, ist man absolut sicher, dass man, selbst wenn man nicht das neue Medikament kriegt, mindestens die modernste Standardbehandlung bekommt. Zweitens: Wenn man das neue Medikament bekommt, ist das Überleben für die Patientinnen und Patienten häufig besser; das haben wir in vielen Analysen beweisen können. Außerdem werden Studien nur in ausgewählten Zentren durchgeführt, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.

Es gibt inzwischen auch Apps für Krebspatientinnen und -patienten, mit denen ein Patiententagebuch geführt werden kann oder die an die Medikamenteneinnahme erinnern. Sind sie hilfreich? 

Prof. Dr. Sherko Kümmel: Ich denke schon, ja. Es ist besser, wenn sich eine Patientin auf die Frage: „Wie geht es Ihnen?“ nicht umständlich erinnern muss, sondern auf ihr Handy gucken kann und die Bewertungsskalen aus dem Patiententagebuch zur Rate zieht. So fällt ihre Antwort viel genauer aus, und wir als Ärztinnen und Ärzte können die Therapie entsprechend anpassen.

Sie leiten das Brustzentrum der KEM I Evang. Kliniken Essen-Mitte, es gehört deutschlandweit zu einem der größten. Auch sehr viele Patientinnen mit Brustkrebs werden hier behandelt. Wussten Sie schon im Studium, dass das Mammakarzinom ein Schwerpunkt Ihrer späteren täglichen Arbeit werden wird? 

Prof. Dr. Sherko Kümmel: Nein. Irgendwann habe ich im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe gearbeitet und dachte, dass dieser Bereich mich am meisten fasziniert. Krebs ist eine schwere Erkrankung und oft tödlich. Beim Mammakarzinom hat man aber hohe Heilungschancen. Außerdem können Gynäkologinnen und Gynäkologen operieren und die Chemotherapie begleiten. Wenn eine Patientin mit der Diagnose durch die Tür kommt, kann man also einen kompletten Behandlungsplan entwerfen und gibt sie an der nächsten Tür nicht sofort wieder ab. Das hat mir gefallen.

Wie entscheiden Sie am Brustzentrum, wer welche Therapie bekommt? 

Prof. Dr. Sherko Kümmel: Dadurch, dass wir so viele Patientinnen mit Brustkrebs im Jahr betreuen, sind unsere Teams sehr spezialisiert. Wir haben innerhalb des Teams Medizinerinnen und Mediziner, die sich nur um metastasierte Patientinnen kümmern.Andere arbeiten vorwiegend plastisch-rekonstruktiv oder haben sich auf die humangenetische Beratung spezialisiert. Je nach dem, mit welcher Form der Erkrankung die Patientin sich bei uns vorstellt, übernimmt dann jemand mit der entsprechenden Spezialisierung.

Würden Sie einer Brustkrebs-Patientin zu einer Impfung gegen das Coronavirus raten, wenn sie eine Chemo- oder eine Strahlentherapie macht? 

Prof. Dr. Sherko Kümmel: So wie wir empfehlen, sich vor einer Chemotherapie gegen die Grippe zu impfen, würden wir auch empfehlen, sich gegen COVID-19 zu impfen. Wir gucken uns die Patientin zuvor natürlich genau an. Wenn die weißen Blutkörperchen deutlich verringert sind und die Abwehrkräfte nicht vorhanden sind, ist eine Impfung unter Umständen nicht sinnvoll. Aber grundsätzlich würde ich dazu raten.

Wenn sich ein PJler oder ein examinierter Arzt oder eine examinierte Ärztin für eine Mitarbeit in Ihrem Haus interessiert, wie läuft der Bewerbungsprozess in Coronazeiten ab? 

Prof. Dr. Sherko Kümmel: Interessierte schicken ihre Bewerbung an uns, dann laden wir zu einem Gespräch per digitaler Plattform ein. Es macht Sinn, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin vor der Bewerbung weiß, dass er oder sie onkologisch tätig werden will. Das Frauenkrebszentrum, welches wir gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Harter aufgebaut haben, ist das größte in Deutschland. Jeder, der zu uns kommt, muss sich also darüber im Klaren sein, dass es hier um Onkologie geht. Hier werden neben seltenen Tumoren auch äußerst schwerwiegende Fälle mit sehr ausgedehnten Behandlungsstrategien versorgt. Weiterhin ermöglichen wir jungen Kolleginnen und Kollegen eine kurze Ausbildungszeit, in der man sehr zügig ein hohes fachliches Niveau erreicht. Dies liegt an der Spezialisierung der beiden Abteilungen und den damit verbundenen hohen Patientenzahlen sowie nicht zuletzt an der Schwerpunktweiterbildung Gynäkologische Onkologie.

Bevor Prof. Dr. med. Sherko Kümmel Direktor der Klinik für Senologie/Brustzentrum Kliniken Essen-Mitte wurde, arbeitete er als Oberarzt an der Universitätsfrauenklinik der Charité und der Universitätsfrauenklinik Essen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Operative Gynäkologie und die Gynäkologische Onkologie, eine besondere Aufmerksamkeit widmet er der Behandlung des Mammakarzinoms.  

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